Mehr als zwanzig Jahre lang herrschte ein Pharao über das alte Ägypten, dessen Existenz die Nachwelt noch Jahrtausende später vor Rätsel stellt: Er hatte alle Befugnisse und Attribute eines Königs, die Abbildungen aus seiner Regierungszeit zeigen ihn als einen Mann mit den Gewändern und Insignien des höchsten Herrschers. Doch vor seiner Inthronisation war er eine Frau.
Die Rolle des Pharaos war essenziell für die Existenz des ägyptischen Reiches: Er war nicht nur politischer Herrscher, sondern das Bindeglied zwischen der Welt der Götter und der der Menschen. Diese Funktion hatten immer nur Männer erfüllt. Das Amt ging in der Regel vom Vater auf seinen ältesten Sohn über.
Als Pharao Thutmosis II. 1479 v. Chr. starb, sollte sein Sohn Thutmosis III. dessen Funktion übernehmen. Doch es geschah etwas noch nie Dagewesenes: Eine Frau verhinderte die Inthronisation des legitimen Nachfolgers und riss die Macht an sich.
Hatschepsut war die Tochter von Pharao Thutmosis I. und mit dessen Sohn – ihrem Halbbruder – verheiratet. Damit war sie die Königin an der Seite des Pharaos. Dessen ältesten Sohn hatte nicht Hatschepsut zur Welt gebracht, sondern eine seiner Nebenfrauen.
Dennoch war Thutmosis III. der geltenden Erbfolge nach legitimer Thronfolger. Weil er jedoch zu jung war, um zu regieren, wurde Königin Hatschepsut als Regentin für ihren Stiefsohn eingesetzt.
So weit war das Vorgehen üblich. Es hatte schon vor Hatschepsut weibliche Regentinnen gegeben, die jedoch immer nur stellvertretend für noch unmündige Thronfolger die Regierungsgewalt übernommen und wieder abgegeben hatten, sobald der neue Pharao inthronisiert war.
Eine Frau wird König
Die ersten Jahre von Hatschepsuts Regentschaft verliefen der Tradition entsprechend. Doch bis zum siebten Jahr nach dem Machtwechsel hatte sie alle Befugnisse und Insignien auf sich selbst versammelt und sich nach und nach zu einem vollwertigen Pharao entwickelt.
Ihr Stiefsohn wurde offiziell als Mitherrscher aufgeführt, doch die tatsächliche Regierungsgewalt ging von Hatschepsut aus. Dass sie bewusst die Macht des Pharaos an sich riss, zeigt sich darin, dass sie nach und nach dessen Attribute übernahm: Zunächst trug sie den Pharaonen-Kopfschmuck zu ihren weiblichen Kleidern. Später kleidete sie sich ganz in den Gewändern der Könige und benutzte auch den künstlichen Königsbart, der zu den Insignien der Pharaonen gehörte.
Auch die Art und Weise, wie sich Hatschepsut in Malereien abbilden ließ, änderte sich. Die ältesten Bilder zeigen sie mit weiblichem Körper und den typischen Merkmalen einer Königin, während einer Übergangszeit haben ihre Abbildungen einen weiblichen Körper mit den männlichen königlichen Attributen, bis sie sich schließlich mit einem männlichen Körper und den vollen Insignien des Pharaos abbilden ließ.
Der Ägyptologin Joyce Tyldesley zufolge hatte das eine tiefere Bedeutung als nur das Wunschdenken Hatschepsuts darzustellen. In der Kunst des alten Ägypten zeigte Malerei nicht die Dinge, wie sie waren, sondern das, was sein sollte. Indem Hatschepsut sich als männlicher Pharao abbilden ließ, sorgte sie dafür, dass sie zu einem wurde.
Sie half auch nach, indem sie einen Mythos über ihre göttliche Herkunft schuf. In dem ihr gewidmeten Tempel von Deir el-Bahari ließ sie eine Geschichte von ihrer Zeugung durch den Gott Amun darstellen.
Ihre Machtergreifung erfolgte nicht gewalttätig, sondern durch zielstrebige langjährige Vorbereitung. Doch ab einem bestimmten Zeitpunkt waren ihre Absichten offensichtlich. Warum die Eliten Ägyptens nie gegen sie revoltierten, ist unklar. Sicher ist jedoch, dass sie eine loyale Gruppe von mächtigen Anhängern um sich versammelte, die die Schlüsselfunktionen in der Regierung besetzten. Außerdem war sie offenbar sehr geschickt darin, das Land zu führen. Unter ihr blühte der Handel und der Wohlstand Ägyptens nahm zu.
Die Geschichte wird umgeschrieben
Gegen Ende ihrer Regierungszeit begann Thutmosis III., mehr Einfluss auszuüben. Nach dem Tod von Haschepsut regierte er 33 Jahre lang alleine. Zum Schluss seiner Amtszeit wurde versucht, jegliche Erinnerung an Hatschepsut auszulöschen. Statuen und Bilder, die den weiblichen Pharao zeigten, wurden zerstört, ihr Name wurde aus Inschriften geschlagen und mit anderen Namen überschrieben.
Offenbar wollte Thutmosis, dass in der offiziellen Geschichte die Thronfolge unmittelbar von Thutmosis I. über Thutmosis II. zu Thutmosis III. überging. Das Zwischenspiel mit dem weiblichen Pharao sollte es nie gegeben haben.
Für 3.000 Jahre schaffte er das auch. Hatschepsut existierte für die Nachwelt nicht, bis Anfang des 19. Jahrhunderts die Entzifferung der Hieroglyphen gelang und Archäologen die erstaunliche Geschichte der mächtigsten Frau am Nil aus den wenigen Bildern und Inschriften erschlossen, die vor der Zerstörungswut verschont geblieben waren. (ada)
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