Die deutsche Autoindustrie krankt an Auftragsmangel – zumindest partiell. Besonders der Umstieg auf die E-Mobilität will noch nicht ganz glücken. Jetzt drohen sogar Werksschließungen.
Die sinkenden Verkaufszahlen vor allem bei E-Autos machen der Branche zu schaffen. Weil Käufer fehlen, sind die Werke kaum ausgelastet, bei Audi steht jetzt erstmals ein ganzer Standort auf dem Prüfstand. Weitere könnten folgen. "Alle müssen sich überlegen, wie viel Produktion man braucht und wo diese Produktionskapazitäten zu möglichst wettbewerbsfähigen Kosten aufgebaut werden", sagt der Branchenexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach.
Werke nur zu zwei Dritteln ausgelastet
Im Schnitt waren die deutschen Werke von Volkswagen, BMW, Mercedes & Co. im vergangenen Jahr nur zu etwas mehr als zwei Dritteln auslastet. Das geht aus einer Auswertung des Datenspezialisten Marklines für die Deutsche Presse-Agentur hervor. 6,2 Millionen Autos könnten alle Standorte zusammen den Angaben zufolge pro Jahr liefern. Annähernd erreicht wurde diese Zahl zuletzt 2011, als fast 5,9 Millionen Autos in Deutschland gebaut wurden. 2023 waren es nur gut 4,1 Millionen. Drei Viertel davon gingen laut Verband der Automobilindustrie (VDA) in den Export.
Das ist zwar wieder deutlich mehr als in den schwachen Vorjahren, als Pandemie und Teilemangel die Produktion zeitweise auf 3,1 Millionen drückten. Aber noch weniger, als die 4,7 Millionen, die im letzten Vor-Corona-Jahr 2019 erreicht wurden. Und im ersten Halbjahr 2024 ging es bereits wieder nach unten. Laut VDA wurden zwischen Januar und Juni in Deutschland 2,1 Millionen Pkw hergestellt, neun Prozent weniger als im gleichen Zeitraum 2023.
Die Marklines-Zahlen zeigen dabei große Unterschiede zwischen den Standorten. Während Porsche Stuttgart 2023 mit knapp 100 Prozent fast voll ausgelastet war und Audi Ingolstadt und BMW München mit annähernd 90 Prozent nur wenig schlechter abschnitten, kam Opel Eisenach nicht einmal auf 30 Prozent der möglichen Kapazität. Mehre große Standorte waren nur rund zur Hälfte ausgelastet, darunter die Stammwerke von VW und Mercedes-Benz in Wolfsburg und Sindelfingen. Auch das 2022 neu eröffnete Tesla-Werk in Grünheide bei Berlin schaffte nur 51 Prozent.
Erste Werkschließungen seit 2014
Die ersten Autobauer ziehen Konsequenzen. Ford hatte schon 2022 angekündigt, das Werk in Saarlouis Ende 2025 dichtzumachen. Bei Audi steht jetzt Brüssel auf der Kippe. Das gleiche Schicksal könnte der Gläsernen Manufaktur in Dresden drohen, wo VW inzwischen offen über eine Nachnutzung ohne Fahrzeugfertigung nachdenkt. Zuletzt war vor zehn Jahren in Deutschland ein großes Autowerk geschlossen worden: 2014 machte Opel den Standort Bochum dicht.
Anderswo wird die Produktion zumindest gedrosselt: In Ingolstadt und Neckarsulm strich Audi die teuren Nachtschichten, ebenso wie Volkswagen in Wolfsburg, Emden und Zwickau. Ein Viertel der Kapazität fällt dadurch weg. Gleich ganz abgeblasen wurde der geplante Bau einer zusätzlichen E-Auto-Fabrik am VW-Stammsitz Wolfsburg. Am Opel-Standort Kaiserslautern liegen die Pläne für eine neue Batteriefabrik auf Eis.
