Immer wieder werden die schwarze Null und die Schuldenbremse verwechselt – auch von Spitzenpolitikern. Worin bestehen die Unterschiede? Weshalb wird die schwarze Null politisch bekämpft? Und wieso lohnen sich Schulden für den Bund derzeit?
Am 13.10.2017 waren die Beamten des Bundesfinanzministeriums in Feierlaune. Die CDU hatte zwar nach zwei Legislaturperioden ihren Zugriff auf das mächtige Ministerium an die SPD abgegeben. Doch die Beamten feierten ein letztes Mal ihren Chef Wolfgang Schäuble, bevor dieser an die Spitze des Parlaments rückte und Platz für Olaf Scholz machte.
Auf dem Innenhof des Ministeriums in Berlin stellten sich die Mitarbeiter in Form der Ziffer "Null" zusammen. Es war eine Hommage an Schäuble, den Architekten der schwarzen Null, dessen Werk für die CDU einem Geniestreich glich und für die Opposition längst ein politischer Kampfbegriff geworden ist.
An kaum einem Detail der deutschen Finanzpolitik scheiden sich die Geister so wie an der schwarzen Null. Infrastruktur, Generationengerechtigkeit, Bildung: Fast jeder politische Begriff wurde schon in den Zusammenhang mit der schwarzen Null gebracht. Nicht selten kommt es dabei zu Verwechslungen mit der Schuldenbremse. Selbst der CDU-Vorsitzenden passierte das bereits.
Dabei ist die schwarze Null schnell erklärt: Ein Staat, der sie verteidigt, gibt nicht mehr aus, als er einnimmt. Wenn für die Finanzierung der laufenden staatlichen Aufgaben keine neuen Schulden nötig sind, ist der Haushalt ausgeglichen.
Im Bund hatte
Doch als die CDU den Sozialdemokraten in den Koalitionsverhandlungen 2013 gegen viel Widerstand die schwarze Null abringen konnte, ahnte wahrscheinlich niemand, dass fünf Jahre später ausgerechnet ein Sozialdemokrat diese restriktive Fiskalpolitik fortführen würde.
Doch
Schwarze Null als Symbol für Generationengerechtigkeit
Für viele Menschen ist die schwarze Null das Versprechen, dass die Politik Zusagen einhält. Schließlich ist es dem Bund in seiner Geschichte nie gelungen, einmal aufgenommene Schulden gesamtheitlich abzubauen. Im Gegenteil: Für seine mehr als 1.000 Milliarden Euro Schulden muss der Bund derzeit rund 15 Milliarden Euro leisten – jährlich. Es wäre deshalb schwer zu vermitteln, wenn die Politik auf Kosten von Generationen wirtschaftet, die heute noch nicht geboren sind.
Zudem hat der Staat keinesfalls ein Einnahmeproblem. Allein im ersten Halbjahr 2019 erwirtschaftete der Bund einen Haushaltsüberschuss von rund 45 Milliarden Euro. In den Schattenhaushalten des Bundes schlummern Milliarden, die etwa für die Elektromobilität, die Digitalisierung oder Schulsanierungen reserviert sind.
Doch seit Jahren rügt der Bundesrechnungshof, dass die Mittel nicht abfließen. Die Motive sind dabei unterschiedlich: Mal werden Kaufprämien für E-Autos von den Kunden abgelehnt oder es gibt schlichtweg nicht genügend Handwerker, die geplante Projekte umsetzen können. Dieses Problem würde auch mit der Aufnahme neuer Schulden nicht verschwinden.
Viele Experten halten die Haushaltskonsolidierung deshalb für eine gute Sache. Doch werden dringend notwendige Ausgaben nicht getätigt, kann das Dogma der schwarzen Null als Bumerang zurückkehren.
Auch deshalb verging etwa bei der SPD in den vergangenen Monaten kaum eine Regionalkonferenz, auf der sich nicht ein Kandidat zur Überwindung der schwarzen Null bekannte. Es lohnt deshalb ein Blick auf die Argumente der zahlreichen Kritiker, die sich nicht nur unter den weniger auf Konsolidierung bedachten linken Parteien finden, sondern auch unter den liberalen Anhängern.
Kredite sind günstig für den Bund
Sich frisches Geld zu leihen, ist für Deutschland derzeit ein gutes Geschäft. Viele Investoren wissen angesichts niedriger Zinsen aktuell nicht, wo sie ihr Geld anlegen sollen. Die Möglichkeit, in Aktien zu investieren, ist gerade für Versicherer und institutionelle Anleger begrenzt, weil diese in risikoarme Anlageklassen investieren müssen.
Dazu gehören zum Beispiel deutsche Bundesanleihen, deren Renditen derzeit bei -0,29 Prozent liegen. Heißt: Leiht sich der Bund 100 Euro für zehn Jahre, bekommt er von den Investoren derzeit 2,90 Euro geschenkt.
