Der aktuelle Aufschwung läuft ungewöhnlich lang. Nun trüben sich die Aussichten ein. Was bedeutet das für Wirtschaft und Arbeitnehmer?
Es ist nicht die Frage, ob ein Abschwung kommen wird. Er kommt nämlich so sicher wie es einen Wirtschaftskreislauf gibt. Die Frage ist: Wann kommt er?
Naturgemäß tun sich Ökonomen und Wirtschaftsforscher schwer, den tatsächlichen Zeitpunkt vorherzusagen, an dem die Entwicklung kippt - und der Boom zum Abschwung wird. Allerdings sind sie sich momentan in einem Punkt einig: Es kann nicht mehr lange dauern.
Immer mehr Konjunkturprognosen hatten schon in den vergangenen Monaten gewarnt, dass die Wirtschaft nicht ewig auf dem jetzigen Niveau weiterlaufen könne. Schließlich "dauert der Aufschwung in Deutschland bereits ungewöhnlich lange an", stellten auch die Forscher des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) gerade in ihrem Herbstgutachten fest.
Aufschwung bereits seit neun Jahren
Rund neun Jahre hält der derzeitige Aufschwung bereits an, er begann 2010. Das ist eine ungewöhnlich lange Zeit. Im Schnitt, so sagen die Lehrbücher, dauert ein Konjunkturzyklus nur vier Jahre.
Noch laufe die hiesige Wirtschaft zwar auf Hochtouren, sagt das IfW, "allerdings mehren sich die Anzeichen dafür, dass sich die Hochkonjunktur in Deutschland ihrem Ende entgegen neigt".
Aktuelle Signale dafür sieht auch das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung: Inzwischen trübe sich die Stimmung merklich ein, vermeldete es diese Woche in seiner neuesten Konjunkturprognose, "die Unsicherheit nimmt zu".
Vor allem in der Industrie und Dienstleistungsbranche, den zwei wichtigsten Wirtschaftszweigen hierzulande, zeigten sich die befragten Unternehmenschefs weniger zufrieden als in den Monaten zuvor.
Monatlich beurteilen 9.000 Firmen ihre Geschäftslage für den Ifo-Konjunturindex, diesmal fiel der Lageindex auf den niedrigsten Stand seit März 2017. "Die weltweiten Unsicherheiten bremsen die deutsche Wirtschaft aus", kommentierte ifo-Chef Clemens Fuest die Ergebnisse.
Allmählich gingen von den internationalen Märkten kaum noch Wachstumssignale aus, sagen auch die IfW-Forscher. Es gebe "kaum noch Impulse durch eine Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung", vor allem auch wegen der anhaltenden Handelsstreitigkeiten und Schutzzolldebatten, die US-Präsident
Der schwelende Brexit und der Konfrontationskurs Italiens mit der EU tun hierzulande ein Übriges. Sie bewirken eher ein Abwarten als ein "Weiter so" und treffen letztlich viele Volkswirtschaften.
China bangt um sein Wachstum
Momentan bangt vor allem China um sein Wachstum, das wohl ein paar Zehntelprozentpunkte zurückgehen wird, auch wenn danach immer noch eine sechs vor dem Komma steht. Die Schwellenländer werden zwar weiter wachsen, lautet die einhellige Prognose, doch künftig schwächer als bisher.
Die entwickelten Volkswirtschaften dagegen gerieten nun langsam an ihre Grenzen, warnt inzwischen selbst der Internationale Währungsfonds (IWF). Bei seiner Jahrestagung sagte IWF-Chefin Christine Lagarde, es gebe Anzeichen für ein gebremstes Wachstum in der Eurozone.
Die USA legten nur noch deshalb weiter stark zu, weil der US-Präsident die Wirtschaft mit prozyklischer Politik und Steuersenkungen befeuere. Der IWF jedenfalls geht davon aus, dass das globale Wachstum demnächst weniger groß ausfallen wird als bisher angenommen.
Er reduzierte seine Vorhersage von 3,9 Prozent auf 3,7 Prozent fürs laufende und kommende Jahr. Das deutsche Wachstum wird seiner Ansicht nach rund 1,9 Prozent betragen, damit stutzte er seine früheren Prognosen um 0,6 Prozentpunkte zusammen.
