• Die Gruppe "Birthstrike" vereint Aktivistinnen und Aktivisten, die aus Angst vor den Folgen der Klimakrise auf Kinder verzichten.
  • Doch was sind die Hauptargumente dieser Gruppe?
  • Die Redaktion hat ein Gespräch mit den Klimaethikern Bernward Gesang und Christian Baatz geführt, um Antworten auf diese Fragen zu finden.

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Klimaangst ist ein aktuelles Schlagwort in der Klimakrise – und sie treibt in diesen Tagen viele Menschen stärker um denn je. Der Klimawandel stellt eine elementare, wenn auch schleichende, Bedrohung dar, bei der die Folgen oft nicht unmittelbar spürbar sind. Ereignisse wie der zurückliegende Hitzesommer in Deutschland oder die Überschwemmungen in Pakistan, die ein Drittel des Landes unter Wasser gesetzt haben, ermöglichen jedoch einen flüchtigen Blick auf das, was in Zukunft kommen könnte.

Aus dieser Angst heraus passen viele ihren Lebensstil an – verzichten etwa auf Auto, Flugreisen und Fleisch. Doch eine Gruppe von Menschen geht noch einen Schritt weiter: Sie hat sich dazu entschieden, keine Kinder in die Welt zu setzen. "Birthstrike", zu Deutsch Gebärstreik, nennt sich die Bewegung, der hauptsächlich junge Frauen um die 30 Jahre angehören. Gegründet wurde sie von der Sängerin Blythe Pepino in UK. "Ich mache mir solche Sorgen, dass ich beschlossen habe, keine Kinder in die Welt zu setzen", sagte die 33-jährige 2019 in einem Fernsehinterview mit der BBC.

Doch warum greifen die Birthstrike-Befürworter zu solch drastischen Maßnahmen? Bernward Gesang, Lehrstuhlinhaber für praktische Philosophie und Wirtschaftsethik an der Universität Mannheim, erklärt, dass diese Angst der Birthstrike-Anhängerinnen zweigeteilt sei. "Zum einen bezieht sich die Angst auf Umweltrisiken, die Kinder verursachen, also zum Beispiel auf CO2 Emissionen. Zum anderen auf die Sorge davor, dass Kinder in der zukünftigen Welt kein lebenswertes Leben mehr führen können, weil diese Welt ruiniert sein wird", sagt Gesang.

Kinder als Klimasünder?

Wie rational die radikale Maßnahme der Birthstrike-Befürworter ist, zeigt eine Studie, die die Forschenden Seth Wynes und Kimberly A. Nicholas von der schwedischen Lund Universität erstellt haben. Darin untersuchten die Forschenden, welche Maßnahmen zu einer Reduktion des CO2-Ausstoßes führen – und nahmen in ihre Berechnungen auch den Verzicht auf Kinder mit auf. Demnach vermeidet dieser im Durchschnitt 50 Tonnen CO2 pro Jahr und damit ein Vielfaches von dem, was etwa durch den Verzicht auf ein Auto (5,3 Tonnen CO2 pro Jahr) oder auf Fleisch (1,6 Tonnen CO2 pro Jahr) eingespart werden kann. "Diese hohe Zahl begründet sich durch Auswirkungen des Kindes auf Generationsketten", erklärt Forscher Gesang. "Das bedeutet: Die Emissionen der eigenen Kinder und Enkel gehen alle auf mich selbst zurück", erläutert er.

Folgt man der Argumentation der Studie, auf die sich auch die Anhänger von Birthstrike berufen, ist die Maßnahme, keine Kinder zu kriegen, eines der wirksamsten Mittel, das der Einzelne zur Verfügung hat. "Sie ist den anderen Maßnahmen zur Korrektur des ökologischen Fußabdrucks, die die Studie berücksichtigt, überlegen", sagt Gesang. Davor, den Verzicht auf Kinder zum Einsparen von CO2 als politische Maßnahme umzusetzen, warnt Gesang jedoch. "Die Kosten für den einzelnen in Form von Wohlergehensverlusten wären bei einer solchen Strategie viel zu hoch. Ein Kinderwunsch in meistens so gewichtig, dass die Nicht-Erfüllung geradezu unglücklich macht."