Vor allem Elektro-Standorte betroffen
Von einer generellen Überkapazität will Constantin Gall von der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY aber nicht sprechen. Die gebe es zwar, "aber nur punktuell" – vor allem an den reinen E-Auto-Standorten. "Weil da einfach nicht die Nachfrage kommt, wie sie mal avisiert war." Bei den Verbrennern sehe es zum Teil ganz anders aus. Bei beliebten Modellen im Premium-Segment gebe es hier zum Teil weiter lange Lieferzeiten. "Da haben wir alles, nur keine Überkapazität."
Zum Verhängnis werden könnten manchem Traditionsstandort aber der Umstieg auf Elektro. Nicht jeder Standort lasse sich mit vertretbarem Aufwand umrüsten, meint Gall. "Manche alten Werke wird man einfach schließen müssen, weil es keinen Sinn macht, dort noch einmal groß zu investieren." Zudem dürfen die meisten Hersteller die Umrüstung auch gleich nutzen, um weiter zu automatisieren und den Ausstoß zu erhöhen. "An den bestehenden Standorten wird man dann wahrscheinlich mehr produzieren können. Mit der Folge, dass die reine Zahl der Werke sinken wird."
Wachstum bleibt aus
Ein baldiges Ende der schwachen Nachfrage erwartet der EY-Experte nicht. "In den nächsten 24 bis 36 Monaten ist sicher nicht mit einem signifikanten Anstieg der Nachfrage zu rechnen", sagte Gall. "Mittelfristig werden wir eine Überkapazität im System haben."
Und auch langfristig werde es in Europa kaum Wachstum geben, ergänzt Branchexperte Bratzel. "Der europäische Markt ist im Wesentlichen ein gesättigter Markt. Ein hohes Mengenwachstum wird es sicherlich nicht geben." Mehr als eine Rückkehr zu dem Vor-Corona-Niveau von 2019 sei kaum zu erwarten. "Und auf dem Level wird es wohl auch die nächsten zehn Jahre bleiben."
Die Gefahr, dass nun gezielt schlecht ausgelastete E-Auto-Werke schließen könnten, sieht Bratzel aber nicht. "Das wäre auch Irrsinn." Schließlich würden die gerade erst geschaffenen Kapazitäten benötigt, sobald die Nachfrage nach Elektroautos wieder anspringe. "Da muss man genau hinterfragen, ob man diese kritische Marktphase jetzt nicht einfach auch überstehen muss."
Zulieferer leiden auch
Unter der schwachen Auslastung leiden nicht nur die Autobauer. Auch die Zulieferer bekommen die Einbrüche in der Produktion zu spüren. So verkündete jüngst der Zulieferer ZF in den kommenden Jahren bis zu 14.000 Stellen in Deutschland zu streichen. Die 35 Standorte in Deutschland sollen schrumpfen, zugleich größere Verbünde und schlankere Strukturen entstehen. Das Wort Stellenabbau vermeidet das Traditionsunternehmen, das mit dem Wandel zur Elektromobilität und hohen Schulden zu kämpfen hat. Stattdessen ist von "Stärken stärken" die Rede. Der Plan soll bis Ende 2028 umgesetzt werden.
Bei Continental herrscht ebenfalls schlechte Stimmung. Der Autozulieferer hat seine Prognose für das laufende Jahr wegen des schwächelnden europäischen Automarkts gesenkt. Continental rechnet mit einem Umsatz von 40 bis 42,5 Milliarden Euro, zuvor hatte die Spanne zwischen 41 und 44 Milliarden Euro gelegen, wie das Unternehmen mit Sitz in Hannover am Mittwoch mitteilte. Zudem treibt das Unternehmen die Abspaltung des Autozuliefergeschäfts voran.
Der Continental-Umsatz lag im zweiten Quartal dieses Jahres bei zehn Milliarden Euro und damit 4,1 Prozent unter dem Niveau von 2023. Der Nettogewinn stieg um 46,2 Prozent auf 305 Millionen Euro. "Die von uns beschlossenen und konsequent umgesetzten Maßnahmen zur Kostenreduzierung greifen und haben dazu beigetragen, dass wir uns im Vergleich zum Auftaktquartal substanziell verbessert haben", erklärte Finanzvorstand Olaf Schick. (afp/dpa/bearbeitet von the)
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