- Man hört es immer wieder als Argument: Was heutzutage als Klimawandel bezeichnet wird, galt früher einfach als ganz normaler Sommer.
- Doch dabei spielt uns das Gedächtnis einen Streich.
- Denn Daten zeigen: Es kommen immer mehr Hitzewellen auf uns zu.
"In meiner Kindheit gab es nur solche Sommer", sagt die Tante bei Kaffee und Kuchen. "Auch früher hatten wir schon hitzefrei", pflichtet womöglich ihr Sohn bei. Heute aber, so die Klage, werde um die hohen Temperaturen ein übertriebenes Bohei gemacht und Panik geschürt. Willkommen im Sommer 2022! Spätestens jetzt ist das Small-Talk-Thema Wetter zum Politikum geworden.
Menschen, die sich ihrer Ansicht nach ans kleinste Detail der eigenen Sommer-Jugend erinnern können, spielen aber auf der Klaviatur nostalgischer Eindrücke. Teils viele Jahrzehnte später wollen sie noch genau vor Augen haben, wie sie angeblich wochenlang jedes Jahr bei hohen Temperaturen und stundenlangem Sonnenschein im Stadtbad verbracht hätten
Klimawandel: "Der Mensch erinnert sich eben statistisch nicht sauber"
"In der Erinnerung bleiben vor allem persönliche Rekordmomente und Extreme", sagt Meteorologe Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Besonders warme und sonnenreiche Sommer hielten sich eher im Gedächtnis als die regenreichen und kälteren. "Der Mensch erinnert sich eben statistisch nicht sauber", so der Experte.
Aus einzelnen Ereignissen kann man aber nicht ohne Weiteres ableiten, früher sei es genauso heiß gewesen wie heute. Auch nicht aus jahrzehntealten Zeitungstiteln und Artikeln, die in sozialen Medien rauf und runter gepostet werden und in denen damals über tatsächliche oder vermeintliche Rekordtemperaturen berichtet wurde.
Trends lassen sich nur aus Zeiträumen von 30 Jahren ablesen
"Ein einzelnes Extremereignis ist erstmal immer nur eine Manifestation von Wetter", sagte auch Karsten Haustein vom Institut für Meteorologie an der Universität Leipzig dem Science Media Center (SMC). Dieses könne theoretisch unter vielen Klimabedingungen auftreten. "Was sich ändert, ist die Häufigkeit bestimmter Wetterlagen, wie Hitze- und Niederschlagsextreme."
"Wetter und Klima werden oft durcheinandergebracht", erklärt zudem Meteorologe Friedrich. Erst aus der Beobachtung des Wetters über einen längeren Zeitraum - etwa 30 Jahre - könne man Trends ablesen. Es gilt also: Ausschlaggebend sind die Daten, nicht das Gefühl:
- Im Zeitraum 1991 bis 2020 war es im Juni DWD-Daten zufolge im Schnitt um ein Grad wärmer als im Zeitraum 1961 bis 1990.
- Der diesjährige außergewöhnlich warme, sehr trockene und überaus sonnenscheinreiche Juni lag mit 18,4 Grad sogar nochmal zwei Grad darüber.
Hitzewelle inzwischen "ganz normaler Sommer"
Stimmen, die behaupten, Tage mit mehr als 40 Grad habe es früher auch schon häufig gegeben, bescheinigt DWD-Meteorologe Adrian Leyser "im besten Falle" eine "verzerrte, subjektive Wahrnehmung".
"Eine Hitzewelle, die ohne Klimawandel ein Jahrhundertereignis gewesen wäre, ist jetzt normaler Sommer", sagte Friederike Otto vom Environmental Change Institute an der Universität in Oxford dem SMC. "Das, was ohne Klimawandel unmöglich gewesen wäre, sind jetzt die neuen Extremereignisse."
Eindrucksvoll zeigt sich das am Wert von 40 Grad Celsius:
- Die Temperatur von 40 Grad Celsius wurde in Deutschland erstmals 1983 an zwei Wetterstationen überschritten - gut 100 Jahre nach Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881.
- Das nächste Mal wurde die Marke 20 Jahre später im legendären "Jahrhundertsommer" von 2003 geknackt.
- Nach weiteren zwölf Jahren wurden mehr als 40 Grad erneut im August 2015 an drei Stationen gemessen, vier Jahre später im Juli 2019 sogar an 25.
Immer wieder neue Rekordtemperaturen absehbar
Die Abstände werden kürzer: Nun sind nur drei Jahre vergangen, bis der Wert in diesem Juli wieder gerissen wurde. "In 20 Jahren wird womöglich in jedem Sommer irgendwo in Deutschland eine Temperatur von mehr als 40 Grad gemessen", sagt Friedrich. "Hitzewellen werden zunehmen, es wird immer wieder Rekordtemperaturen geben."
"In Europa wird die Anzahl der Hitzewellen in den kommenden Jahrzehnten weiter drastisch zunehmen", sagt auch der Leipziger Klimaforscher Haustein. Die kurzen Phasen mit besonders starker Hitze im aktuellen Sommer und in früheren Jahren "sollten Warnung genug sein, uns rechtzeitig mit Anpassungsmaßnahmen zu befassen". (Sebastian Fischer, dpa/af)
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