Die Alternative sei etwa, großzügig Geld für die Bevölkerungskontrolle im globalen Süden zu spenden. "Der gleiche Effekt oder sogar ein höherer kann durch Spenden und Engagement für politische Anreize erreicht werden. Und das zu geringeren Kosten", erklärt Gesang. "Eine Spende verhindert in diesem Fall viel mehr Geburten, als die meisten persönlich verursachen. Personen in Ghana emittieren derzeit wenig. In Zukunft wird sich das aber ändern, da in ihrem Land nachholendes Wachstum durchgeführt wird", erklärt der Professor seinen Vorschlag.

Die Menge an Emissionen, die ein Kind verursacht, kann, muss aber nicht mit dem Ort der Geburt zusammenhängen. Christian Baatz, Juniorprofessor für Klimaethik und Globale Gerechtigkeit an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, erklärt, dass nicht pauschal ein Zusammenhang zwischen der Nationalität und der Verantwortung für den Klimawandel gezogen werden kann.

"Eine arme Person in Sub-Sahara Afrika muss sehr viele Kinder bekommen, damit sich deren Emissionen auch nur näherungsweise auf die Emissionen eines durchschnittlichen deutschen Kindes summieren. Es gibt jedoch auch im globalen Süden wohlhabende Menschen. Die Kinder eines indischen Stahlmagnaten werden sicherlich weit mehr emittieren als die einer Deutschen mit geringem Einkommen", führt er aus. "Es hängt sehr stark von den konkreten Umständen ab, wie viele Emissionen tatsächlich verursacht werden."

Wird unser Leben auch in Zukunft lebenswert sein?

Die Angst, dass die eigenen Kinder zu stark unter den Folgen des Klimawandels leiden, sei zwar nachvollziehbar, inwiefern diese sehr direkt oder nur indirekt von den Folgen des Klimawandels betroffen sein werden, hänge aber auch stark damit zusammen, wo sie leben. "Auch in Zukunft werden in Deutschland viele Menschen leben, die nicht direkt vom Klimawandel betroffen sind, zum Beispiel weil die Branche, in der sie arbeiten, nicht darunter leidet oder sie aufgrund ihres Wohnortes und ihrer Gesundheit keine großen Probleme mit Hitzewellen, Überschwemmungen oder Trockenheit haben", sagt Baatz. Für viele andere werde das jedoch nicht so sein.

Eine große Gefahr sieht er darin, dass das Institutionengefüge mit steigenden Klimafolgen immer instabiler werde. "Insofern steht die deutsche und europäische Gesellschaft vor großen Herausforderungen, die das Zusammenleben nicht einfacher machen." Das Leben in Europa wird auch in Zukunft für viele Menschen lebenswert sein, trotz Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen.

Die Idee, dass man es Menschen nicht zumuten kann, in unsere Welt hineingeboren zu werden, gab es übrigens bereits in den 80er Jahren. Baatz, der selbst in diesem Jahrzehnt geboren wurde, zieht sein Schlussfazit: "Ich denke, dass die Menschen, die in diesem Zeitraum geboren wurden, alles in allem froh darüber sind. Ich zumindest bin es. Und ich glaube, dass es auch den Menschen so gehen wird, die in den nächsten Jahren geboren werden."

Über die Experten: Prof. Dr. Bernward Gesang ist Lehrstuhlinhaber für praktische Philosophie und Wirtschaftsethik an der Universität Mannheim. Prof. Dr. Christian Baatz ist an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und forscht seit 2020 in den Bereichen Klimaethik, Nachhaltigkeit und Globale Gerechtigkeit.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Prof. Dr. Bernward Gesang
  • Interview mit Prof. Dr. