Viele Läden in Deutschland dürfen wieder öffnen. Dem Handelsverband gehen die Lockerungen des Lockdowns allerdings nicht weit genug - und auch Gaststätten und Hotels fürchten eine Insolvenzwelle.
Annette Weber hat vorgesorgt: Sie und ihre Mitarbeiterinnen tragen Mundschutz, am Eingang steht Desinfektionsmittel für die Kunden, an der Kasse hat sie eine Plexiglas-Scheibe angebracht. Nach vier Wochen Schließung kann sie ihren Laden MaroDoro für Wohnaccessoires und Geschenke in Mannheim wieder öffnen.
Während viele Einzelhändler sich über diesen Schritt freuen, sieht Weber ihn mit gemischten Gefühlen: Einerseits freut sie sich. Andererseits fragt sie sich, ob es nicht besser gewesen wäre, die Läden noch geschlossen zu halten. "Wenn die Infektionszahlen jetzt wieder ansteigen und man noch einmal schließen muss, wird es noch schlimmer."
Kritik an 800-Quadratmeter-Regel
Nach vier Wochen Schließung wegen der Coronavirus-Krise dürfen Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern seit Montag wieder öffnen. Die Entscheidung von Bundesregierung und Ministerpräsidenten stößt auf ein geteiltes Echo.
Während die Mannheimerin Weber glaubt, dass es besser gewesen wäre, die Geschäfte noch länger geschlossen zu halten, hätte sich der Handelsverband Deutschland (HDE) eine generelle Öffnung für den Einzelhandel gewünscht. Vor allem die 800-Quadratmeter-Regel sieht der Verband kritisch.
"Die Regel ist unfair und auch nicht sachgemäß begründet, weil diese Größe willkürlich festgelegt wurde", sagt HDE-Sprecher Stefan Hertel im Gespräch mit unserer Redaktion.
Schutzvorrichtungen wie eine Plexiglas-Scheibe oder Abstandsregeln könnten auch unabhängig von der Ladengröße eingehalten werden. "Aus unserer Sicht müsste gelten: Wenn Läden wieder öffnen dürfen, muss das fair, transparent und gleichberechtigt passieren. Es darf nicht diskriminierend sein. Deswegen hätten wir uns gewünscht, dass alle Geschäfte wieder aufmachen können."
"Weniger Flickenteppich gewünscht"
Ein weiterer Kritikpunkt: Die Empfehlungen der Bund-Länder-Konferenz werden unterschiedlich umgesetzt. In einigen Bundesländern dürfen auch größere Geschäfte wie etwa Kaufhäuser öffnen, wenn sie ihre Verkaufsfläche auf 800 Quadratmeter begrenzen. In Nordrhein-Westfalen können zudem alle Möbel- und Einrichtungshäuser wieder Kunden empfangen.
"Es gibt schon jetzt große Unterschiede in der Auslegung", sagt Stefan Hertel. "Das trägt nicht nur zur Verwirrung der Kunden bei. Es ist auch für Unternehmen, die bundesweit agieren, schwierig, Regeln umzusetzen. Da hätten wir uns weniger Flickenteppich gewünscht."
Der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof hat gegen die Ungleichbehandlung geklagt - allerdings ohne Erfolg. Begründet hatten Bundes- und Landesregierungen die 800-Quadratmeter-Grenze mit der Sorge um eine Sogwirkung: Wenn große Kaufhäuser wieder öffnen, könnte das viele Menschen in die Innenstädte locken.
Der Gesundheitsschutz steht ganz oben, sagt auch der HDE-Sprecher. Der Handelsverband sei ebenfalls der Meinung, dass die Innenstädte jetzt nicht überrannt werden dürfen. "Allerdings ist damit auch gar nicht zu rechnen: Die Konsumstimmung befindet sich auf einem Rekordtief."
Der Handelsverband befürchtet massive Probleme für Unternehmen und ihre Beschäftigten: Der Schaden für die Geschäfte, die in den vergangenen Wochen schließen mussten, liege bei rund 30 Milliarden Euro.
Enttäuschung im Gastgewerbe
Alarmstimmung herrscht auch im Gastronomiebereich: Im Gegensatz zu vielen Geschäften müssen Hotels und Gaststätten weiter geschlossen bleiben. Jeder Dritte der rund 223.000 Betriebe sei von der Insolvenz bedroht ist, sagte Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA, in der Tagesschau.
Auf zehn Milliarden Euro beziffert der Verband die Umsatzausfälle. Der DEHOGA fordert einen Rettungsfonds für das Gastgewerbe und pocht auf einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz - eine altbekannte Forderung der Branche.
Die Gastronomiebranche hatte darauf gehofft, dass die Regeln auch für sie gelockert würden - zum Beispiel, indem Biergärten wieder öffnen.
Die Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands, Angela Inselkammer, sagte dem Bayerischen Rundfunk, auch in der Gastronomie sei es möglich, Abstandsregeln einzuhalten.
Im Handelsverband Deutschland ist man einerseits froh, dass Bund und Landesregierungen schon sehr schnell geholfen und Unterstützungsangebote gemacht haben. "Nichtsdestotrotz muss man nachsteuern, wenn es nötig ist. Auch wenn alle Geschäfte wieder offen sind, ist die Krise nicht mit einem Fingerschnippen vorbei", sagt Stefan Hertel.
In der Diskussion ist schon seit Beginn der Krise sogenanntes Helikoptergeld, bei dem der Staat jedem Bürger einen bestimmten Geldbetrag auszahlt, um ihn so zum Konsum anzuregen. "So etwas müsste man sich sehr genau anschauen", sagt der Verbandssprecher. "Es sollte in dieser Situation jedenfalls keine Tabus geben."
Verwendete Quellen:
- Stefan Hertel, Handelsverband Deutschland
- BR.de: Corona: Wann dürfen Gaststätten wieder aufmachen?
- tagesschau.de: Was sich heute ändert - und was nicht
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