- Dass die Rente nicht so sicher ist, wie es Norbert Blüm einst behauptete, steht längst fest.
- Doch zuletzt mehrten sich die Stimmen, dass das Rentensystem schon relativ bald an seine Grenzen stoßen könnte.
- Der Rentenexperte Johannes Geyer hält von dieser Darstellung allerdings wenig und auch zu der geplanten Aktienrente der Bundesregierung hat er eine klare Meinung.
Der Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, hat unlängst davor gewarnt, dass das Rentensystem 2030 kollabieren könnte. Fliegt uns das System bald um die Ohren?
Johannes Geyer: Das System ist weit davon entfernt zu kollabieren. Absehbar ist, dass die Beitragssätze in der Rentenversicherung steigen werden. Allerdings werden sie nicht explodieren. Auch die Höhe des Rentenniveaus ist stabil.
Also ist Panik unangebracht?
Man darf den demografischen Wandel nicht kleinreden, aber im Vergleich zu den Erwartungen, die wir noch Anfang der 2000er hatten, hat sich der Ausblick bei der Rente deutlich verbessert. Wenn wir es schaffen, die Migration in den deutschen Arbeitsmarkt auf einem hohen Niveau zu halten und die Erwerbstätigkeit so hoch bleibt, dann sind die Anstiege der Beitragssätze handhabbar. Jedenfalls mittelfristig.
Trotzdem wird gerade wieder über eine Erhöhung des Renteneintrittsalters diskutiert. Monika Schnitzer, Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, schlägt etwa vor, dass für jedes Jahr zusätzlicher Lebenserwartung acht Monate länger gearbeitet werden soll. Eine sinnvolle Idee?
Aus Sicht der Rentenversicherung hat eine Anhebung des Renteneintrittsalters den Vorteil, dass man die Dauer der Auszahlung kürzt und die der Beitragszahlungen erhöht. Gleichzeitig stößt das auf einen erheblichen Widerstand bei den Beschäftigten. Ein relevanter Teil sagt, er ist nicht in der Lage, seine Arbeitszeit noch weiter nach hinten auszudehnen. Für Menschen, die es zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen nicht schaffen, so lange zu arbeiten, würde das auch größere Einbußen bedeuten.
Braucht es eine Anhebung des Rentenalters aktuell überhaupt? Sie meinten doch, dass die Aussichten gar nicht so schlecht seien ...
Bis 2031 steigt aktuell das Renteneintrittsalter noch. Die Rente mit 67 gilt ja erst ab Jahrgang 1964. Mittelfristig hilft es uns nicht, wenn wir das Eintrittsalter weiter anheben. Bis in die 2030er bleibt uns also eine relativ lange Frist. Und dann würde man auch das Rentenalter nicht sofort sehr stark anheben, sondern anteilig der Steigerung der Lebenserwartung. So sie denn steigt, das wissen wir heute ja noch nicht.
Wäre das den jüngeren Generationen gegenüber nicht trotzdem unfair? Selbst wenn die Lebenserwartung weiter steigen würde: Die Lebensqualität sinkt mit höherem Alter eher. Wenn die Menschen künftig länger arbeiten sollen, werden sie doch in ihrem Lebensabend benachteiligt, oder?
Wenn man in die Vergangenheit schaut, sind die Menschen eher gesünder geworden und die Rentenbezugsdauer hat sich erhöht. Das heißt, sie konnten mehr aus der freien Zeit machen. Wenn die Entwicklung so anhält, dann sollte man erwarten, dass die gesunde Lebenserwartung bei den jüngeren Generationen steigt. Aber es ist schwer, heute Abschätzungen zu treffen, wie der Lebensabend der nachwachsenden Generationen aussehen könnte.
Erhöht ein immer weiter steigendes Renteneintrittsalter nicht auch das Risiko der Arbeitnehmer, in die Altersarmut abzurutschen? Ältere Menschen werden deutlich seltener eingestellt, was die Gefahr für niedrigere Rentenabschläge erhöht.
