Neue Schulden für Verteidigungsausgaben und obendrauf 500 Milliarden für die Infrastruktur auf Pump. Kann Deutschland sich das leisten? Ein Experte sagt: ja.

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In der Zeit zwischen einer Bundestagswahl und der ersten Sitzung des neuen Parlaments ein Hunderte Milliarden schweres Investitionspaket beschließen zu wollen, ist ein ungewöhnliches Manöver. Warum und wie der Ökonom Carl-Ludwig Holtfrerich, emeritierter Professor der Freien Universität Berlin, es mit Blick auf die Staatsverschuldung bewertet, lesen Sie hier:

Was haben Union und SPD vor?

Union und SPD wollen die Schuldenbremse dahingehend verändern, dass Ausgaben für Verteidigung, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten, künftig über neue Kredite finanziert werden können. Hintergrund ist, dass US-Präsident Donald Trump Europa zwingt, stärker selbst für seine Sicherheit zu sorgen.

Ein Sondervermögen soll es außerdem ermöglichen, 500 Milliarden Euro in die Infrastruktur zu investieren, und zwar ebenfalls auf Pump.

Weil die Schuldenbremse in der Verfassung verankert ist, ist für eine Reform eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig. Dafür sind Union und SPD auf Stimmen von Grünen und FDP angewiesen. Die Zeit drängt: Bis spätestens 25. März muss sich das Parlament neu konstituieren – und dann fehlen die Abgeordneten der FDP. Denn die war bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.

Was ist der Unterschied zwischen einem Sondervermögen und anderen Krediten?

Das Sondervermögen für Investitionen in die Infrastruktur ist nach oben begrenzt: auf 500 Milliarden Euro. Und auch der zeitliche Rahmen ist klar: Die Summe soll sich auf zehn Jahre verteilen. Anders verhält es sich bei den Verteidigungsausgaben: Was über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, soll künftig nicht aus den Steuereinnahmen bestritten werden müssen, sondern durch Schulden finanziert werden dürfen. "Dabei ist das Volumen praktisch unbegrenzt und kann der politischen und militärischen Entwicklung angepasst werden", erklärt Carl-Friedrich Holtfrerich im Gespräch mit unserer Redaktion.

Zur Person

  • Carl-Ludwig Holtfrerich ist habilitierter Wirtschaftshistoriker.
  • Vor seiner Emeritierung lehrte er Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der Freien Universität Berlin.
  • In seiner Wissenschaftskarriere hat er sich viel mit der Deutschen Mark, mit Inflation und Staatsschulden beschäftigt. 2015 hat er in der Zeitung "Wirtschaftsdienst" den Aufsatz "Staatsschulden: Ursachen, Wirkungen und Grenzen" veröffentlicht.

Kann sich Deutschland neue Schulden leisten?

Die Schuldenquote, sprich das Verhältnis des Schuldenstandes zum Bruttoinlandsprodukt, liegt in Deutschland derzeit bei 63 Prozent. Die EU hat 60 Prozent als Grenze festgelegt, wobei nur rund die Hälfte der EU-Staaten diese einhalten. Die anderen liegen teils deutlich darüber: Österreich zum Beispiel kommt auf 83 Prozent, Frankreich auf 114 Prozent und Griechenland, das die Statistik anführt, gar auf 158 Prozent Schuldenquote.

Kritiker warnen vor diesem Hintergrund vor den Plänen von Union und SPD. Holtfrerich, der Staatsverschuldung zu den Schwerpunkten seiner Forschung zählt, hingegen sagt: "Als Schuldenbremse genügt, was im Prinzip seit über 150 Jahren als Schuldenbremse in deutschen Verfassungen festgelegt war, nämlich, dass nur zukunftsträchtige Investitionen von der Beschränkung der Kreditaufnahme ausgenommen waren, keine Konsumausgaben wie Renten, Sozialleistungen oder Beamtengehälter."

Würde Deutschlands Schuldenquote in die Höhe schnellen?

