- Experten stellen dem Wirtschaftsstandort Deutschland in Teilen ein verheerendes Zeugnis aus.
- Im internationalen Vergleich schrecken insbesondere der Rückstand in Sachen Digitalisierung, immense Steuer- und Stromkosten und die Regulierungswut Investoren ab.
- Es gibt aber eine Ausnahme.
Hohe Steuern, teurer Strom, schlechtes Internet und abnehmende Arbeitsqualität: Eine Untersuchung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG liest sich wie ein sehr schlechtes Zeugnis für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Demnach sehen ausländische Konzerne die Bundesrepublik zunehmend kritisch und fahren ihre Investitionen zurück. Für das Steuersystem und die digitale Infrastruktur gab es besonders schlechte Noten: Hier habe Deutschland "im EU-Vergleich weiter an Wettbewerbsfähigkeit verloren", teilte KPMG am Mittwoch mit.
Die Wirtschaftsprüfer hatten 360 Finanzvorstände von deutschen Tochtergesellschaften internationaler Konzerne aus den USA, China, Japan und Europa befragt. Demnach planen nur noch 19 Prozent, in den kommenden fünf Jahren mindestens zehn Millionen Euro pro Jahr in Deutschland zu investieren. Vor vier Jahren wollten dies noch 34 Prozent.
Digitale Wüste Deutschland
Als größtes Investitionshemmnis nannten die befragten Konzernvorstände eine unzureichende digitale Infrastruktur. Für neun Prozent der Befragten ist sie "die schlechteste in der EU", für weitere 24 Prozent zählt sie "zu den fünf schlechtesten in der EU".
Ein weiteres Ergebnis der Umfrage: "Deutschland ist zu teuer - bei Strom, Steuern und Arbeitskosten." Bei Industriestrom sei Deutschland mit Kosten von 18,18 Cent pro Kilowattstunde inzwischen Spitzenreiter in der EU und damit Schlusslicht bei den Noten. Das deutsche Steuersystem stuften die Manager als "nicht wettbewerbsfähig" ein.
Bemängelt würden inzwischen auch marode Straßen, Brücken und Schienen. Nur noch 59 Prozent der befragten Konzernvorstände stuften die logistische Infrastruktur unter den Top Fünf in der EU ein.
Deutschland ist sicher und politisch stabil
Die besten Bewertungen erhält der Wirtschaftsstandort für Lebensstandard (81 Prozent), öffentliche Sicherheit (80 Prozent) und politische Stabilität (80 Prozent). Als Forschungsstandort sehen 56 Prozent der befragten Manager Deutschland im EU-Vergleich in der Spitzengruppe. Deutliche Fortschritte gebe es bei der Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte: Laut der KPMG-Umfrage sehen 38 Prozent der Konzerne Deutschland in diesem Punkt unter den Top Fünf in der EU.
Allerdings lägen die Arbeitskosten mit durchschnittlich 36,60 Euro pro Stunde weit über dem EU-Schnitt von 28,50 Euro. Aufgrund der hohen Arbeitsproduktivität hätten internationale Investoren dies bislang in Kauf genommen. Für 72 Prozent der Befragten zählte Deutschland hier zur Spitze. "Jedoch nehmen Investoren die seit 2018 währende Stagnation der Arbeitsproduktivität in Deutschland mit Sorge wahr."
Bürokratie-Dschungel und Regel-Wahnsinn
Auch zähle nur noch jeder dritte Befragte Deutschland zu den Top-Fünf-Standorten mit einem innovationsfördernden Umfeld. Die Attraktivität des Standorts schwinde. "Ein weiteres Anwachsen von Regulierung und Bürokratie infolge der geplanten EU-Umweltgesetzgebung" sei eine Bedrohung für den Investitionsstandort Deutschland, warnte KPMG-Bereichsvorstand Andreas Glunz.
Ein Beispiel: Mit der Verschärfung des sogenannten Wegzugsbesteuerungs- oder Außensteuergesetz, das sich von der einstigen Reichsfluchtsteuer ableitet, soll der Abzug deutscher Unternehmen ins Ausland gebremst werden. Negativer Nebeneffekt: Potenzielle Firmengründer oder Investoren werden durch derlei Gesetze abgeschreckt, in deutsche Firmen zu investieren.
Simone Menne, Präsidentin der amerikanischen Handelskammer in Deutschland (AmCham Germany) bestätigte den Trend. Im AmCham-Ranking bewerteten die Mitglieder Deutschland Anfang des Monats nur noch mit der Note 2,4, im Jahr 2020 noch mit 1,9. Aber Menne weiß auch, was die US-Firmen an Deutschland schätzen: "Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld, der Rettungsschirm für Selbstständige und Mittelständler, extra Kindergeld für Familien, Hilfen für Künstler und Kreative und Überbrückungshilfen für Studierende werden als klarer Vorteil während der Corona-Pandemie für den Wirtschaftsstandort Deutschland gesehen."
Der Brexit hilft deutschen Unternehmen
Ein deutlich besseres Bild zeichnet Robert Hermann, Geschäftsführer der bundeseigenen Gesellschaft Germany Trade and Invest (GTAI), über seine Erfahrungen mit Unternehmen aus Großbritannien - bei vielen dürfte allerdings auch der Brexit ein Treiber sein. "Das Interesse britischer Unternehmen an Deutschland steigt seit dem Brexit-Votum in 2016 stark an", sagte Hermann der dpa. Etwa 40 Prozent der britischen Unternehmen, die in Deutschland investieren, nennen laut Hermann den Brexit als einen Einflussfaktor bei der Investitionsentscheidung.
Es gebe aber auch "Verbesserungspotenziale", sagte Hermann. Die Arbeitsqualität, die laut KPMG-Studie abgenommen hat, zählte er allerdings nicht dazu. Im Gegenteil: "Einer der wichtigsten Gründe für ausländische Investoren, nach Deutschland zu kommen, sind unter anderem die gut qualifizierten Arbeitnehmer."
Das Bundeswirtschaftsministerium wehrt sich gegen Ergebnisse der Studie
Das geschäftsführende Bundeswirtschaftsministerium kommentierte die konkreten Ergebnisse der Studie auf Anfrage nicht und verwies auf andere Studien wie das Ranking des World Economic Forum 2019, in dem Deutschland auf Platz sieben von 141 lag. Außerdem gebe es ausländische Investitionsprojekte, die für die Beliebtheit Deutschlands sprächen. Ein Beispiel sei die Tesla-Fabrik in Grünheide bei Berlin. Für die gibt es allerdings noch keine endgültige umweltrechtliche Genehmigung, was Tesla-Chef Elon Musk bereits kritisierte.
"Herausforderungen bestehen durchaus", räumte das Ministerium in seiner Stellungnahme ein, aber man unternehme auch etwas dagegen. So soll etwa eine im Dezember in Kraft tretende Novelle des Telekommunikationsgesetzes die digitale Infrastruktur verbessern. Den hohen Stromkosten begegne man mit Bundeszuschüssen zur EEG-Umlage. (dpa/hau)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.