Es soll um 5,3 Milliarden Euro gehen - auf Kosten des Staates und damit der Allgemeinheit. So viel sollen Banken und Börsenhändler laut Recherchen von SZ, NDR und WDR vom deutschen Fiskus ohne Grundlage ausgezahlt bekommen haben. Mittel dazu waren Cum-Ex-Geschäfte. Doch was ist das eigentlich?
Es geht um mutmaßlichen Milliarden-Betrug am Staat mit Hilfe eines offenbar beliebten Steuertricks: Gleich mehrmals wird ein Anspruch auf Steuerrückerstattung beim Staat gemeldet, obwohl das nur einmal legitim ist. Der Fiskus verliert den Überblick und zahlt zu viel aus.
Nicht Steuerhinterziehung, sondern Raub
Insofern wurden hier also nicht Steuern im klassischen Sinn "hinterzogen", vielmehr handelt es sich um einen gezielten Griff in die Staatskasse, also um den "größten Steuerraub in der deutschen Geschichte", wie die "Zeit" bereits in der Vergangenheit feststellte.
So wurde der Staat Recherchen von SZ, NDR und WDR zufolge von Banken und Börsenhändlern offenbar um 5,3 Milliarden Euro erleichtert.
Politiker von Union, SPD, Grünen und Linken hatten diese Machenschaften bereits nach Aufdeckung im vergangenen Jahr als "'skrupellos' und 'Schweinerei', als 'Betrug' und 'Raubzug' von Multimillionären und als eine der schlimmsten Verfehlungen in der Finanzindustrie" bezeichnet, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtete.
Mittel zum Zweck waren sogenannte Cum-Ex-Geschäfte.
Zwar wurden laut Bundesfinanzministerium mittlerweile 2,4 Milliarden Euro an Kapitalertragsteuer erfolgreich zurückgefordert oder gar nicht erst ausgezahlt. Dennoch ist der Schaden noch nicht abzusehen.
Immer mehr Verdachtsfälle
Die Zahl der Verdachtsfälle sei zuletzt von 259 im Oktober 2017 auf 417 im Januar 2018 gestiegen. Ermittler rechnen aber mit weiteren Fällen.
"Was fehlt, sind nach wie vor die politischen Konsequenzen", teilte der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Gerhard Schick, am Donnerstag mit.
"Nimmt man die unbekannten Fälle aus früheren Jahren dazu, liegt das Volumen wie von uns geschätzt bei mindestens 10 Milliarden Euro."
Ein Untersuchungs-Ausschuss des Bundestags beschäftigte sich mehr als ein Jahr lang mit den Aktien-Deals, kam im Juni aber zu keiner einheitlichen Schlussfolgerung.
Zwar seien die Geschäfte illegal gewesen - doch darüber, ob etwa der Staat als Aufseher versagt habe, wurden die Abgeordneten nicht einig.
Doch wie konnte das überhaupt passieren?
Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte: Wie und was?
Die fragwürdigen Geschäfte liefen wohl schon seit den 1980er Jahren, wurden aber erst 2012 nach mehreren Anläufen gestoppt.
Hintergrund ist die Besteuerung von Dividenden. Im Kern ließen die Beteiligten untereinander Aktien zirkulieren, bis dem Fiskus nicht mehr klar war, wem sie überhaupt gehörten.
Das sind Cum-Ex-Geschäfte
Bei den auch "Dividendenstripping" genannten Geschäften wurden Aktien
mit ("cum") und ohne ("ex") Dividendenanspruch rund um den Tag der
Hauptversammlung zwischen mehreren Beteiligten im großen Stil hin und
her verschoben.
An diesem Tag legen börsennotierte Unternehmen die Höhe der Gewinnausschüttung an ihre Aktionäre fest.
Durch das Verschieben hatten mehrere Anleger zum gleichen Zeitpunkt
den Eindruck vermittelt, Eigentümer der Aktie zu sein.
Ein Aktionär bekam von seiner Aktiengesellschaft nur die Netto-Dividende
ausgeschüttet. Die Steuer von 25 Prozent auf die Dividende behielt die Gesellschaft ein und führte sie ans Finanzamt ab.
Im Gegensatz zu privaten Aktionären konnten sich Banken und andere
Finanzdienstleister die abgezogene Kapitalertragsteuer vom Fiskus
zurückholen. Der Ertrag wurde mit anderen Gewinnen erst zum
Jahresende steuerlich verrechnet.
Für die Rückerstattung reichte der eingereichte Steuerbescheid. Wegen des angeblichen mehrfachen Eigentums wurden zwei Bescheinigungen eingereicht - mit dem Ergebnis, dass eine einmal gezahlte Steuer zweimal erstattet wurde.
Ob das illegal war, ist noch nicht höchstrichterlich geklärt. Erste Banken aber haben schon nachgezahlt, andere Geld zurückgelegt.
Mitgemischt haben kleine wie große Banken, öffentlich-rechtliche Landesbanken und Institute wie die Commerzbank, die vom Steuerzahler gerettet werden mussten und sich noch teils in Staatshand befinden.
Das sind Cum-Cum-Geschäfte
Erst 2016 wurden ähnlich gelagerte "Cum-Cum"-Geschäfte gestoppt. Dabei konnten große Kunden aus dem Ausland Steuern auf Dividenden von deutschen Unternehmen umgehen.
Im Kern werden bei diesen Deals von ausländischen Anlegern gehaltene Anteile kurz vor dem Dividendenstichtag an inländische Anteilseigner übertragen, etwa
an Banken. An diese wird die Dividende dann ausgeschüttet, darauf wird eine Kapitalertragsteuer fällig.
Die inländische Bank konnte sich dann - anders als die ausländischen Investoren - die Kapitalertragsteuer anrechnen beziehungsweise vom Staat erstatten lassen.
Danach werden die Aktien samt Dividende zurückgereicht, die gesparte Steuer zulasten des Staates und der Allgemeinheit wurde unter Banken und Investoren aufgeteilt. (cai/dpa)
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