Die US-Metropole Detroit meldete in der letzten Woche Insolvenz an. Einige deutsche Kommunen hat diese Nachricht sicherlich aufhorchen lassen, denn auch in Deutschland, vor allem in den neuen Bundesländern, kämpfen manche Städte ums Überleben. Was passiert jedoch genau, wenn eine Stadt pleitegeht? Und wäre die Anmeldung einer Insolvenz auch hierzulande möglich? Wir haben einen Experten gefragt.
Detroit hat Insolvenz angemeldet. Wie konnte es dazu kommen?
Markus Oberndörfer: In der Stadt Detroit hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ein Schrumpfungsprozess vollzogen, den es so im internationalen Vergleich noch nicht gegeben hat. Die Stadt schrumpfte von fast zwei Millionen in den frühen 50er Jahren auf heute nur noch rund 700.000 Einwohner. Momentan liegt fast ein Drittel der ganzen Stadtfläche brach und weit über 10.000 Gebäude stehen leer. Der Schuldenberg der Stadt hat sich auf etwa 18 Milliarden US-Dollar aufgetürmt.
Was sind die Ursachen solcher Schrumpfungsprozesse?
Oberndörfer: Der Schrumpfungsprozess in Detroit ist auf verschiedene Entwicklungen in den vergangenen Jahrzehnten zurückzuführen. Selbstverständlich steht auf der einen Seite der weitgehende Zusammenbruch der Autoindustrie. Zahlreiche ethnische Konflikte sorgten dafür, dass die weiße Bevölkerung in den 1960er-Jahren in die reicheren Vororte abwanderte. Eine solche Abwanderung wird als "White Flight" bezeichnet und ist noch heute in der Region spürbar. Auf der anderen Seite leisten aber auch die meist reichen Vororte nur wenig Mithilfe, um die Stadt Detroit wieder zu revitalisieren.
Welche Folgen hat der Schrumpfungsprozess für die Stadt?
Oberndörfer: Die Auswirkungen von Schrumpfungserscheinungen haben auf nahezu alle Bereiche einer Stadt enorme Auswirkungen. Die offensichtlichste Auswirkung ist natürlich der unübersehbare Wohnungsleerstand in der Stadt, aber auch die soziale Spaltung in der Bevölkerung ist ein großes Thema. Die fehlenden Arbeitsplätze verursachen ein kommunales Finanzdefizit, das die Stadt finanziell ins Schleudern bringt.
Die städtische Infrastruktur in Form von Straßenbeleuchtung oder Müllabfuhr kann in einigen Vierteln der Stadt nicht mehr ausreichend gewährleistet werden. Zudem ist nahezu kein öffentlicher Personennahverkehr existent, sodass man ohne Auto meist nicht weit kommt. Auf die Fahrpläne der Buslinien kann man sich häufig nicht verlassen. Ein sehr großes Problem ist zudem das Bildungsdefizit der Bevölkerung in der Stadt. Die Menschen, die sich eine universitäre Ausbildung leisten können, ziehen meist weg.
In Detroit hat man mit Kevin Orr einen Wirtschaftsexperten eingeschaltet, um die finanzielle Lage der Stadt von außen begutachten zu lassen. Ist das Vorgehen sinnvoll?
Oberndörfer: Aus ökonomischen Gesichtspunkten kann dies sicherlich sinnvoll sein. Dennoch gilt der von der Bundesregierung entsandte Wirtschaftsexperte in der Bevölkerung als umstritten, da er nicht nach demokratischen Gesichtspunkten gewählt wurde und umfangreiche Vollmachten besitzt.
Auch in Deutschland flüchten die Menschen regelrecht aus bestimmten Regionen wie Brandenburg oder dem Bayerischen Wald. Was sind hier die Hintergründe?
Oberndörfer: In deutschen Metropolen wie München, Hamburg, Stuttgart, Berlin oder Frankfurt sind schlichtweg genügend Arbeitsplätze vorhanden. Der Zustrom in diese Städte wird deshalb wohl auch zukünftig anhalten. Wohnraum wird dort zunehmend knapper, was wiederum zur Folge hat, dass die Mieten explodieren. In schrumpfenden Arealen Deutschlands dagegen werben die Städte um Zuzügler und bieten zum Teil sogar finanzielle Anreize in Form von Zuzugsprämien an.
Ist die Lage in Detroit überhaupt mit deutschen Kommunen vergleichbar?
Oberndörfer: Auch bei uns haben zahlreiche Kommunen ein hohes Haushalsdefizit. Im Jahr 2011 war in dieser Hinsicht ein Rekordjahr - im negativen Sinn. Insbesondere ländlichen Regionen drohen aufgrund der demografischen Entwicklung weitere Defizite in ihren Haushalten. Vor allem der zunehmende Zuzug in die Metropolen schwächt die Finanzlage vieler ländlicher Kommunen, da sie dadurch weniger Steuereinnahmen und Zuweisungen erhalten.
Können auch deutsche Städte Insolvenz anmelden?
Oberndörfer: Nein, deutsche Kommunen unterliegen einer Konkursordnung. Sie sind von der Insolvenzfähigkeit ausgenommen, um beispielsweise die Finanzierung infrastruktureller Leistungen wie etwa Krankenhäusern, Straßen, der Müllabfuhr oder Schulen aufrechterhalten zu können. Dennoch schließe ich nicht aus, dass überschuldete Kommunen zukünftig noch mehr in die Pflicht genommen werden, um für ausgeglichene Finanzhaushalte zu sorgen. Man muss den Kommunen allerdings auch die Möglichkeit dazu geben, denn sie bekommen immer mehr Pflichtaufgaben von Bund, Ländern und der EU übergestülpt und sind daher nur noch beschränkt handlungsfähig.
Wie sieht es im Rest von Europa aus? Kennt man das Phänomen der Schrumpfung auch dort?
Oberndörfer: Schrumpfenden Regionen wurde in der Vergangenheit nicht die Beachtung geschenkt, die sie verdienen. Sie werden nämlich zunehmend von globalem Interesse sein. Schrumpfungsprozesse finden derzeit vorwiegend in industrialisierten Nationen, wie etwa Deutschland, USA, Japan, Italien oder Großbritannien statt. Also vor allem überall dort, wo sich in der letzten Zeit der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft vollzogen hat.
Was können Kommunen denn konkret tun, um nicht in finanzielle Schräglage zu geraten? Was muss sich politisch ändern?
Oberndörfer: Interkommunale Kooperationen werden in vielen schrumpfenden Regionen immer wichtiger. So werden zukünftig sicherlich noch mehr Städteverbünde notwendig, um beispielsweise Schulen gemeindeübergreifend finanzieren zu können. Von verschiedenen Stellen wird wiederum eine Reform des kommunalen Finanzausgleichs gefordert. Grundsätzlich sind Schrumpfungsprozesse und ihre Auswirkungen nur mit der Bündelung von Maßnahmen, zum Beispiel steuerrechtlicher Art, zu lösen.
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