Das lässt sich momentan noch nicht sagen, schließlich hängt die Größe nicht nur vom Schuldenstand ab, sondern auch vom Bruttoinlandsprodukt (BIP), anders gesagt davon, wie sich die Wirtschaft entwickelt. "Die Schuldenquote ist ja Schuldenstand im Zähler und BIP im Nenner", sagt Holtfrerich. "Und wenn das Bruttoinlandsprodukt wächst, dann – einfache Bruchrechnung – wird der Bruch kleiner. Das heißt, die Schuldenquote sinkt."

Das Ganze ist also eine Wette auf das Wirtschaftswachstum?

So kann man es sehen, wobei Holtfrerich überzeugt ist, dass Deutschland diese gewinnen wird. Wenn der Staat massiv Geld in die Infrastruktur investiert, werde das eine "große, große Wachstumswirkung haben". Die Lockerung der Schuldenbremse mit dem Sondervermögen zu verknüpfen, ist aus seiner Sicht ein kluger Schachzug. "Wir hatten ja drei Jahre Rezession in Folge – das gab es noch nie seit 1945. Es ist also dringend erforderlich, dass der Staat Möglichkeiten erhält, um per Kredit Investitionen durchzuführen, die zugleich die Wirtschaft auf Trab bringen und den auf 600 Milliarden Euro geschätzten Rückstau an notwendigen Investitionen in die Infrastruktur abbauen."

Und unsere Kinder müssen die Schulden dann zurückzahlen?

Wer sich als Privatperson Geld leiht, kommt nicht darum herum, es zurückzuzahlen. Bei Staaten sei das anders, sagt der Experte. "Es ist in der Wirtschaftsgeschichte eigentlich immer so gewesen, dass Staatsschulden nicht zurückgeführt wurden, sondern die Schuldenquote dadurch gesenkt wurde, dass im Nenner das nominale BIP, sprich reale Wachstumsrate plus Inflationsrate, gewachsen ist."

Von der Gründung der Bundesrepublik bis 1973 stieg die Staatsverschuldung jedes Jahr um ungefähr zehn Prozent. Wirtschaftswachstum plus Inflation lagen genauso hoch. Das heißt, die Quote hat sich – im Trend – nicht verändert. Nach 1973 hat das Wachstum der Schulden zunächst nicht nachgelassen, das Wirtschaftswachstum schon. Das hat die Erhöhung der Schuldenquote bewirkt.

Doch selbst wenn ein Staat die Schulden nicht tilgt, gibt es sie nicht umsonst. Schon heute zahlt Deutschland jedes Jahr 40 Milliarden Euro Zinsen. Macht das Land mehr neue Schulden, als es tilgt, steigt die Zinslast.

Was ist mit der Generationengerechtigkeit?

Gegner neuer Schulden argumentieren, dass es ungerecht sei, die Bürger von morgen mit den Problemen von heute zu belasten. "Was nützt es denn der zukünftigen Generation, wenn wir ihr zwar weniger Schulden zurücklassen, aber eine völlig kaputte Infrastruktur?", entgegnet Holtfrerich.

Außerdem kritisiert er die gängigen Kennzahlen: Um beurteilen zu können, ob man den nachfolgenden Generationen Altlasten aufbürdet oder nicht, müsse man den Staatsschulden nicht das Bruttoinlandsprodukt gegenüberstellen, sondern das Staatsvermögen. "Um die zukünftigen Generationen nicht zu belasten, müsste es im Gleichschritt mit dem nominalen BIP wachsen."

Tatsächlich aber ist das Staatsvermögen seit den 1990er-Jahren mehr und mehr geschrumpft. Seit 2009 die Schuldenbremse eingeführt wurde, haben die Regierungen teilweise weniger Geld in neue Straßen, Schienen und Brücken investiert, als sie abgeschrieben, sprich als Verschleiß beziffert, haben. Holtfrerich hofft auf eine Trendwende durch die Infrastrukturinvestitionen aus dem Sondervermögen.

Verwendete Quellen:

Teaserbild: © IMAGO/Jens Schicker