Der Warnstreik bei der Bahn wird wieder zahlreiche Reisende ausbremsen: Die Lokführer-Gewerkschaft GDL will damit höhere Löhne und eine niedrigere Wochenarbeitszeit durchsetzen. Zu Recht?
Die Bahn kommt – erst mal nicht. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat von Donnerstagabend bis Freitagabend einen Warnstreik angekündigt. Im ganzen Land werden Fern- und Nahverkehrszüge ausfallen.
GDL-Chef Claus Weselsky sieht keine Möglichkeit, mit der Deutschen Bahn als Arbeitgeber noch zu Kompromissen zu kommen. Die Gewerkschaft fordert unter anderem ein Lohnplus von 555 Euro pro Monat sowie eine Inflationsausgleichsprämie. Außerdem will sie, dass die Wochenarbeitszeit von Schichtarbeitern von 38 auf 35 Stunden sinkt.
Wie angemessen sind diese Forderungen? Und wie gerechtfertigt ist dieser Streik? Zwei unterschiedliche Meinungen aus unserer Redaktion.
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Pro: Die Lokführer verdienen unsere Solidarität
Von Fabian Hartmann
Ja, es ist eine Zumutung. Jeder Bahnstreik nervt, kostet Zeit und oft auch Geld. Ausgerechnet in den Wochen vor Weihnachten droht Reise-Chaos. Schon nach zwei Verhandlungsrunden hat die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) die Gespräche mit der Bahn für gescheitert erklärt.
Dabei hat der Konzern elf Prozent mehr Geld – allerdings bei einer Tarif-Laufzeit von 32 Monaten – und einen steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleich in Höhe von 2850 Euro in Aussicht gestellt. Ein gutes Angebot? So sehen es die Bahn-Bosse.
GDL-Chef Claus Weselsky sieht es anders. Er will nicht nur mehr Geld, sondern auch eine Arbeitszeitverkürzung durchsetzen. Man muss den Gewerkschafter und sein Gebaren nicht mögen, aber: Für beide Forderungen gibt es gute Argumente.
Lokführer tragen eine hohe Verantwortung. Jedes Jahr befördern sie Millionen Menschen durchs Land. Sie arbeiten im Schichtdienst, am Wochenende und an Feiertagen. Dafür bekommen sie im Durchschnitt 3.120 Euro brutto. Das war schon vor der aktuellen Preisexplosion ein Witz.
Auch das Thema Arbeitszeitverkürzung darf kein Tabu sein. Andere Branchen – etwa die Metall- und Elektroindustrie – zeigen, dass 35 Stunden pro Woche ausreichen, um Weltspitze zu sein. Der Arbeitsmarkt wandelt sich, die Beschäftigten stellen mehr Ansprüche. Gut so. Wer qualifiziertes und motiviertes Personal will, muss etwas bieten.
Natürlich ist es ärgerlich, wenn jetzt wieder Züge ausfallen. Noch mehr als sonst. Der Zorn der Bahn-Kunden ist gewiss. Er sollte sich aber nicht gegen die Gewerkschaft richten. Dass die Deutsche Bahn – Streik hin oder her – ein Sanierungsfall ist, ist nicht die Schuld der GDL. Die Verantwortlichen sitzen im Bahn-Management und im Bundestag.
Wer eine bessere Bahn will, sollte bei den Arbeitsbedingungen anfangen. Die Lokführer verdienen Solidarität.
Contra: Die Forderungen sind überzogen und kommen zur Unzeit
Von Fabian Busch
Das Streikrecht ist ein hohes Gut – und ein Streik muss wehtun, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Interessen durchsetzen wollen. Er muss aber auch das letzte Mittel sein und verantwortungsvoll eingesetzt werden. Bei dem, was die Gewerkschaft der Lokführer vorhat, ist Letzteres nicht der Fall.
Der Bahnstreik legt das ohnehin schon krisengeplagte Land in der Vorweihnachtszeit lahm – ohne einen triftigen Grund. Besonders maßlos ist die GDL-Forderung nach einer Senkung der Wochenarbeitszeit: 35 statt 38 Stunden bei vollem Lohnausgleich? In Zeiten des Fachkräftemangels ist das eine absurde Idee. Ihr Angebot würde die Bahn dann nur mit massiven Neueinstellungen aufrechterhalten können. Ob die möglich wären, steht aber in den Sternen – schließlich buhlen gerade alle Branchen um Fachkräfte.
Schon jetzt fallen Züge oder Stellwerke aus, weil die Personaldecke zu dünn ist. Diese Situation würde sich mit der 35-Stunden-Woche weiter verschärfen. Leidtragende wären die vielen Menschen, die auf die Bahn angewiesen sind.
Es geht hier auch um einen Machtkampf. Claus Weselsky mag zwar der lauteste Arbeitnehmerführer bei der Bahn sein. Seine GDL spielt mit rund 40.000 Mitgliedern dort aber nur die zweite Geige. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ist mit rund 185.000 Mitgliedern deutlich größer. In 54 Teilbetrieben der Deutschen Bahn kommen dem Unternehmen zufolge die von der EVG verhandelten Tarifverträge zur Anwendung, in 18 Teilbetrieben gelten die Verträge der GDL.
Will die GDL nicht an Boden verlieren, muss sie mit markigen Forderungen mehr Mitarbeitende auf ihre Seite ziehen. Auch darum geht es bei diesem Streik.
Den Überlebenskampf trägt Weselsky nun auf dem Rücken der Reisenden aus. Die GDL ist gerade eher ein Zerrbild einer Gewerkschaft. Damit erweist Weselsky den Anliegen der Arbeitnehmervertretungen einen Bärendienst.
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