Nun ist ein kleineres Wachstum noch längst kein Abschwung. Per Definition erlebt die Wirtschaft eine Abwärtsphase, wenn sie in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen schrumpft oder zumindest nicht mehr wächst, so erklärt es der Sachverständigenrat.
Laut ifo-Institut kann man auch vom Abschwung reden, wenn die Kapazitätsauslastung der Unternehmen sinkt. Und das tat sie zuletzt leicht: Zuvor gaben die Betriebe eine Auslastungsquote von 87,6 Prozent an, sagen die ifo-Zahlen. Sie operierten also bereits am Rande ihrer Kapazitäten.
In der jüngsten Umfrage waren es nur noch 87,1 Prozent, ein halber Prozentpunkt weniger. Geht die Nachfrage also bereits zurück? Darauf deutet zumindest die Konjunkturampel des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hin: Bei den Auftragseingängen steht die Ampel bereits auf "Rot".
"Risiko Fachkräftemangel"
Zudem gebe es allmählich Kapazitätsengpässe bei Material und Gebrauchsgütern, stellen die Ökonomen fest, doch vor allem fehlen Firmen inzwischen die Arbeitskräfte, um weiter zu wachsen.
Deutsche Unternehmen könnten offene Stellen nicht mehr wie gewünscht besetzen, stellt Konjunkturforscherin Sophia Krietenbrink vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) fest. Sie spricht vom "Risiko Fachkräftemangel", der beginne, den weiteren Aufschwung hierzulande abzuwürgen.
Jedes vierte Unternehmen klagt über Schwierigkeiten, genügend Mitarbeiter zu finden, belegen auch IW-Umfragen. Auch das zeigt, dass der Markt heißgelaufen ist.
Doch was bedeutet all das nun für Wirtschaft und Beschäftigte? Es ist das Problem aller Volkswirtschaften kurz vor Ende eines Booms: Sie operieren so am Rande ihrer Kapazitäten, dass die Betriebe die Produktion nicht mehr ausweiten können, um die wachsende Nachfrage zu stillen - es sei denn, sie expandieren. Also tun es viele.
Sie bauen zusätzliche Produktionskapazitäten auf, sie kaufen neue Maschinen und stellen noch mehr Mitarbeiter ein, falls sie noch welche finden. Und zahlen dafür höhere Löhne.
Auch die Preise für Produkte steigen. Es gibt Inflation. Derzeit liegt sie hierzulande bei zwei Prozent. Genau diese Ausweitung im Zustand maximaler Leistungsfähigkeit aber ist das Problem. Denn oft kommt es dadurch zu Fehlinvestitionen, weil die Nachfrage nur für eine kurze Zeit überbordend hoch war. Es werden Überkapazitäten geschaffen - und die rächen sich im folgenden Abschwung umso mehr.
Wenn die Konjunktur schwächelt, die Nachfrage von Unternehmen und Kunden kleiner wird, weitere Investitionen ausbleiben und die Produktion wieder auf ein Normalmaß herunterfährt, dann zeigt sich, dass manche dieser Ausweitungen zu groß war.
Dann sind Maschinen plötzlich nicht ausgelastet, Mitarbeiter überflüssig, dann wird nach unten angepasst. Das führt zu stagnierenden Löhnen, sinkenden Zinsen und Preisen.
Arbeitslosigkeit könnte steigen
Nur eines steigt dann wieder: die Arbeitslosigkeit. Im letzten Abschwung 2009 war sie rund drei Prozentpunkte höher als jetzt, damals waren 1,2 Millionen mehr Menschen ohne Job.
Ob es diesmal nur eine Konjunkturdelle wird oder ein Absturz, bleibt abzuwarten. "Es besteht kein Grund zur übermäßigen Sorge", findet immerhin Michael Grömling, Leiter der Forschungsgruppe Konjunktur vom IW. Eine Bruchlandung erwartet er nicht. Der deutschen Wirtschaft gehe eher allmählich der Elan aus.
Verwendete Quellen:
- cesifo Gruppe München: ifo-Geschäftsklimaindex sinkt
- Institut für Weltwirtschaft (IWF): Kieler Konjunktur-Berichte
- Zeit online: Weltbank und IWF eröffnen Jahrestagung
- DIHK: Die wesentlichen Ergebnisse der DIHK-Konjunkturumfrage Herbst 2018
- Der BA-X im September 2018: Nachfrage bleibt auf sehr hohem Niveau
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