Die deutsche Wirtschaft bleibt auch 2024 auf Rezessionskurs. Gewerkschaftsnahe Ökonomen fordern von der Ampel einen Kurswechsel, was vor allem heißt: Abkehr von der Schuldenbremse.
Neues Jahr, alte Probleme: Die deutsche Wirtschaft schrumpft zum zweiten Mal in Folge. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) geht in diesem Jahr um 0,3 Prozent zurück – so wie schon 2023. Davon geht das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in seiner neuen wirtschaftspolitischen Analyse aus.
Die Ökonominnen und Ökonomen rechnen damit, dass die Wirtschaftsleistung erst Ende 2024 wieder auf dem Niveau von 2019, also vor der Corona-Krise, liegen wird. "Deutschland hätte damit ein verlorenes halbes Jahrzehnt erlebt", sagt IMK-Direktor Sebastian Dullien. Dies habe allerdings auch Gründe, die sich dem Einfluss nationaler Politik entziehen.
Mit Covid und dem russischen Überfall auf die Ukraine hat die deutsche Volkswirtschaft in dieser Zeit zwei sogenannte exogene Schocks – also unerwartbare Ereignisse von außen – erlebt. Sowohl die Große Koalition als auch die Ampel hätten dabei "richtig reagiert und Schlimmeres verhindert", sagt Dullien. Doch dann kommt das "Aber".
Ökonomen kritisieren Sparkurs der Ampel
Die Wirtschaft befinde sich noch immer im Krisenmodus. Erschwerend kommt hinzu, dass die Finanzpolitik in diesem Jahr "deutlich restriktiv ausgerichtet" sei, wie Dullien es ausdrückt. Was damit gemeint ist: der Sparkurs der Ampel.
Hintergrund ist das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Karlsruher Richter hatten Ende letzten Jahres ein finanzpolitisches Beben ausgelöst, als sie der geplanten Umwandlung von nicht genutzten Corona-Krediten für Klimaschutzprojekte einen Riegel vorschoben. Dabei geht es, über mehrere Jahre verteilt, um 60 Milliarden Euro. Geld, das der Ampel nun fehlt.
Da die Schuldenbremse – vor allem auf Druck der FDP – in diesem Jahr wieder greifen soll, musste die Koalition Ausgaben kürzen. Ein Schritt, den die IMK-Ökonomen kritisieren. "Die Debatte um Kürzungen hat Vertrauen zerstört und Haushalte und Unternehmen verunsichert", sagt Dullien.
Die Forscherinnen und Forscher sehen zwei Herausforderungen, vor denen die Wirtschaftspolitik nun steht: So könnten sich zum einen Stagnationstendenzen verfestigen. Gemeint ist damit eine lahmende Wirtschaftsdynamik, weil Privathaushalte und Unternehmen Käufe beziehungsweise Investitionen zurückhalten. Der Aufschwung fällt also weiter aus.
Zahl der Arbeitslosen könnte deutlich steigen
Und zweitens: Der bislang so stabile Arbeitsmarkt könnte "kippen". Jahrelang trotzte der deutsche Arbeitsmarkt allen Krisen. Doch mit dieser Robustheit könnte es nun vorbei sein. Das IMK rechnet in diesem Jahr mit durchschnittlich 2,85 Millionen Arbeitslosen – das sind rund 430.000 mehr als noch 2022. Die Arbeitslosenquote dürfte im Zeitraum von zwei Jahren von 5,3 Prozent auf 6,2 Prozent steigen.
Oder mit anderen Worten: Wirtschaftspolitisch wird es deutlich ungemütlicher. Zumal das Land auch so vor großen Herausforderungen steht. Der ökologische Umbau der Wirtschaft läuft an, die Bundesrepublik will bis 2045 klimaneutral werden, Milliardeninvestitionen in Bildung und Infrastruktur sind zudem vonnöten. Dinge, die unter dem aktuellen finanzpolitischen Regelwerk nur schwer umsetzbar sind, finden die Forscherinnen und Forscher um IMK-Direktor Dullien.
Sie schlagen daher vor, die Schuldenbremse zu reformieren, sie ein Stück weit abzuwickeln und zur sogenannten "Goldenen Regel" zurückzukehren. Damit ist gemeint, dass der Staat in dem Maße Kredite aufnehmen kann, wie er Investitionen tätigt. Die Idee dahinter: Kommende Generationen profitieren von Investitionen der Gegenwart, etwa in Schulen oder Verkehrswege.
Das wäre ökonomisch und ethisch plausibel zu begründen, so die Wissenschaftler. Nur: Die Chancen für eine solche Reform stehen nicht gut. Die politischen Mehrheiten seien demnach in absehbarer Zeit "nicht gegeben", so Dullien.
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Volkswirte offen für zweites Sondervermögen
Alternativ schlagen die Volkswirte – parallel zum Sondervermögen der Bundeswehr – ein im Grundgesetz verankertes Sondervermögen für die sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft vor. Dies hätte den Vorteil, dass es außerhalb des regulären Haushalts steht und die Schuldenbremse damit nicht tangiert. Aber: Auch hier müsste der Bundestag einen Beschluss mit Zweidrittel-Mehrheit fällen. Und es ist fraglich, ob sich die FDP als Teil der Regierung und die oppositionelle Union darauf einlassen.
Aus Sicht der gewerkschaftsnahen Forscher macht sich die Politik selbst das Leben schwer. Es wäre auch in diesem Jahr "völlig gerechtfertigt" gewesen, die Schuldenbremse auszusetzen. Noch immer wirke der Energiepreisschock nach Russlands Überfall auf die Ukraine nach. "Inzwischen liegt die Wirtschaftsleistung fast fünf Prozent niedriger, als es allgemein unmittelbar vor der Invasion erwartet worden war", sagt Dullien. Dies sei eine Notlage.
Dass die deutsche Wirtschaftspolitik bislang keine angemessene Antwort auf den konjunkturellen Abschwung gefunden hat, zeigt auch ein Vergleich der IMK-Zahlen. Noch im Herbst gingen die Forscher davon aus, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um 0,7 Prozent zulegt. Innerhalb kürzester Zeit ist daraus ein Minus-Wachstum geworden. Und die Aussichten, sie bleiben trübe.
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