Geringes Wirtschaftswachstum, riesige Verschuldung, hohe Jugendarbeitslosigkeit: Italien ist das neue Krisenland in Europa. Das angekündigte Ende der lockeren Geldpolitik durch die EU könnte die Lage zusätzlich verschärfen. Ein Ökonom bringt gar einen Euro-Austritt ins Spiel.
Die Euro-Krise der vergangenen Jahre war eng mit der Staatskrise in Griechenland verknüpft. Das Land galt als kranker Mann Europas, nur mit viel Hilfe aus Brüssel hat sich die Situation in Athen allmählich wieder stabilisiert.
Nun sorgt ein anderes Land aus dem Süden der EU für "griechische Verhältnisse": Italien.
Das Wirtschaftswachstum stagniert, die Staatsverschuldung wächst rasant, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei rund 40 Prozent. Eine lähmende Bürokratie sowie Korruption verschärfen die schlechten Lage noch.
Was sind die Ursachen für die Krise? Und warum könnte ausgerechnet die EU die Situation weiter verschärfen?
Ökonom: "Der Pessimismus ist riesig"
Egal welche Zahlen man betrachtet, es sieht nirgendwo wirklich gut aus für Italien.
Kleine Unternehmen und Handwerksbetriebe ächzen unter der hohen Steuerlast, die im Landesdurchschnitt 61,2 Prozent beträgt.
In Steuerhochburgen wie Florenz oder Rom liegen die Abgaben sogar noch höher: Wirtschaftliches Wachstum ist für die Klein- und Mittelunternehmer damit praktisch unmöglich.
Auch die Arbeitslosenquote liegt mit zwölf Prozent über dem EU-Durchschnitt. Bei jungen Italienern klettert die Zahl auf fast 40 Prozent.
Wer dagegen arbeitet, besitzt in der Regel ein geringes Einkommen. Darunter leidet wiederum die Kaufkraft.
Der belgische Ökonom Paul De Grauwe von der London School of Economics zieht im "Standard" ein ernüchterndes Fazit.
"Der Pessimismus ist riesig. Es ist das einzige Land der Währungsunion, das heute ärmer ist als 1999, als der Euro eingeführt wurde. Das Wachstum war null oder negativ, die Menschen finden keine Jobs. Die stecken in einem Desaster."
Das Bruttoinlandsprodukt - die Summe dessen, was durch Produktion, Handel und Dienstleistungen erwirtschaftet wird - ist in Italien sogar niedriger als vor Beginn der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise vor zehn Jahren.
Papst fordert Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit
Nicht umsonst mahnt der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem Länderbericht, Italien werde im Vergleich zu den anderen Staaten der Euro-Zone weiter zurückfallen, falls kein baldiges Wirtschaftswachstum einsetze.
2017 wird die italienische Wirtschaft laut OECD um knapp ein Prozent zulegen, 2018 nur noch um 0,8 - der letzte Platz in Europa. Sogar in Griechenland läuft es besser.
Die italienische Industrie hatte einen überraschend schwach Start ins Frühjahrsquartal hingelegt. Bei der Gesamtverschuldung wurde zuletzt ein neuer Negativrekord aufgestellt.
Die Rating-Agentur S&P bewertete die Bonität des Landes Ende 2016 nur noch kurz über dem "Schrott-Status".
Die politische Klasse der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone hat bislang nicht das richtige Rezept zur Verbesserung der Lage gefunden. Sogar
Auch wegen der maroden Infrastruktur und der schlechten Ausstattung vieler Schulen wird sich die Krise nicht von heute auf morgen lösen lassen. Ein weiteres Problem ist der enorme Steuerbetrug, wodurch der Fiskus jedes Jahr auf Milliarden Euro verzichten muss. Darüber hinaus hat auch noch eine landesweite Trockenheit Schäden in Höhe von fast einer Milliarde Euro verursacht.
Verschärfung der Krise durch EU?
In der ohnehin schwierigen Lage droht neues Ungemach - ausgerechnet durch die Europäische Union.
Die Europäische Zentralbank hat in Aussicht gestellt, ihre Niedrigzinspolitik zu beenden. Das könnte für Italien große Probleme mit sich bringen. Die EZB hatte Rom seit 2015 Staatsanleihen im Volumen von rund 265 Milliarden Euro abgenommen. Dadurch konnte das Südland 60 Milliarden Euro an Zinsen sparen.
Nun könnte es brenzlig werden, wenn die Staatsanleihen wieder abgestoßen werden - für den Staat und für die Banken.
Die italienischen Finanzhäuser haben mit faulen Krediten im Wert von etwa 350 Milliarden Euro zu kämpfen, einige Banken kämpfen schon jetzt ums Überleben.
"Wenn sich mit der EZB der größte Käufer am Markt nach und nach verabschiedet", analysiert "Spiegel Online", drohen "erhebliche Risiken."
Wie könnt eine Lösung aussehen? Der IWF fordert weitere Reformen. Die Probleme der Banken mit faulen Krediten müssten gelöst, die Haushaltsdisziplin beibehalten werden.
Mehr Investitionen in Bildung und Technologie werden ebenfalls angemahnt. Paul De Grauwe bringt gar einen Euro-Austritt ins Spiel: "Italiens System funktioniert nicht gut im Euro, sie hatten lange einen Zyklus aus Inflation, starken Lohnerhöhungen, dann einer Krise und einer Abwertung. Das geht jetzt nicht mehr. Sie haben sich nicht an den Euro angepasst."
Wäre ein Verlassen des Euro-Raumes die beste Lösung? "Wahrscheinlich ja", sagt der Belgier.
Auch der Finanzexperte der römischen Zeitung "La Repubblica", Massimo Giannini, versprüht aktuell wenig Optimismus. "Wir Italiener", schrieb er, "haben gute Gründe, nicht heiter zu sein".
Doch das Beispiel Griechenland zeigt, dass die miese Laune nicht ewig anhalten muss. Dort ist zumindest vorsichtiger Optimismus zurückgekehrt.
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