- Nach den Corona-Ausbrüchen ist Schlachtkonzern Tönnies zum Synonym für schlechte Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie geworden.
- Was hat sich fast zwei Jahre später getan? Leih- und Werkvertragsarbeit sind inzwischen verboten, auch Arbeitstage mit mehr als 10 Arbeitsstunden wurde ein Riegel vorgeschoben.
- Gewerkschaften sehen dennoch Nachbesserungsbedarf an vielen Stellen.
Der massive Corona-Ausbruch unter den Schlachthof-Mitarbeitern der Tönnies-Belegschaft im Jahr 2020 hatte sie in den Fokus gerückt: Dass der Betrieb mit Sitz in Rheda-Wiedenbrück zu einem der größten Infektionsherde Deutschlands wurde, hatte auch mit den schlechten Arbeitsbedingungen der Leih- und Werkvertragsarbeiter aus Polen, Rumänien und Bulgarien zu tun - selbst wenn ein Gericht mittlerweile die Übertragung des Virus mittels Aerosolen über die Lüftungsanlage als Hauptfaktor sieht.
Pfarrer Peter Kossen aus dem nordrhein-westfälischen Lengerich, der seit langem für bessere Arbeitsbedingungen kämpft, hatte die Situation Mitte 2020 im "Deutschlandfunk" wie folgt beschrieben: "Die Mitarbeiter werden zu Konditionen beschäftigt und untergebracht, die nicht zu rechtfertigen sind." Für die Profitmaximierung verbrauche man Menschen und behandele sie wie austauschbare Maschinen. Kossen spricht dabei von "Moderner Sklaverei", die Subunternehmer bezeichnet er als "Mafia".
Verbot von Leiharbeit seit 2021
Fast zwei Jahre nach den Corona-Ausbrüchen auf mehreren Schlachthöfen stellt sich nun die Frage: Haben sich die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie verbessert? Seit April 2021 verbietet das Arbeitsschutzkontrollgesetz Leih- und Werkvertragsarbeit in der Fleischindustrie, große Fabriken mit mehr als 50 Beschäftigten mussten deshalb mehr Arbeiter ins Stammpersonal übernehmen.
Allein am Stammsitz von Tönnies wurden nach Unternehmensangaben mehrere Tausend Werkvertragsarbeiter übernommen. Die "Bundesagentur für Arbeit" spricht insgesamt von rund 16.000 Menschen, die gegenüber den Zahlen von Ende 2020 zur Jahresmitte 2021 mehr zu dem Wirtschaftszweig Schlachten und Fleischverarbeitung gezählt werden.
Lücken im Gesetz
Doch es gibt Ausnahmen: Während Produktionsspitzen - wie in der Grillsaison - ist Leiharbeit weiterhin erlaubt. Außerdem bezieht sich das Arbeitsschutzkontrollgesetz nur auf den Kernbereich der Schlachtung und Zerlegung – Leiharbeit in der Reinigung oder Verpackung kommt also weiterhin zum Einsatz.
Allerdings schiebt das Gesetz Arbeitstagen mit bis zu 16 Arbeitsstunden einen Riegel vor. Die neu Festangestellten dürfen nur maximal zehn Stunden pro Tag arbeiten. Im Deutschlandfunk beklagte aber ein Arbeiter, es habe sich wenig verändert – nun müsse in weniger Arbeitszeit mehr Leistung erbracht werden. "Wenn die Frauen schwere Palletten nicht heben können, sagen die Vorarbeiter – scheißegal", berichtete der Arbeiter über den Druck am Arbeitsplatz.
Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung
Thomas Bernhard von der Gewerkschaft "Nahrung-Genuss-Gaststätten" (NGG) sagt auf Anfrage unserer Redaktion: "Die Situation in der Fleischwirtschaft hat sich seit dem 1.1.2021, dem Start des Arbeitsschutzkontrollgesetzes, für die Beschäftigten in Teilen tatsächlich gebessert". Durch die Verpflichtung, die Arbeitszeit elektronisch zu erfassen, berichteten Beschäftigte nur sehr eingeschränkt, dass Arbeitsstunden nicht bezahlt würden.
Seit Jahresbeginn gilt für die Fleischwirtschaft ein Mindestlohn von 11 Euro. Ab Dezember 2022 steigt er auf 11,50 Euro, ein Jahr später auf 12,30 Euro. Damit liegt der branchengebundene Lohn über dem gesetzlichen Mindestlohn (derzeit 9,82 Euro). "Auch exorbitante tägliche Arbeitszeiten von mehr als 10 Stunden wurden durch die verpflichtende elektronische Zeiterfassung erheblich eingeschränkt", so Bernhard.
Unfälle nicht gemeldet
Dennoch sagt der Gewerkschaftler: "Nach wie vor gibt es deutliche Hinweise darauf, dass verunfallte oder arbeitsunfähige Menschen fristlos gekündigt und ihnen unmittelbar die Unterkunft entzogen wird." Es werde auch weiterhin davon berichtet, dass meldepflichtige Unfälle gar nicht gemeldet würden. "Erhebliche Schwierigkeiten werden uns auch bei Entgeltfortzahlung im Quarantänefall, also ohne Erkrankung, berichtet", so Bernhard.
