Der Koalitionsvertrag von Union und SPD steht. Besonders kritisch äußern sich Experten über die Rentenpolitik. Der Wirtschaftsweise Martin Werding findet die Pläne enttäuschend.
"Verantwortung für Deutschland": So lautet die Losung des Koalitionsvertrags von Union und SPD. In der Rentenpolitik ist von Verantwortung allerdings nicht viel zu sehen – so die Kritik von namhaften Ökonomen.
"Die schwarz-roten Rentenpläne enttäuschen", sagt der Wirtschaftsweise Martin Werding im Gespräch mit unserer Redaktion. "Sie lösen keines der Probleme, vor denen die gesetzliche Rente steht."
Ökonomen kritisieren teure Vorhaben
Was Werding und viele seiner Kolleginnen und Kollegen kritisieren: die Kosten der Vorhaben. So wollen Schwarz und Rot das Rentenniveau bei 48 Prozent bis zum Jahr 2031 festschreiben. Finanziert werden soll dies aus Steuermitteln. Gleichzeitig steigt der Beitrag zur Rentenversicherung bis 2030 auf 20,2 Prozent, aktuell sind es 18,6 Prozent.
Ebenfalls kostenintensiv ist die Ausweitung der Mütterrente, die die CSU durchgesetzt hat. Hier könnten zusätzliche Ausgaben von bis zu 4,5 Milliarden Euro jährlich entstehen.
Vor allem die Festschreibung des Rentenniveaus – ein Wunsch der SPD – hält Ökonomie-Professor Werding für falsch. Für die junge Generation wäre dies zu teuer, denn sie zahlt dafür in Form höherer Beiträge.
Rente: Warum die Umlage in Schwierigkeiten kommt
Im Umlagesystem finanzieren Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit ihren Beiträgen die laufenden Rentenzahlungen. Allerdings führt der demografische Wandel zu einer Schieflage. Immer weniger Junge müssen immer mehr Alte versorgen. Ein Problem, das sich schon bald verschärfen dürfte – und das wird teuer.
"Die geburtenstarken Jahrgänge stehen kurz vor dem Renteneintritt. In den nächsten Jahren sehen wir also steigende Rentenbeiträge. Erst ein Sprung auf annähernd 20 Prozent und dann geht es immer weiter", sagt der Wirtschaftsweise Werding.
Auch andere Ökonomen halten die schwarz-roten Pläne für untauglich, um das System zukunftsfest zu machen. "Der Durchbruch für weniger Belastung der jüngeren Generation ist das nicht, auch nicht ansatzweise. Die schweren Entscheidungen sind nur aufgeschoben worden", sagt etwa der Rentenexperte Axel Börsch-Supan in der "Bild"-Zeitung. Auch ifo-Forscher Joachim Ragnitz kritisiert dort: Schwarz und Rot hätten die "Chance auf grundsätzliche Reformen vertan."
Zwei Stellschrauben für die Rente
Was aber hilft, um die Rente nachhaltig zu stabilisieren? Aus Sicht Werdings gibt es zwei naheliegende Stellschrauben: das Rentenniveau und die Lebensarbeitszeit.
Ein absinkendes Rentenniveau könnte helfen, die Kosten zu stabilisieren. Das heißt nicht, dass es den Rentnern wirtschaftlich schlechter geht. Es bedeutet – rein technisch – zunächst nur, dass die Löhne schneller steigen als die Renten. "Man darf auch nicht vergessen: neben der gesetzlichen Rente gibt es noch die private und die betriebliche Altersvorsorge. Erst so entsteht ein vollständiges Bild", sagt Werding.
Der zweite Ansatz: die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Dies könnte regelgebunden erfolgen. "Wenn die Menschen älter werden, wird ein Teil dieser zusätzlichen Zeit ins Berufsleben übertragen, der Renteneintritt verschiebt sich also etwas nach hinten", sagt Werding.
Allerdings: Das Renteneintrittsalter zu erhöhen, ist politisch heikel. Auch CDU-Chef Friedrich Merz hat im Wahlkampf angekündigt, nicht über 67 Jahre hinausgehen zu wollen.
Aktien könnten Rentensystem stabilisieren
Die gescheiterte Ampel-Koalition hatte noch eine weitere Idee: Vor allem auf Druck der FDP sollte das Rentensystem stärker mit Aktien unterstützt werden. Ex-Finanzminister Christian Lindner wollte mit dem "Generationenkapital" – einem staatlichen Fonds, der weltweit in Aktien investiert – den Anstieg der Rentenbeiträge verlangsamen. Außerdem plante Lindner eine Reform der privaten Altersvorsorge mit staatlicher Unterstützung für den Kauf von Aktien und ETFs.
Wirtschaftsprofessor Martin Werding findet das sinnvoll. Er würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und eine richtige Aktienrente einführen. Seine Idee: Ein Teil der individuellen Rentenbeiträge fließt dann in einen breitgestreuten, weltweiten Fonds. "Es wäre richtig, in der Rentenpolitik stärker auf Aktien zu setzen. Das ist keine Zockerei. Über Jahrzehnte lässt sich so ein Vermögen aufbauen", sagt er.
Über den Gesprächspartner
- Martin Werding ist Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum. Seit September 2022 ist er Mitglied des Sachverständigenrats Wirtschaft. Er ist auf Vorschlag der Arbeitgeber – auch die Gewerkschaften schlagen einen "Wirtschaftsweisen" vor – in das Gremium eingezogen. Werding studierte Philosophie und Volkswirtschaftslehre und war vor seiner Zeit in Bochum beim Ifo-Institut in München tätig.