Die hohe Inflation dämpft seit vielen Monaten die Konsumlaune. Darunter haben vor allem Unternehmen zu leiden, die nachhaltige Produkte anbieten. Warum ist das so?
Ist echte nachhaltige Mode in Deutschland vom Aussterben bedroht? Mit dieser provokanten Frage wendet sich Michael Spitzbarth in einem Brandbrief an die Öffentlichkeit. Denn seit vielen Monaten kämpft der Textilunternehmer mit den Folgen von Corona, Krieg und der rasenden Inflation. Ähnlich geht es zahlreichen Unternehmen. Vor allem solchen, die auf nachhaltige und umweltschonende Produktion setzen.
Doch wieso trifft es gerade diese? Immerhin hatte der Trend zu nachhaltigeren und regionaleren Produkten viele Jahre angehalten. Und während Bio & Co. den Mainstream eroberten, boomten gleichzeitig die Nischenanbieter. So wie bleed clothing, Spitzbarths Label für faire und nachhaltig produzierte Mode.
Auch die Corona-Zeit hatte Spitzbarth dank Online-Handel einigermaßen überstanden. Doch dann kam der Krieg in der Ukraine.
"Seit Kriegsbeginn ist uns der Umsatz drastisch eingebrochen", sagt Spitzbarth. Schuld daran sei die rasende Inflation. Und da er seine Ware in Europa beziehe, müsse er aufgrund der Energiekrise noch mehr zahlen.
Die starken Kaufkraftverluste wiederum verhindern, dass sich die Nachfrage erholt. "Höhere Preise plus sinkende Kaufkraft, das ist ein schlechter Cocktail", bringt es Spitzbarth auf den Punkt.
Corona, Krieg, Inflation: Kleine Unternehmen kämpfen ums Überleben
Corona, Krieg, Inflation – gerade viele kleine Unternehmen konnten die gehäuften Krisen der letzten Zeit einfach nicht mehr verkraften. So teilt der Handelsverband Deutschland (HDE) mit, dass allein in den vergangenen drei Jahren etwa 41.000 Handelsgeschäfte aufgeben mussten – mehr als in den Jahren 2010 bis 2019 zusammen.
Nicht selten sind dies Unternehmen, die auf Nachhaltigkeit setzen. So hat im Jahr 2022 die nachhaltige Handelsplattform Avocadostore 20 insolvenzbedingte Kündigungen seiner gelisteten Unternehmen erhalten. In normalen Jahren seien es ein bis zwei, sagt eine Sprecherin der Plattform in einem Interview mit der "Zeit".
Laut dem aktuellen HDE-Konsummonitor hat ein Viertel der Bevölkerung große Angst, mit dem Geld nicht mehr auszukommen. Und das wirkt sich auf die Konsumlaune aus. Insbesondere bei Restaurantbesuchen, Mode und Freizeit schränken sich Konsumentinnen und Konsumenten ein.
Wegen Inflation ist Nachhaltigkeit zweitrangig geworden
Dass auch das Thema Nachhaltigkeit extrem an Wichtigkeit verliert, zeigt eine Studie des Consulting-Unternehmens Deloitte. Demnach brach die Bereitschaft, für nachhaltige Produkte Preisaufschläge zu zahlen, regelrecht ein. Während 2021 in einer Befragung 67 Prozent höhere Preise akzeptierten, sind es ein Jahr später nur noch 30 Prozent.
"Das Thema ist zweitrangig geworden", sagt Michael Spitzbarth. "Das Traurige ist für mich daran, dass unser vor einem Jahr noch zukunftsfähiges Konzept, welches sich zu 100 Prozent mit der Zukunft unseres Planeten beschäftigt hat, jetzt in Deutschland anscheinend nicht mehr tragfähig ist", so das bittere Resümee in seinem offenen Brief.
Dass gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen unter der Situation leiden, bestätigt auch Wirtschaftsexperte Stefan Hertel vom HDE: "Nachhaltige Produkte sind oft etwas höherpreisiger als andere Waren. Insofern stellen wir fest, dass die Menschen zumindest innerhalb der nachhaltigen Produkte eher zu den günstigeren greifen." Und das seien oftmals die Eigenmarken der Handelsunternehmen.
Wirtschaftsexperte fordert: "Die Politik muss ran"
Kleine und mittelständische Unternehmen täten sich schwer, so Hertel. Denn die Rücklagen seit der Corona-Pandemie seien oft aufgebraucht. "Bei der aktuellen Gemengelage kann es dann schon für viele Händlerinnen und Händler schwierig werden. Aktuell gehen wir davon aus, dass in diesem Jahr 9.000 Geschäfte ihre Türen für immer schließen werden.
Der HDE setzt sich dafür ein, diese Zahl so niedrig wie möglich zu halten, zum Beispiel mit Vorschlägen für eine Verbesserung des Wachstumschancengesetzes. Auch Unterstützung bei der Digitalisierung und eine sogenannte Klimaschutzoffensive gehören zu den Maßnahmen. Doch Hertel macht sich nichts vor: "Da muss jetzt rasch die Politik ran. Ansonsten wird es für viele Unternehmen sehr schwierig."
Ob die Politik schnell genug reagiert, bleibt jedoch fraglich. Deshalb treibt es Unternehmer wie Spitzbarth an die Öffentlichkeit. Mit einer Gutschein-Aktion, einer Transparenzoffensive und Online-Aufrufe versucht der Gründer, sein Herzensprojekt am Leben zu halten. Doch er betont auch, dass es keinen Sinn macht, sich von einer Marketing-Aktion zur nächsten zu hangeln: "Die Kundschaft hat den Wahlschein für die Zukunft in Form des Kassenzettels in der Hand."
Verwendete Quellen:
- Interview mit Michael Spitzbarth
- Interview mit Stefan Hertel
- textilwirtschaft.de: Ist echte nachhaltige Mode in Deutschland vom Aussterben bedroht?
- Handelsverband Deutschland: Konsummonitor Preise Sommer 2023
- deloitte.com: Sustainability trend under pressure. With money tighter than ever, how can companies make a difference now?
- zeit.de: Fair Fashion: Die Insolvenzwelle rollt
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