Der "Wirtschaftsweise" Martin Werding kritisiert die Rentenpolitik der Ampel. Ein Gespräch über ein System in Schieflage, Aktien in der Altersvorsorge und die Frage, ob nicht auch Beamte in die Sozialkassen einzahlen sollten.
Martin Werding ist ein Mann der Zahlen. Als Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität in Bochum hat er einen präzisen Blick auf den deutschen Sozialstaat – und seine Kosten.
Vor allem die Rentenpolitik bereitet Werding Sorgen. Dass die Bundesregierung nun auch das Rentenniveau festschreiben will, hält der VWL-Professor und "Wirtschaftsweise" für einen schweren Fehler. Was stattdessen zu tun wäre, sagt Werding im Interview.
Herr Werding, noch in diesem Monat will die Ampel ihre Rentenreform durchs Kabinett bringen, die – im Kern – die Sicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent und den Einstieg in Aktien („Generationenkapital“) vorsieht. Sind die Probleme der Rente damit gelöst?
Martin Werding: Nein, das Gegenteil ist der Fall. Die Koalition verlässt mit ihren Plänen den Pfad der Rentenpolitik der letzten 20 Jahre. Da war es so: Die Kosten der Demografie – also der Alterung – werden zwischen den Generationen fair aufgeteilt. Das Rentenniveau sinkt etwas, dafür steigen die Beiträge nicht so stark. Dieser Konsens wird jetzt aufgekündigt. Und die Kosten tragen einseitig die Jungen.
Ein stabiles Rentenniveau heißt, dass Löhne und Renten im Gleichschritt wachsen. Ist das nicht fair?
Die Frage ist doch: fair gegenüber wem? Aus Sicht der Rentner mag das so klingen. Aus Sicht derer, die es bezahlen müssen, ist es nicht fair. In der Rentenpolitik ist oft von Anstand und Respekt die Rede. Was ich vermisse, ist der Respekt gegenüber den Beitragszahlern.
Was meinen Sie damit?
Die Gesellschaft wird immer älter. Und nicht nur die Ausgaben für die Rente steigen. Auch bei der Krankenversicherung oder der Pflege ist mit deutlichen Beitragssteigerungen zu rechnen. Früher hieß es: Die Sozialabgaben sollen nicht über 40 Prozent vom Bruttolohn steigen. Es dauert aber nicht mehr lange, dann sind wir bei 43, 44 Prozent – das ist ein gewaltiger Unterschied.
Der SPD-Arbeitsminister sagt, dass ein stabiles Sicherungsniveau das Vertrauen der Jüngeren in die gesetzliche Rente stärkt.
Für die Jüngeren wäre es besser, wenn die Beiträge stabil bleiben und sie zusätzlich privat vorsorgen. Ein solches System kann staatlich gefördert sein, nur müsste es dann besser ausgestaltet sein als Riester.
Die FDP hat mit dem Generationenkapital eine weitere Säule ins Rentensystem eingebaut – eine, die auf die Rendite des Kapitalmarkts setzt, um so den Anstieg der Beitragssätze abzudämpfen.
Das Generationenkapital ist falsch angelegt: Der Staat leiht sich Geld, zahlt dafür Zinsen und investiert am Kapitalmarkt. Die Rendite wird so bereits durch die Zinsausgaben geschmälert. Ab 2036 sind dann jährliche Ausschüttungen von zehn Milliarden Euro vorgesehen. Die Rentenausgaben liegen dann aber vermutlich bei 550 Milliarden Euro. Das zeigt: Es ist nicht mehr als der Tropfen auf dem heißen Stein.
Wirtschaftsprofessor Werding: "Aktien versprechen die höchste Rendite"
Wäre es besser, stärker auf Aktien zu setzen?
Ja, durchaus auch in der ersten Säule. Heißt: Ein Teil der individuellen Beitragszahlungen ins Rentensystem fließt direkt in einen breit gestreuten Aktienfonds. Das war die Idee der Aktienrente. Da ist die Rendite deutlich höher als im Umlageverfahren der gesetzlichen Rente. Es wäre auch denkbar, die private und betriebliche Altersvorsorge zu stärken. Es gibt also Optionen. Nur: Man muss etwas tun.
In der Vergangenheit gab es allerdings auch Phasen, in denen breit gestreute Aktienfonds über Jahre Verluste eingefahren haben.
Klar, Aktienmärkte schwanken und es kann heftige Einbrüche geben. Die Daten zeigen aber: Über Zeiträume von 40 Jahren bestehen im Grunde keine Verlustrisiken mehr. Daher ist es wichtig, früh anzufangen. Und den Aktienanteil im Zeitverlauf langsam runterzufahren. Fakt ist: Als Anlageklasse versprechen Aktien die höchsten Renditen – und zwar über alle historischen Krisen hinweg.
Nun ließe sich die Rente auch anders stabilisieren. Durch mehr Beitragszahler und höhere Löhne.
Wenn die Löhne steigen, ist das gut. Es bedeutet auch, dass die Rente höher ausfällt. Nur: Es ändert nichts an der Demografie. Die Probleme bei Beitragssatz und Sicherungsniveau bleiben unverändert. Trotzdem ist es wichtig – auch mit Blick auf den Arbeitsmarkt – auf eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen oder mehr qualifizierte Zuwanderung zu setzen. Es wäre aber naiv zu glauben, dass das allein die Rente zukunftsfest macht.
Ein anderer Vorschlag: Auch Beamte und Selbstständige zahlen in die Rentenkasse ein.
Darüber kann man diskutieren. Der Sachverständigenrat hat empfohlen, die Beamten ins gesetzliche Rentensystem einzugliedern – dabei aber die öffentlichen Haushalte nicht zu überfordern. Mit der Eingliederung sind die Finanzierungsprobleme im System nicht gelöst, es gibt dann auch mehr Leistungsempfänger. Ein solcher Schritt hätte allerdings den Vorteil, dass Rentenreformen unmittelbar auf die Beamten übertragen werden.
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Müssen sich die Deutschen darauf einstellen, länger zu arbeiten?
Im Prinzip: ja. Natürlich muss es Ausnahmen für Härtefälle geben, dafür wurde auch die Erwerbsminderungsrente deutlich verbessert. Vom Grundsatz sollte aber gelten, dass das Renteneintrittsalter langsam und regelgebunden steigt. Das heißt: Wenn die Lebenserwartung im Schnitt um ein Jahr steigt, sollten zwei Drittel davon, also acht Monate, in eine längere Lebensarbeitszeit übersetzt werden und ein Drittel in einen längeren Rentenbezug.
Waren die Ampel-Jahre in der Rentenpolitik verlorene Jahre?
Die Gefahr besteht. Ich habe aber noch die leise Hoffnung, dass die Ampel ihr Rentenpaket korrigiert. Bislang ist es ja noch nicht beschlossen. Sollte die Koalition es aber so auf den Weg bringen, wäre es ein weiterer Rückschlag auf dem Weg, das Rentensystem demografiefest zu machen.
Über den Gesprächspartner
- Martin Werding ist Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum. Seit September 2022 ist er Mitglied des Sachverständigenrats Wirtschaft. Er ist auf Vorschlag der Arbeitgeber – auch die Gewerkschaften schlagen einen "Wirtschaftsweisen" vor – in das Gremium eingezogen. Werding studierte Philosophie und Volkswirtschaftslehre und war vor seiner Zeit in Bochum beim Ifo-Institut in München tätig.
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