Seit einer Woche sind in Griechenland die Banken geschlossen, für die Bevölkerung spitzt sich die Krise damit zu: Importe bleiben aus, Lebensmittel und Medikamente werden knapper. Wie sehr belasten die Engpässe die Menschen – und wie reagieren sie darauf?
Die Aufnahmen haben wenig gemeinsam mit der Idylle, die viele Urlauber sonst aus Griechenland kennen: Rentner die erschöpft am Boden sitzen, die nach Stunden zusammenbrechen, weil sie in der Hitze auf ihre Auszahlungen warten. Bilder wie diese aus dem ganzen Land zeigen: Seit die Banken geschlossen haben, trifft die Krise die griechischen Bürger immer härter.
Immer mehr Politiker rufen deshalb dazu auf, der griechischen Bevölkerung zu helfen. EU-Parlamentspräsident
"Der Mittelstand und die Händler sind verzweifelt"
"Die importierten Produkte werden immer knapper. Das betrifft Lebensmittel, Medikamente, Verbandsmittel – aber die Lieferanten wollen erst bares Geld sehen", sagt Polixeni Kapellou im Gespräch mit unserem Portal. Sie leitet das Büro der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) in Athen und kennt die Probleme der Griechen aus erster Hand. "Besonders der Mittelstand und die Händler sind verzweifelt. Solange die Banken geschlossen bleiben, wird es nicht besser werden", erklärt Kapellou.
Das ist der Kern des Problems: Ohne geöffnete Banken gibt es kein Geld – und ohne Geld kann niemand Lieferanten und Unternehmen bezahlen. Seit einer Woche sind die Banken nun schon geschlossen. Manche Lebensmittelhersteller warnen deshalb, dass einzelne Nahrungsmittel knapp werden könnten – zum Beispiel Milch- und Fleischprodukte, von denen viele aus dem Ausland kommen. Athanassios Kelemis, Geschäftsführer der deutsch-griechischen Handelskammer in Athen, sagte im Interview mit dem "Handelsblatt": "Die großen Hotelketten haben vielleicht noch Lebensmittelvorräte für zehn Tage, dann kommen sie in Schwierigkeiten."
Es fehlt an wichtigen Medikamenten
Dramatischer sieht es im Gesundheitswesen aus. "Das Problem ist, dass in Griechenland viele Medikamente importiert werden – gerade wichtige Herz-, Krebs- und Diabetesmedikamente werden im Land überhaupt nicht produziert", sagt Kalliopi Brandstäter unserem Portal. Sie ist Vorstandsmitglied des Förder- und Freundeskreises Elliniko. Der Verein unterstützt die gleichnamige soziale Arztpraxis in Athen, die Patienten ohne Krankenversicherung behandelt. "Jeden Tag kommen ohnehin mehr als 150 Menschen in unserer Klinik vorbei. Und jetzt sind es noch mehr."
Brandstäter reist derzeit von Thessaloniki durchs Land nach Athen, um sich selbst ein Bild zu machen. "Das sind knapp 600 Kilometer – aber zwischen den Städten gibt es keine Intensivstation. Ich habe Fälle erlebt, in denen kleine Kinder an einer Lungenentzündung gestorben sind." Dabei seien diese Missstände alles andere als neu. "Das Gesundheitssystem ist nicht diese Woche oder in den vergangenen fünf Monaten den Bach runtergegangen. Sondern schon davor, als unzählige Ärzte entlassen und Polikliniken geschlossen wurden."
Grexit könnte Medikamente deutlich verteuern
Apotheken und Krankenhäuser in Griechenland klagen über Verzögerungen. Brandstäter beklagt das bekannte Problem: "Bleiben die Banken weiter zu, kommt es bald zu mehr Engpässen. Denn ohne Geld liefern die Pharmafirmen nicht mehr." Beim deutschen Gesundheitskonzern Fresenius heißt es zum Beispiel: Zwar würden wichtige Medikamente, für die griechische Patienten keine Alternative hätten, weiter geliefert. Doch bereits seit Anfang März würden keine Standard-Produkte wie Kochsalz-Lösungen mehr nach Hellas versandt.
Die medizinische Versorgung könnte sich mit bei einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone noch verschlechtern: Der Europäische Verband der Pharmazeutischen Industrie (EFPIA) warnt, dass ein Grexit die Preise für importierte Arzneien in die Höhe schießen lassen würde. Und wie die "Ärzte Zeitung" berichtet, sollen allein die EFPIA-Unternehmen insgesamt rund 1,1 Milliarden Euro an Forderungen gegenüber Griechenland offen haben. Die Schulden der staatlichen Kliniken bei Pharmaunternehmen sollen sich inzwischen auf rund 1,5 Milliarden Euro belaufen.
Drohen soziale Unruhen?
Bahnt sich in Griechenland also eine humanitäre Katastrophe an? Protestieren die Menschen bald zu Hunderttausenden auf den Straßen, wie sie es zur Jahrtausendwende in Argentinien taten, als das südamerikanische Land pleiteging?
Die britische Regierung hat bereits zusätzliches Personal für ihre Botschaft nach Athen geschickt, "um vorbereitet zu sein auf was auch immer geschieht", wie Finanzminister George Osborne es ausdrückte.
Doch Kalliopi Brandstäter winkt ab: "Alles ist ruhig. Die Menschen sind natürlich verunsichert, sie wissen nicht was kommt. Aber sie sind nicht panisch. Sie kaufen keine Supermärkte leer, und die Schlangen vor den Geldautomaten sind nicht unendlich lang." Und auch HSS-Büroleiterin Kapellou spürt in Athen derzeit das Gegenteil von Unruhen: "Die Leute gedulden sich, sie haben keine Lust mehr zu protestieren – sie warten ihr Schicksal jetzt ab. Das ist eine beispiellose Haltung bei der Mehrheit der Griechen."
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