Man könnte ja auch argumentieren, die Zeit, sich was Neues zu suchen, wird erhöht. Das heißt, es gibt mehr Chancen, einen Job zu finden. Aber es gibt eine tendenziell höhere Gefahr für eine steigende Polarisierung, wenn wir das Renteneintrittsalter anheben. Also dass wir einen Teil an Personen haben, der kein Problem hat, die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Und einen Teil, der irgendwann aus dem Arbeitsmarkt rausgemischt wird und es verdammt schwer hat, wieder Fuß zu fassen. Deswegen ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass diese Menschen Zugang zu Rehabilitationsmaßnahmen haben und umschulen können.
Vor allem aus linken Kreisen wird die Debatte um die Rente kritisiert, weil man dort den demografischen Wandel nicht unbedingt als Kern des Problems sieht. Sie schlagen vor, die Rente an die Produktivität zu koppeln. Steigt die Produktivität der Gesellschaft, steigen die Löhne der Arbeitnehmer, die dann leichter auch eine steigende Zahl an Rentnern gegenfinanzieren könnte. Wäre das aus Ihrer Sicht eine Alternative?
Das Argument muss man so verstehen: Wenn der Kuchen größer wird, fällt es leichter, Geld umzuverteilen. Eine gute Lohnentwicklung ist ein Baustein, um die Umlagefinanzierung stabil zu halten. Was nicht stimmt, ist, dass dadurch der Beitragssatz automatisch sinken würde, man zahlt ja weiterhin proportional dieselben Renten.
Warum?
Die Renten sind lohnbezogen. Das heißt, wenn die Löhne steigen, steigen auch die Renten. Diese zusätzlichen Kosten, die kann man nicht über eine günstigere Lohnentwicklung wegdefinieren. Allerdings wären diese Beitragssteigerungen in dieser Logik leichter verkraftbar, wenn wir auf einen günstigeren Lohnpfad kämen.
Wenn das Grundproblem primär der demografische Wandel ist: Müsste die Politik nicht die Babyboomer noch stärker in die Pflicht nehmen? Also mit höheren Rentenbeiträgen, um die Belastung für die jüngeren Generationen abzudämpfen?
Der Zug ist abgefahren. Wir haben jetzt noch ein paar Jahre, in denen der Beitragssatz stabil bleibt. Irgendwo in der zweiten Hälfte der 2020er wird erwartet, dass er steigt. Heißt: Wir haben nicht die Zeit, um über Beiträge große Reserven aufzubauen.
Die Bundesregierung will das Rentensystem künftig mittels einer als "Generationenkapital" bezeichneten Aktienrente stabilisieren. Der Bund soll dafür über 15 Jahre zehn Milliarden Euro jährlich in einen Fonds geben, der an der Börse investiert wird. Die Rendite soll dann die Rente stützen. Kritiker sagen, der Bund würde mit der Rente an der Börse zocken. Wie berechtigt ist diese Kritik?
Die Kritik, man würde zocken, ist ungerecht. Es ist natürlich eine Spekulation. Aber wenn man langfristig anlegt, ist das Risiko eines Totalverlusts überschaubar bis nicht vorhanden.
Der norwegische Staatsfonds hat aber 2022 mehr als 150 Milliarden Verlust gemacht. Sollte das nicht zu denken geben?
Das Argument ist nicht richtig. Der Staatsfonds hat zwar Verlust gemacht, aber das sind erstmal Buchverluste. Die sind in dem Sinne nicht eingetreten. Nur die Bewertung der Finanztitel, die bei dem Fonds in den Büchern stehen, die hat sich reduziert.
Aber inwiefern ist das Argument dadurch falsch?
Natürlich wird bei kapitalbasierten Systemen die Rendite schwanken und der Fonds kann auch mal Verlust machen. Aber über eine lange Frist sind die Renditen gut und positiv. Der norwegische Staatsfonds hat sicher, inklusive dieses Dips im letzten Jahr, über die Zeiträume eine ziemlich gute Rendite eingefahren. Selbst Kritiker dieser Finanzierungsform bestreiten das nicht. Beim deutschen Staatsfonds müsste man andere Dinge fragen.
Was genau?
Was passiert denn eigentlich, wenn der Fonds mal seine Rendite nicht erwirtschaftet. Also wer haftet dann eigentlich? Das ist, glaube ich, noch nicht ausbuchstabiert.
Das Risiko für Verluste soll der Bund tragen.