Es ist "ökonomisch unklug, was der Bundesfinanzminister macht", meinte deshalb etwa Michael Hüther, Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft (DIW) kürzlich in einem Interview mit der FAZ. Dort forderte er ein 450 Milliarden schweres Investitionsprogramm. Es sei dumm, wenn der Bund bei den niedrigen Zinsen keine neuen Schulden aufnehmen würde, also "die Chancen, die der Kapitalmarkt gibt, nicht zu nutzen und damit zu wenig zu investieren."
So ließe man "Geld auf dem Bürgersteig, auf der Straße schlicht liegen - und das kann keine sinnvolle Strategie sein", so Hüther. Investitionsmöglichkeiten gibt es schließlich genug: Etwa bei Schulen, der Internetversorgung oder dem Klimaschutz.
Gerade deshalb ist es fraglich, ob die vielbeschworene Generationengerechtigkeit wirklich im Interesse der Jugend liegt, oder von den Befürwortern der schwarzen Null als Feigenblatt missbraucht wird.
Spätestens mit Greta Thunberg und der "Fridays for Future"-Bewegung sorgen sich viele Jugendliche weniger darum, in zehn Jahren keinen ausgeglichenen Staatshaushalt vorzufinden als vor einer womöglich bevorstehenden Klimakrise.
Damit treffen sie einen Nerv, auch und gerade in der Politik. Allein bis 2023 meldeten die mit dem Thema befassten Ministerien Klimaschutzvorhaben in Höhe von 32 Milliarden Euro an – Tendenz steigend. Ob die Projekte ohne die Aufnahme neuer Schulden finanziert werden können, ist fraglich.
Bei der Schuldenbremse gibt es Ausnahmen
Doch müssen sie das überhaupt? Es gäbe noch einen Mittelweg, der gerne mit der schwarzen Null verwechselt wird: Die Schuldenbremse. Auch CDU-Chefin und Annegret Kramp-Karrenbauer passierte dies vergangenen August in einem Interview. Dort sagte sie auf die Frage, wann der Punkt erreicht sei, an dem man die schwarze Null zu den Akten legen könne: Man habe in den "vergangenen Jahren bewiesen, dass man solide haushalten kann, mit einer schwarzen Null und trotzdem auch gute wirtschaftliche Entwicklung haben kann. Wir haben zurzeit vor allen Dingen eine Herausforderung: Geld, das vorhanden ist, zu investieren."
Das war CDU pur. Doch dann sagte Kramp-Karrenbauer: "Darüber hinaus sieht auch die jetzige Regelung zu einer schwarzen Null im Grundgesetz Ausnahmemöglichkeiten vor, etwa für den Fall einer Krise. Deswegen braucht man das Prinzip an sich nicht gleich zur Seite zu legen."
Grundgesetz? Ausnahmen für den Fall einer Krise? AKK war in eine Falle getappt und hatte offensichtlich schwarze Null und Schuldenbremse miteinander verwechselt.
Denn während Erstere lediglich eine politische Vereinbarung unter Koalitionspartnern ist und folglich jederzeit gekippt werden könnte, hat die Schuldenbremse tatsächlich Verfassungsrang.
"Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen", steht in Artikel 109 des Grundgesetzes. Der Grundgedanke ist derselbe wie bei der schwarzen Null: Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich im Gleichgewicht zu halten. Der Bund darf demnach innerhalb eines Jahres nicht die Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen durch Kredite ausgleichen.
Anders als bei der schwarzen Null, gibt es dabei aber Ausnahmen: Solange 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschritten werden, ist die Schuldenbremse eingehalten. Für das Jahr 2018 waren das immerhin rund 12 Milliarden Euro. Zudem darf die Verschuldung in Notlagen wie einer Wirtschaftskrise oder einer Naturkatastrophe höher ausfallen.
Die schwarze Null ist also so etwas wie der restriktivere Bruder der Schuldenbremse. Auch auf Landesebene gilt ab diesem Jahr die Schuldenbremse. Ausnahmen, die eine minimale Verschuldung vorsehen, gibt es dort aber nicht.
Die schwarze Null ist dagegen Verhandlungssache und wäre unter einer rot-rot-grünen Bundesregierung vermutlich vom Tisch. Auch für die CDU dürfte die schwarze Null einen hohen Preis haben, sollte sie ihren Weg in einen Koalitionsvertrag mit den Grünen finden. Gut möglich also, dass Olaf Scholz für lange Zeit der letzte Finanzminister ist, der mit einer menschlichen Null aus seinem Ministerium verabschiedet wird.
Verwendete Quellen:
- Sachverständigenrat Deutschland – Die Schuldenbremse
- Bundeshaushalt 2019
- Bundesfinanzministerium - Abrechnung der grundgesetzlichen Regel zur Begrenzung der Neuverschuldung 2017 (PDF)
- Bundesfinanzministerium – Kompendium zur Schuldenbremse des Bundes
- Deutsche Bundesbank – Bundeswertpapiere (PDF)
- Investing - 10-jährige deutsche Anleiherendite
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