Die Ökonomen Michael Hüther und Sebastian Dullien liegen oft über Kreuz. Bei einem Thema aber sind sie sich einig: Die Schuldenbremse muss gelockert werden. Dazu haben sie jetzt Ideen vorgelegt. Nur: Werden sie auch gehört?
Michael Hüther und Sebastian Dullien liegen weltanschaulich nicht immer auf einer Linie. Der eine – Hüther – ist Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, der andere – Dullien – leitet das den Gewerkschaften nahestehende Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.
Am Dienstag sitzen beide Ökonomen auf dem Podium der Bundespressekonferenz und sind sich in ihrer Diagnose aber absolut einig: Die Schuldenbremse braucht ein Update. Sie kann nicht bleiben, wie sie ist.
"Herausforderungen für die Schuldenbremse" lautet der nüchterne Titel der Studie, die Dullien und Hüther der Hauptstadtpresse vorstellen. Darin rechnen die Ökonomen vor, wie groß der öffentliche Investitionsbedarf in Deutschland ist. Auf 600 Milliarden Euro in zehn Jahren kommen die Autoren. "Und das ist konservativ geschätzt", sagt IW-Chef Hüther.
Allein 200 Milliarden Euro fallen für den Klimaschutz an, etwa im Bereich der Gebäudesanierung. Das Schienennetz muss erneuert, der ÖPNV ausgebaut werden. Auch in Bildung sollen Milliarden fließen. Und dann ist da noch der Wohnungsbau. Die Ampel-Koalition ist angetreten mit dem Ziel, jährlich 100.000 Sozialwohnungen zu bauen. Die Kosten hierfür beziffern die Autoren auf knapp 37 Milliarden Euro.
Mit anderen Worten: An allen Ecken und Enden braucht es staatliche Investitionen. Und das Geld fehlt. Wobei das nicht ganz richtig ist: Es wäre ja möglich, Kredite aufzunehmen. Aber die Schuldenbremse steht einer Investitionsoffensive nach Ansicht der Ökonomen im Weg. "Eine Reform der Schuldenbremse ist dringend notwendig", sagt IMK-Forscher Dullien.
So funktioniert die Schuldenbremse
- Die Schuldenbremse ist seit dem Jahr 2009 in Artikel 109 des Grundgesetzes verankert. Sie sieht vor, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne neue Kredite auszugleichen sind. Für den Bund gilt allerdings die Ausnahme, dass dieser jährlich neue Schulden in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufnehmen darf (strukturelle Komponente). Daneben gibt es noch eine Konjunkturkomponente, die – je nach wirtschaftlicher Lage – etwas mehr oder weniger neue Kredite erlaubt.
Schuldenbremse: Ökonomen machen zwei Vorschläge für Reform
Die Wissenschaftler schlagen zwei Möglichkeiten vor, an frisches Geld zu kommen. Entweder durch eine Rückkehr zur "Goldenen Regel". Diese erlaubt es dem Staat, Kredite in Höhe der Investitionen aufzunehmen. Es wäre denkbar, die Schuldenbremse um einen entsprechenden Zusatz zu ergänzen. Allerdings wissen auch Dullien und Hüther, dass sich die FDP in der Ampel-Koalition jeder Diskussion um eine Reform der Schuldenbremse versperrt.
Die zweite gangbare Weg wäre ein neues Sondervermögen für Infrastrukturausgaben, das im Grundgesetz verankert wird. Dies müsste vom Parlament – als Vorbild dient das Sondervermögen für die Bundeswehr – mit Zweidrittel-Mehrheit beschlossen werden. Aber: Auch hier geht es nicht ohne die Stimmen von Union und FDP. Ein Sondervermögen hätte aber den Vorteil, dass die Schuldenbremse nicht angefasst werden müsste. Ergo: Es wäre die gesichtswahrende Lösung.
So oder so: "Die Zeit drängt", sagen Hüther und Dullien. Die Infrastruktur bröckele, der Klimaschutz verlange Milliardeninvestitionen. "Es geht darum, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel zu ermöglichen und unser Land wettbewerbsfähig zu machen", sagt IW-Mann Hüther. Und sein Kollege Sebastian Dullien findet: "Es ist an der Zeit, die ideologischen Scheuklappen abzulegen."
Die Ökonomen nennen keine Namen und Parteien, doch es ist klar, wen sie meinen: In der Ampel ist es die FDP, die für die Schuldenbremse kämpft, sie gar für unantastbar erklärt hat. Und auch die Union als größte Oppositionsfraktion im Bundestag sieht keine Notwendigkeit, die strengen Regeln zu lockern – obgleich es einige Ministerpräsidenten gibt, die das anders sehen.
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IMK-Ökonom Dullien findet es "tragisch", dass einige Parteien nicht bereit seien, "über eine vernünftige Lösung zu diskutieren". Michael Hüther erkennt gar eine "Diskursverweigerung" und schimpft vor der Hauptstadtpresse: "Das geht einfach nicht".
Bundeshaushalt 2025 könnte Zerreißprobe für Ampel werden
Mit ihren Vorschlägen stoßen die Ökonomen in lagerübergreifender Eintracht mitten in die Verhandlungen um den Bundeshaushalt 2025. Hier fehlen der Ampel rund 25 Milliarden Euro. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat seine Kolleginnen und Kollegen zum Sparen aufgefordert. Der Etat fürs nächste Jahr hat das Potenzial und die Wucht, zur wahren Bewährungsprobe für das fragile Bündnis zu werden.
Ob die Ökonomen selbst glauben, mit ihren Vorschlägen gehört zu werden? IW-Forscher Hüther geht nicht davon aus, dass es auf absehbare Zeit eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag für eine Reform der Schuldenbremse geben wird. Er setzt daher auf ein Sondervermögen. Sein Kollege Dullien ist optimistischer. "In dieser Legislatur wird nicht viel passieren". Aber: "Ich habe die Hoffnung, dass sich danach etwas tut".
Zumindest in diesem Punkt sind die Ökonomen also wieder unterschiedlicher Ansicht.
Verwendete Quelle
- Vorstellung der Studie in der Bundespressekonferenz
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