Ja, aber wie genau? Sind diese vom Fonds an den Bund zurückzuzahlen oder gehen ihn Verluste nichts an? Haftet der Bund tatsächlich dafür, dann müsste Steuergeld fließen. Das tangiert Beitragszahler und Rentenempfänger in der Rentenversicherung erstmal nicht. Aber natürlich interessiert es alle Steuerzahler. Das ist bisher nicht explizit diskutiert worden und wäre zu klären.
Das Finanzministerium würde vermutlich sagen, wir zahlen doch jetzt schon pro Jahr 110 Milliarden, um die Rente zu stabilisieren. In Zukunft nehmen wir das Geld eben nur noch in die Hand, wenn der Fonds Miese macht.
Nein, das geht nicht. Die Bundeszuschüsse sind verplantes, an Regeln gebundenes Geld. Die kann man nicht einfach ändern. Viele Leistungen der Rentenversicherung sind nicht durch Beiträge gedeckt, sondern sogenannte versicherungsfremde Leistungen. Der Großteil der Bundesmittel ist dafür da. Tendenziell ist das Volumen der Zuschüsse dafür sogar zu niedrig.
Stand jetzt soll das Generationenkapital von der KenFo-Stiftung verwaltet werden. Die kümmert sich aktuell schon um einen Staatsfonds, dessen Portfolio auch Anteile an deutschen Immobilienkonzernen fasst. Heißt das, der Staat befeuert jetzt schon indirekt die Spekulation mit Immobilienpreisen und Mieten und in Zukunft könnte das noch zunehmen?
Ja, das ist so. Da wird in Immobilienkapital investiert, um die Rente zu stabilisieren. Und diese Unternehmen verdienen ihr Geld unter anderem mit Mieteinnahmen, wo wir aktuell soziale Probleme haben. Das kann den Leuten schaden, die auf die Rente angewiesen sind. Das ist eine politische Debatte, die geführt werden muss.
Inwiefern?
Will man sich als Staat inhaltlich einmischen, wenn man Anteilseigner eines Betriebs wird? Es wäre gut, diese Diskussion zu führen, anstatt nur zu sagen, da kommen so und so viel Prozent Rendite raus. Man kann sich auch vorstellen, dass Politiker auf die Idee kommen, mit dem Fonds Innovationen zu finanzieren. Dann könnte der Fonds zum Beispiel Kapitalgeber für die Wende hin zur ökologisch nachhaltigen Wirtschaft sein. Man muss sehen, wie sich das miteinander verträgt. Also das politische Ziel und das eigentliche Ziel des Fonds, eine gute Rendite zu erwirtschaften.
Das Generationenkapital soll nach Angaben von Finanzminister Christian Lindner erst ab 2037 dazu beitragen, das Rentensystem finanziell zu stützen. Ist das nicht viel zu spät?
Die demografische Alterung ist bis Ende der 2030er-Jahre auch nicht abgeschlossen. Wenn so ein Fonds gut läuft, finanziert er etwas von den Beitragslasten und kann auch noch Ende der 2030er einen Beitrag liefern. Wo ich eher skeptisch bin: Man wird bis dahin wahrscheinlich keinen Fonds aufbauen können, der vom Volumen her hinreichend groß ist, um wirklich einen Unterschied zu machen.
Wie kommen Sie zu dem Schluss?
Die Mittel, die notwendig wären, um mit dem Fonds das Rentensystem zu stabilisieren, sind enorm hoch. Da ist man schnell im guten dreistelligen Milliardenbereich. Die aktuell geplanten 150 Milliarden Euro reichen bei Weitem nicht aus. Wenn man mit heutigen Werten rechnet, müsste man ungefähr 17 Milliarden Euro Rendite aufbringen, um einen Beitragssatzpunkt zu finanzieren. Und in Zukunft wird das noch mehr sein. Wir können auch nicht davon ausgehen, dass die Zinsen immer durch die Decke gehen werden. Und wenn man mit niedrigeren Zinssätzen rechnet, dann erhöht sich das notwendige Kapital nochmal entsprechend.
Wie hoch würden Sie also das Potenzial des Generationenkapitals zur Stabilisierung des Rentensystems einschätzen?
Noch sind viele Details dazu unklar. Aber mit vorsichtiger Erwartung: relativ niedrig.
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