Im Zusammenhang mit dem Corona-Ausbruch bei Tönnies war auch die prekäre Wohnsituation der Leiharbeiter in der Fleischindustrie öffentlich geworden. Ein großer Teil der Beschäftigten wird in Sammelunterkünften untergebracht, zahlt teilweise 200 Euro pro Person und Bett.
Unterbringungssituation verbessert
Dabei leben vier bis fünf Personen auf 50 Quadratmetern. Arbeitsminister Hubertus Heil hatte damals von einem "System der organisierten Verantwortungslosigkeit" gesprochen. In der neuen Arbeitsstättenverordnung wird deshalb künftig bestimmt, wie die Gemeinschaftsunterkünfte zur Unterbringung von Arbeitnehmern ausgestattet sein müssen, auch abseits des Betriebsgeländes. Die Geldbußen bei Verstößen sollen auf 30.000 Euro erhöht werden.
Tönnies gibt an, für die Arbeiter, die zuvor in Wohnungen von Subunternehmen gelebt haben, tausende neue Wohnplätze selbst geschaffen zu haben. Hunderte Wohnungen und Häuser seien gekauft oder angemietet worden. In NRW hatte Landesarbeitsminister Karl Josef Laumann (CDU) im Sommer in 650 Unterkünften NRW-weit 1900 Mängel festgestellt.
Gewerkschaft sieht Nachholbedarf
Aus Sicht von Gewerkschaftler Bernhard ist beim Thema Unterkünfte tatsächlich einiges in Bewegung geraten. Die Qualität der Unterkünfte habe sich teilweise erheblich gebessert. "Berichtet wird uns dazu von teilweise nicht unerheblichen Renovierungs- und Sanierungsarbeiten, von Qualitätsverbesserungen der Ausstattung und häufigeren Überprüfungen der Qualität der Unterkünfte", sagt er. Überzogene Mieten seien teilweise reduziert worden.
Massiven Nachbesserungsbedarf sieht die "NGG" dennoch. Die gesetzlichen Bedingungen in der Fleischwirtschaft würden nicht ausreichend kontrolliert – vor allem in den Bereichen Finanzkontrolle, Schwarzarbeit und Arbeitsschutz.
Härtere Kontrollen notwendig
"Es wäre sehr wünschenswert, wenn die Zuständigkeit der Kreise und kreisfreien Städte für die Arbeitsschutzbehörden in eine höhere politische Ebene verbracht würde", fordert Bernhard. In den vergangenen Jahren hätten vielen Fällen offenbart, dass die Abhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen zu hoch sei, um wirksam aufdeckte Verstöße gegen bestehende Regeln zu ahnden und abzustellen.
Nachholbedarf gibt es auch in puncto Umkleide- ,Wege-, Rüst- und Waschzeiten. "Zwar bestimmt das Arbeitsschutzkontrollgesetz, dass es sich dabei um Arbeitszeiten handelt, allerdings lässt die Erfassung dieser Zeiten in uns bekannten Betrieben sehr zu wünschen übrig", weiß Bernhard.
Umgang mit Gesetz sehr unterschiedlich
Auch Anna Szot, Branchenkoordinatorin im Bereich Fleischindustrie beim "Deutschen Gewerkschaftsbund" (DGB) kann positive Effekte durch das Arbeitsschutzkontrollgesetzt bestätigen: "Endlich haben Arbeitnehmer der ehemaligen Subunternehmer Zugang zu ganz elementaren Arbeitnehmerrechten", sagt sie.
Der Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall werde inzwischen ausgezahlt. "Sodass das Prozedere von früher, dass man bei Erkrankung erst kündigen musste, um sich nach der Genesung wieder einstellen zu lassen, nicht mehr praktiziert wird", erklärt Szot. Insgesamt sei der Umgang der Unternehmen mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz jedoch unterschiedlich.
Arbeiter: Angst vorm Streiken
Kritik übt der "DGB" derweil an der Integration der ehemaligen Subunternehmer in neue Positionen und einem mangelnden Schutz vor fristlosen Zwangsräumungen nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses in den Unterbringungen.
Szot meint deshalb: "Die Branche kann ihre eigene Zukunft nur sichern, wenn gute Arbeitsbedingungen verankert werden. Dies geht nur über Mitbestimmung und mit Tarifverträgen." Problem aber: Bei vielen osteuropäischen Arbeitern ist die Angst, sich an Streiks zu beteiligen, noch immer riesig.
Verwendete Quellen:
- "Deutschlandfunk": Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie: "Man verbraucht Menschen". 23.06.2020
- Bundesregierung.de: Arbeitsschutzkontrollgesetz in Kraft. Mehr Schutz für Arbeitnehmer
- IG Zeitarbeit: Neuer Mindestlohn in der Fleischwirtschaft. 04.01.2022
- Deutschlandfunk: Arbeitsbedingungen bei Tönnies & Co.Fleischarbeiter trotz neuem Gesetz unzufrieden.14.01.2021
- Anfrage beim NGG
- Anfrage beim DGB
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