US-Großbanken verlassen die Klimaallianz, Firmen schaffen ihre Diversitätskriterien ab, Nachhaltigkeit ist als Marketing-Thema nicht mehr angesagt. Werbeagenturen sagen ein Ende der Wokeness in der Wirtschaft voraus – das hat auch mit Donald Trump zu tun.
Das größte amerikanische Geldinstitut J.P. Morgan steigt als letzte amerikanische Großbank aus der "Net Zero Banking Alliance" (NZBA) aus. Das verkündet der Finanzkonzern in dieser Woche und markiert damit einen grundlegenden Kulturwandel in der US-Wirtschaft. In den letzten Wochen hatten sich bereits Goldman Sachs, Wells Fargo, Morgan Stanley, die Citigroup und die Bank of America aus der NZBA verabschiedet.
NZBA war 2021 von den Vereinten Nationen als Klima-Bündnis ins Leben gerufen worden. Banken sollten sich damit verpflichten, das UN-Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu unterstützen und die Finanzierung fossiler Energieprojekte zu beschränken.
Donald Trump macht klimapolitisches Engagement unpopulär
Hintergrund der Austrittswelle ist die Wiederwahl
Doch die Entscheidungen der Finanzindustrie werden auch von einem tieferen Mentalitätswandel in der US-Wirtschaft befördert. Die jahrelang propagierte "Wokeness" gilt zusehends als unpopulär. Immer mehr Unternehmen schaffen ihre Diversitätskriterien ab, grüne und genderengagierte Werbekampagnen werden gestoppt. Nachhaltigkeit ist als Marketing-Thema plötzlich weniger angesagt. Werbeagenturen sagen sogar ein Ende der Wokeness in der Wirtschaft voraus. Der Spruch "Go woke, go broke" macht die Runde, nachdem eine Reihe von Unternehmen die Erfahrung gemacht haben, dass besonders woke Außendarstellung dem Absatz der Produkte unmittelbar schaden. "Es ist im breiten Publikum einfach nicht beliebt", heißt es in den New Yorker Werbeagenturen, die nun viele Kampagnen umdefinieren.
Der Getränke-Konzern Anheuser-Busch geriet etwa mit seiner Marke "Bud Light" in Absatzprobleme, weil der weltgrößte Bierbraukonzern mit der Transgender-Influencerin Dylan Mulvaney kooperiert. Nach Massenprotesten, die Biermarke zu boykottieren, distanzierte sich Konzernchef Michel Doukeris von der Kampagne. Der Konzern verlor durch die umstrittene Influencer-Aktion auf einen Schlag fünf Milliarden US-Dollar an Börsenwert. Außerdem büßte "Bud Light" seinen Platz als Amerikas meistverkauftes Bier ein und fiel nach mehr als zwei Jahrzehnten hinter das mexikanische Lagerbier Modelo Especial zurück.
Milliardenverluste und Ablehnung durch LGBTIQ-Engagement
Auch der (nach Walmart) zweitgrößte amerikanische Discounter "Target" bekam die Macht der anti-woken Stimmung zu spüren, nachdem das Unternehmen während des Pride Month Produkte für eine LGBTIQ-Zielgruppe präsentiert hatte. Es hatte eine "Pride"-Kollektion mit Trans*slogans ("Trans People will always exist") auf Kinder-Shirts präsentiert. Target kam daraufhin in ernsthafte Probleme auch auf der Anlegerseite und verlor vorübergehend rund zwölf Milliarden US-Dollar seiner Marktkapitalisierung.
Auch Medien machen ähnliche Erfahrungen: Das Magazin "Sports Illustrated" versuchte offensiv, mit woken Botschaften neue Zielgruppen anzusprechen, doch die Leserinnen und Leser reagierten mit Ablehnung. Sogar Disney bekam scharfen Gegenwind im Markt beim Versuch, Figuren wie "Arielle die Meerjungfrau" neu zu interpretieren oder im Zeichentrickfilm "Lightyear" eine gleichgeschlechtliche Liebesbeziehung einzuführen.
Ist ein Ende des Wokeness-Trends in Sicht?
Umgekehrt zeigt der Erfolg von Ricky Gervais' Netflix-Comedy "Armageddon", dass gezielter Humor gegen die politische Korrektheit besonders populär ist. Trotz der Kontroverse, die seine pointierten Witze auslösten, erhielt die Show den begehrten Golden Globe. Dieser Vorgang markiert im kulturellen Raum ein weiteres Indiz für das Ende des Wokeness-Trends.
Die Großbank ING analysiert die Lage so: "Der Kulturkampf trifft unter anderem Unternehmen, die mit woken Aktionen für sich werben und dadurch vorübergehend wirtschaftliche Nachteile erleiden." In Amerika ist das Sprichwort "Go woke, go broke" mittlerweile oft zu hören. Der Begriff "woke" bedeutet so viel wie "politisch wach und engagiert sein" und bezog sich zunächst nur auf Rassismus. Inzwischen verwenden ihn Konservative in den USA abfällig: Sie wollen damit verdeutlichen, dass ihnen das Engagement gegen verschiedene Arten von Diskriminierung zu weit geht.
Damit verfestigt sich ein Trend bei US-Unternehmen, sich unabhängig von der offiziellen Amtseinführung des neuen und alten US-Präsidenten Donald Trump am 20. Januar vom Wokeness-Trend abzukehren, der jahrelang ihre Entscheidungen beim Personal, Marketing oder bei Investitionen mitbestimmt hat. Auch ESG-Strategien und offensive Gender-Aktionen werden in den Chefetagen Amerikas zusehends kritisch gesehen.
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