Galeria Karstadt Kaufhof hat den Rotstift angesetzt und macht 52 von 129 verbliebenen Standorten dicht. Ist das der Anfang vom endgültigen Ende des Modells "Warenhaus"? Die Wirtschaftswissenschaftlerin Hanna Schramm-Klein erklärt, warum man sich die Rettungsgelder hätte sparen können, was Warenhäuser mit Nostalgie zu tun haben und wie man den Leerstand nutzen könnte.
Die Nachricht schlug in ganz Deutschland ein: Galeria Karstadt Kaufhof schließt 52 von aktuell noch 129 Warenhäusern. Das teilte der Gesamtbetriebsrat am Montag (13. März) mit.
Dicht machen müssen beispielsweise die Standorte Dortmund, Frankfurt Zeil, München Bahnhof, Gelsenkirchen, Krefeld und Lübeck – ein Teil bereits bis Ende Juli 2023, der andere bis Ende Januar 2024. Damit droht 5.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die Kündigung.
An vielen Standorten wurde die Bekanntmachung mit Überraschung und Bestürzung aufgenommen. Betriebsräte kündigten stellenweise einen Kampf für den Erhalt der Standorte an oder bezeichneten die Entscheidungen als "nicht nachvollziehbar". Lohnt ein Kampf für den Erhalt?
Hanna Schramm-Klein: Dabei hat der Anfang vom Ende der Warenhäuser schon vor Jahrzehnten begonnen. Es ist nichts Neues, dass das Geschäftsmodell von Kaufhäusern infrage gestellt wird. In der Handelsbranche und Forschung wird schon lange darüber gesprochen. Die Ursachen für den Niedergang sind vielfältig.
Welche sind es?
Kauf- und Warenhäuser haben früher mit dem Prinzip gearbeitet: "Alles unter einem Dach". Das war lange ein Wettbewerbsvorteil. Aber dann kam das Internet, das irgendwie auch "alles unter einem Dach" bietet. Das Geschäftsmodell der klassischen Warenhäuser passt nicht mehr zum Kaufverhalten der heutigen Gesellschaft. Klassische Warenhäuser boten ein riesiges Sortiment, das heißt: Kunden müssen ihrem Kauf viel Aufmerksamkeit widmen und stehen oft vor schwierigen Kaufentscheidungen. Solange das Ganze noch erlebnisorientiert war und man hochwertige und exklusive Sortimente in Warenhäusern gefunden hat, konnte man das der Kundschaft zumuten. Es hat wie ein Magnet gewirkt.
Heute nicht mehr?
Nein, es kam immer mehr Konkurrenz. Zunächst haben Fachhändler und vor allem Fachmärkte als Sortimentsspezialisten den Warenhäusern Konkurrenz gemacht. Mit dem boomenden Online-Handel kamen dann noch weitere Wettbewerber hinzu, die preislich viel attraktiver sind. Warenhäuser sind das schon lange nicht mehr. Sortimente sind immer weniger exklusiv geworden, teilweise hat man sie ziemlich verkleinert. Das Besondere des Warenhauses ist verloren gegangen. Die klassischen Warenhäuser sind heute eher auf ältere Kunden ausgerichtet. Warenhäuser sind bei vielen vielleicht noch in der Nostalgie verankert. Das schillernde Bild von früher entspricht aber nicht mehr der Realität.
Welche Warenhäuser funktionieren noch?
Die exklusiven Großstadtwarenhäuser wie beispielsweise KaDeWe sind Ausnahmen. In großen Metropolen ist genug Kundschaft, das Einkaufen ist erlebnisorientiert und das Sortiment hochwertig. Beim Modell des klassischen Warenhauses sieht man aber schon seit den 1980er-Jahren, dass es problematisch ist. Schon vor 20 Jahren hätten wir genau zu demselben Thema das gleiche Interview führen können.
Wann wird das letzte klassische Warenhaus schließen?
Einen genauen Zeitpunkt kann ich nicht nennen, aber man kann die Jahre runterzählen. Jede Innenstadt, die sich darauf nicht vorbereitet, muss es sich selbst als Defizit zuschreiben. Jede Innenstadt, die sich verwundert zeigt, wenn die Karstadt-Filiale schließen muss, hat jahrelang ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Nur einige Großstadt-Häuser mit mehr Kundenfrequenz werden überleben.
Was heißt das für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
In vielen Bereichen wird es so sein, dass sich die Mitarbeitenden bewusst sein sollten, dass ihr Arbeitsplatz nicht mehr lange gesichert ist. Jede Million, die noch zur Rettung in diese Konzerne gesteckt wird, widerspricht sämtlichen Forschungsergebnissen. Hätte man auf dieser Grundlage gehandelt, hätte man vielleicht auch die Investitionen von Milliarden an Steuergeldern zur Rettung der Konzerne anders hinterfragt und alternativ in etwas investiert, was die Innenstädte weitergebracht hätte.
Die Schließungen sorgen in den Innenstädten für Leerstand. Wie nutzt man die Flächen?
Die Innenstädte zeigen schon lange Probleme, auch das ist absolut nicht neu. Die Problematik, dass sehr große Flächen in den Innenstädten frei werden, muss man immer regional lösen. Man kann sie zum Beispiel für Bildungsinstitutionen zur Verfügung stellen oder zu Wohnraum umwandeln. Was man nicht tun sollte: Ein neues Warenhaus mit dem gleichen überholten Konzept reinholen. Es ist definitiv schwierig, die großen Immobilien zu füllen. Jede Innenstadt wird darauf eine eigene Antwort finden müssen. Man kann nur davon abraten, es mit Einzelhandel füllen zu wollen, denn wir haben zu viel Einzelhandelsflächen. Das Kundenverhalten hat sich einfach extrem gewandelt.
Was zeichnet das Kundenverhalten von heute aus?
Das Kundenverhalten von heute ist geprägt von einem hohen Anspruchsniveau, einer Fülle an Informationen und Optionen und von einem gesteigerten Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Zum Einkaufen ist es für die Kunden normal, Online- und Offline-Angebote für Recherche und Kauf zu nutzen und sie können jederzeit und überall einkaufen. Man braucht kein Warenhaus mehr, in dem man "alles unter einem Dach" bekommt, weil diese Optionen auch auf anderem Weg zur Verfügung stehen. Auch wenn vor allem für Erlebniskäufe oder Produkte, die getestet oder ausprobiert werden müssen, teilweise noch stationäre Geschäfte bevorzugt werden, ist es vielen Kunden inzwischen egal, ob sie im Geschäft oder online einkaufen. Innenstädte spielen für das Einkaufen eine immer geringere Rolle und das ist ein schon seit Jahren anhaltender Trend – also auch schon vor Corona.
Was muss die Politik tun, um dem Niedergang der Warenhäuser zu begegnen?
Das ist keine Frage von Politik. Das sind unternehmerische Entscheidungen. Das wird oft vergessen: Wenn es darum geht, Innenstädte zu gestalten, wird oft davon ausgegangen, dass die Politik das schon regeln wird. Es handelt sich aber um Investitionsentscheidungen von wirtschaftlich ins Risiko gehenden Unternehmern. Sie müssen am Ende ein Konzept liefern, das Verbraucher davon überzeugt, dass sie dort einkaufen. Oft vermissen Verbraucher nostalgisch etwas, was sie selbst gar nicht mehr nutzen. Jeder kann sich die Frage stellen, wie viel Budget er in letzter Zeit im Warenhaus ausgegeben hat. Oft sind es nämlich nur Einzelanlässe, wenn man woanders nichts gefunden hat.
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