Ein russischer Investor kauft die Supermarktkette Real. Länger schon versuchte Wladimir Jewtuschenkow, einen Fuß in die deutsche Wirtschaft zu bekommen. Ein "stiller Oligarch" auf Expansionskurs.
Im Februar haben sie die Verträge unterschrieben: Der Finanzinvestor SCP kauft dem Düsseldorfer Handelskonzern Metro die Supermarktkette Real ab. Und die Mitarbeiter zittern.
Einen Großteil der 276 Märkte will SCP den Ankündigungen zufolge an Wettbewerber wie Kaufland oder Edeka veräußern. 50 Filialen führt der Investor für 24 Monate als Real-Märkte weiter, etwa 30 sollen schließen.
Eng mit der SCP-Gruppe verbunden ist der russische Aktien-Konzern Sistema, an dessen Spitze Oligarch Wladimir Jewtuschenkow steht. Ein Milliardär, der die Fühler bereits vor Jahren in Richtung der deutschen Wirtschaft ausgestreckt hat – bis zum Real-Deal jedoch vergeblich.
Wer ist Wladimir Jewtuschenkow?
Jewtuschenkow ist 1948 in der Region Smolensk im Westen Russlands geboren. Zu kommunistischen Zeiten war er Parteimitglied. Nach einem Chemie-Studium arbeitete er zunächst als Manager einer staatlichen Kunststofffabrik, leitete anschließend ab 1987 das Komitee für Wissenschaft und Technik der Moskauer Stadtverwaltung. Dann wechselte der ehrgeizige Geschäftsmann in die Privatwirtschaft: 1993 gründete er Sistema.
Heute hält Wladimir Jewtuschenkow 59,2 Prozent der Aktien des Mischkonzerns. Dieser wiederum hält als privater Investor Anteile an Unternehmen aus diversen Wirtschaftsbereichen. Die Firmen, die überwiegend in Russland sitzen, gehören etwa der Telekommunikationsbranche an, dem Einzelhandel oder der Agrarwirtschaft.
Sie stammen unter anderem aus dem Technologiebereich, dem Bankwesen oder der Immobilienbranche. An den meisten der Unternehmen, die Sistema nach eigenen Angaben "durch Umstrukturierungen effizienter" macht, hält der Konzern die Mehrheitsaktien.
Bei Real übernimmt der Sohn die Geschäfte
Im Fall von Real hat Felix Jewtuschenkow die Verhandlungen übernommen, der 41 Jahre alte Sohn des Oligarchen. Der junge Unternehmer studierte in Moskau internationales Recht und Wirtschaft. Im Konzern seines Vaters übernimmt er längst Verantwortung, ist unter anderem Aufsichtsratsmitglied und Anteilseigner.
Die SCP-Gruppe hat der junge Jewtuschenkow erst vor wenigen Jahren in Luxemburg gegründet. Mit Joint-Venture-Partnern – wie im Fall Real mit dem Immobilieninvestor X+Bricks – expandiert er in europäische Märkte.
Für Real zahlt Felix Jewtuschenkow nun 200 Millionen Euro weniger, als Metro für die Supermarktkette eigentlich haben wollte. Auch Felix‘ Schwester Tatjana und die Mutter der beiden, Jewtuschenkows Ehefrau Natalia, übernehmen wichtige Posten im Sistema-Unternehmen.
Tiefpunkte: Riesiger Vermögensverlust – und Hausarrest
In Moskau gilt Wladimir Jewtuschenkow dem Nachrichtenmagazin "Spiegel" zufolge als unauffälliger Geschäftsmann, als "stiller Oligarch". Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion soll er die Privatisierung von Staatsbetrieben geschickt für sich genutzt haben. Doch zuletzt ging es nicht nur bergauf: Dem Wirtschaftsmagazin "Forbes" zufolge verlor Jewtuschenkow Mitte der 2010er Jahre innerhalb weniger Monate 6,2 Milliarden Dollar – sein Vermögen schrumpfte damit von 9 auf 2,8 Milliarden Dollar.
Die Sanktionen des Westens wegen des Kriegs in der Ostukraine und der fallende Ölpreis machten der russischen Wirtschaft insgesamt schwer zu schaffen, der Rubel verfiel. Allein 2014 verloren die reichsten Russen Berichten zufolge rund 62 Milliarden Dollar – und Jewtuschenkow musste prozentual den größten Vermögensverlust hinnehmen: Auch, weil sein Anteil am Ölkonzern Bashneft verstaatlicht wurde – und der Sistema-Aktionskurs daraufhin steil sank.
"Staat sitzt immer am längeren Hebel"
Wie die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) berichtet, hatte der Geschäftsmann 49 Prozent des Ölkonzerns offenbar weit unter dem Marktwert übernommen. Deshalb stellte ihn die Justiz im September 2014 wegen Geldwäscheverdachts unter Hausarrest.
Schon wenige Monate später wurde er entlassen. Der russische Präsident Wladimir Putin gab bekannt, dass die Ermittlungen gegen Jewtuschenkow eingestellt worden seien. Zuvor soll Sistema seine Bashneft-Anteile an den Staat übertragen haben. "Der Staat sitzt immer am längeren Hebel", hatte Jewtuschenkow dem "Spiegel" einmal gesagt.
Ganz ungeschoren kam Sistema dennoch nicht davon, wie die SZ weiter berichtet. 2017 verurteilte ein Gericht den Konzern dazu, 1,8 Milliarden Euro an den neuen Käufer des Bashneft-Aktienpakets zu zahlen: den staatlichen Ölkonzern Rosneft, dessen Aufsichtsratsvorsitzender seit Ende September 2017 der deutsche Altkanzler Gerhard Schröder ist.
Bundesregierung vermasselt Telekom-Einstieg
Schon Jahre vor den riesigen Verlusten hatte der russische Milliardär versucht, in deutsche Unternehmen zu investieren: 2006 wollte Sistema Großaktionär bei der Telekom werden. Damals vermasselte die Bundesregierung, die rund ein Drittel der Aktien des Telekommunikationsunternehmens hielt, dem Oligarchen das Geschäft.
Nach Angaben des "Handelsblatts" handelte es sich damals um einen "von Präsident Putin politisch flankierten Versuch", bei der Telekom mitzumischen. Mehrfach signalisierte Sistema daraufhin Interesse am bayerischen Chiphersteller Infineon – ebenfalls erfolglos. Viele Jahre später gelingt nun der Einstieg – über eine marode Supermarktkette.
Verwendete Quellen:
- Webseite des Unternehmens Sistema
- Business Insider: Das ist die russische Oligarchen-Familie, die jetzt die Supermarktkette Real übernimmt
- Süddeutsche Zeitung: Der Mann, der die Real-Märkte übernimmt
- Spiegel: Dieser Oligarch will die Real-Märkte kaufen
- Manager Magazin: Dieser Russe steckt hinter dem Kauf der Real-Supermärkte
- Handelsblatt: Sistema will sich Telekom warm halten
- Welt: So trifft der Rubel-Verfall die russischen Milliardäre
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