Schweden will das Bargeld deutlich früher abschaffen, als ursprünglich geplant. 2023 soll die letzte Krone bereits über die Ladentheke wandern. Deutschland ist von diesem Schritt noch meilenweit entfernt. Woran liegt das?
Bereits in vier Jahren soll es so weit sein: Schweden will das Bargeld abschaffen, sieben Jahre früher als bislang von der Regierung geplant. Der Grund: Ein vom schwedischen Handelsrat beauftragter Forschungsbericht sagt voraus, dass es sich ab dem 24. März 2023 für heimische Händlerinnen und Händler nicht mehr rechnet, Bargeld anzunehmen. Denn bereits heute ist die mobile Zahlung per App in Schweden so beliebt, dass zuweilen selbst Straßenmusiker ihren Hut gegen ein Schild mit ihrer Kontonummer tauschen.
In Deutschland ist man von einem Vorstoß wie in Schweden noch weit entfernt. Die Liebe der Deutschen zum Bargeld lässt zwar nach, doch die Deutschen wenden sich von ihren Münzen und Scheinen deutlich langsamer ab als die Schweden, sagt Horst Rüter, Leiter des Forschungsbereichs Zahlungssysteme am EHI Retail Institut in Köln.
Laut seiner aktuellen Studie beträgt der Umsatzanteil des Bargeldes im Einzelhandel 48,3 Prozent, bei den Karten sind es 48,6 Prozent. In Schweden geht der Gebrauch von Bargeld im Einzelhandel deutlich schneller zurück, generell lasse auch das Abheben von Bargeld stark nach.
80 Prozent der 18- bis 44-Jährigen in Schweden geben an, einen Einkauf im letzten Monat mobil bezahlt zu haben, in der Altersgruppe der 65- bis 84-Jährigen waren es immerhin noch über 20 Prozent. In Deutschland zahlen nur elf Prozent der Kunden ihren Einkauf regelmäßig mit dem Smartphone.
An der deutschen Infrastruktur liegt es nicht
Um einen Einkauf mobil bezahlen zu können, müssen die Kartendaten in einer Zahlungs-App auf dem Smartphone hinterlegt werden. Verfügt das Smartphone über die entsprechende Funktion, kann es an einem Kartenterminal genau wie eine physische Karte kontaktlos eingesetzt werden. Mobil bezahlen können Deutsche derzeit zum Beispiel mit ApplePay, in Schweden wird hauptsächlich die App Swish verwendet.
Dass diese Bezahlmethode in Deutschland nicht verbreiteter ist, liege aber nicht an einer fehlenden Infrastruktur in Deutschland, meint Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereiches Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Der Breitbandausbau in Deutschland sei gut genug, um ein flächendeckendes bargeldloses Bezahlen zu ermöglichen, mobil oder mit der Karte. Theoretisch sei es möglich, "sogar in der Pommesbude in der Provinz" seinen Einkauf mit dem Smartphone zu bezahlen.
Insbesondere Kioske seien noch immer weiße Flecken auf der Bargeldlos-Akzeptanzkarte im deutschen Handel, meint Rüter. "Ich sage immer, dass die Kunden hier lieber ein paar Klimpermünzen in der Jogginghose haben, um die Pulle Bier oder die Schachtel Zigaretten zu holen, als Karte oder Smartphone. Wäre das grundsätzlich anders, dann würden auch Kioske das viel mehr anbieten."
Die Schuld kann man hier also nicht nur dem Handel zuschieben – es hängt auch von der Nachfrage ab. Von der mittleren und älteren Generation ist ein größeres Interesse an mobilen Bezahlmethoden jedoch nicht zu erwarten. Sie hielten aufgrund ihrer Technik-Skepsis weiter am Bargeld fest, so der Experte.
Dass das Bargeld in Schweden nun früher als geplant abgeschafft werden soll, hängt auch damit zusammen, dass die Infrastruktur in dem nordeuropäischen Land in einigen Bereichen schlechter ist als in Deutschland. Die geringe Bevölkerungsdichte in Schweden macht es schwieriger, die Versorgung mit Bargeld über Geldautomaten und Bankfilialen für die gesamte Bevölkerung sicherzustellen.
Eine einfache Rechnung zeigt wieso: In Deutschland gibt es pro Geldautomat 13 Terminals für bargeldloses Zahlen, in Schweden sind es 91. Insbesondere mobile Bezahlmethoden stellen für dieses Problem eine Lösung dar und haben sich daher in Schweden deutlich schneller durchgesetzt.
Die Deutschen in Angst vor "Big Brother"
In Deutschland scheuen sich viele Menschen auch vor Bezahlmethoden mit der Karte und dem Smartphone, weil ihnen das Vertrauern in den Staat fehlt, meint Experte Heinemann. Eine mögliche Abschaffung des Bargelds schüre die Ängste vor dem "gläsernen Bürger". "In Deutschland gibt es eine viel größere Sorge vor 'Big brother is watching you', also dem Staat und Unternehmen, die alles über ihre Bürger und Kunden wissen."
Das drückt sich auch in den strengen Datenschutzbestimmungen in Deutschland aus. In Schweden sei das anders: "Dort kann beispielsweise jeder nachschauen, wie viel Steuern der Nachbar zahlt". Es herrsche eine völlig andere Einstellung zum Thema Digitalisierung und Datenschutz, so der Experte.
Außerdem stelle das "Bargeld unter dem Kopfkissen" für viele noch immer die sicherste Anlageform dar, gibt Heinemann zu bedenken. Seit der Finanzkrise steige die Angst vor einer Enteignung durch negative Zinsen. Bei negativen Zinsen gewinnt das Bankguthaben nicht wie ursprünglich erhofft langsam an Wert, sondern wird mit einem gewissen Prozentsatz belastet und verliert damit schleichend an Wert. Gäbe es kein Bargeld mehr, wären Bankkunden den Negativzinsen ausgeliefert.
Bisher scheint es so, dass der Weg hin zu einer bargeldlosen Gesellschaft in Deutschland noch ein deutlich längerer als in Schweden sein wird. Bisherige Versuche in Deutschland, das Bargeld abzuschaffen, sind gescheitert: "Es gab auch hierzulande Ansätze, eine Bargeldabschaffung in die Wege zu leiten, aber die Reaktionen aus Teilen der Bevölkerung waren direkt und deutlich", sagt Rüter.
Quellen:
- Experteneinschätzung I: Horst Rüter, Leiter des Forschungsbereichs Zahlungssysteme am EHI Retail Institut in Köln
- Experteneinschätzung II: Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereiches Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim und außerplanmäßiger Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
- EHI Retail Institute – Liebe zum Bargeld lässt nach
- Sveriges Riskbank – Payment Patterns in Sweden 2018
- Business Insider – Warum Deutschland beim mobilen Bezahlen hinterherhinkt
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.