- Ein internationales Forschungsteam hat die genetische Abstammungsgeschichte unserer Vorfahren mit dem größten jemals erstellten Genomdatensatz europäischer Jäger und Sammler neu geschrieben.
- Die Studie zeigt Wanderbewegungen über einen Zeitraum von 30.000 Jahren, bei welchen andere Populationen verdrängt wurden.
Eiszeitliche Vorfahren der Menschen haben in Europa über einen Zeitraum von 30.000 Jahren große Wanderbewegungen zurückgelegt. Dabei verdrängten sie auch andere Populationen, wie eine am Mittwoch vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig veröffentlichte große Genomanalyse eines internationalen Forschungsteams ergab. Die Daten gäben einen "beispiellosen detaillierten Einblick in die Entwicklungen und Begegnungen der westeurasischen Jäger- und Sammlergruppen", erklärte Erstautor Cosimo Posth.
Bevölkerungen im Westen und Südwesten unterschieden sich
Die Studie analysierte Genome von rund 356 Individuen aus der Vorzeit. Dabei handelte es sich den Angaben zufolge um den größten Genomdatensatz europäischer Jäger und Sammler. Die Forscher konzentrierten sich auf diejenigen Menschen, die zumindest in Teilen als Vorfahren der heutigen Menschen Westeurasiens gelten. Sie lebten vor 35.000 bis 5.000 Jahren, unter anderem auch in der kältesten Phase der Eiszeit vor rund 25.000 Jahren.
Forschungsergebnisse zu den Menschen, die vor 32.000 bis 24.000 Jahren lebten, verblüfften die Wissenschaftler. Zwar verband die in Europa verbreiteten Menschen des sogenannten Gravettien eine gemeinsame Kultur. Genetisch jedoch unterschieden sich die Bevölkerungen im Westen und Südwesten - im heutigen Frankreich und Iberien - von den zur gleichen Zeit lebenden Populationen in Zentral- und Südeuropa - im heutigen Tschechien und Italien.
Der Genpool der im Westen lebenden Menschen fand sich kontinuierlich über mindestens 20.000 Jahre. Ihre Nachkommen hielten sich während des Kältemaximums in Südwesteuropa auf und breiteten sich später Richtung Norden und Osten über Europa aus.
Menschen suchten während der Eiszeit Zuflucht in Südwesteuropa
"Mit diesen Funden können wir erstmals direkt die These untermauern, dass die Menschen während der kältesten Phase der letzten Eiszeit Zuflucht in Südwesteuropa suchten", erklärte Posth. Dort fanden sie "klimatisch günstigere Bedingungen".
Die Jäger und Sammler aus Ost- und Südeuropa starben hingegen aus. Bislang wurde davon ausgegangen, dass sie während der eiszeitlichen Kälteperiode auf die italienische Halbinsel zogen. Sie sind dort nach dem Kältemaximum genetisch jedoch nicht mehr nachweisbar. Stattdessen ließen sich dort Menschen mit einem neuen Genpool nieder, die vermutlich vom Balkan zunächst nach Norditalien kamen.
Nach der Eiszeit weiteten Menschen ihren Lebensraum aus
Vor etwa 14.000 Jahren breiteten sich die Nachfahren dieser frühen Einwohner der italienischen Halbinsel dann über ganz Europa aus - und verdrängten dabei andere Gruppen. Das Forschungsteam sprach von einem "großen genetischen Austausch".
"Damals erwärmte sich das Klima in kurzer Zeit deutlich, und Wälder breiteten sich in ganz Europa aus", erklärte Johannes Krause, Seniorautor der Studie. "Möglicherweise war dies für die Menschen aus dem Süden Anlass, ihren Lebensraum auszuweiten."
Nach der Zeit vor 8.000 Jahren breiteten sich schließlich auch der Ackerbau und eine sesshafte Lebensweise von Anatolien nach Europa aus. "Möglicherweise löste die Einwanderung der frühen Bauern einen endgültigen Rückzug der Jäger und Sammler an den nördlichen Rand Europas aus", erklärte Krause. Mitautorin He Yu erklärt in einer Pressemitteilung zur Studie: "Zu dieser Zeit vermischten sich dort Gruppen von Jägern und Sammlern unterschiedlichen Aussehens: Sie hatten nicht dieselbe Haut- und Augenfarbe und unterschieden sich auch in anderen Merkmalen."
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Genome von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen analysiert
Die 356 analysierten Genome stammten von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, darunter waren auch neue Datensätze von 116 Individuen aus 14 verschiedenen europäischen und zentralasiatischen Ländern. An dem Forschungsprojekt waren unter anderem die Universität Tübingen und des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment ebenfalls in Tübingen sowie das Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig beteiligt.
Laut Erstautor Posth werde weitere interdisziplinäre Forschung klären, "welche Prozesse im Einzelnen für den Austausch ganzer Eiszeit-Populationen verantwortlich waren". (afp/sbi)
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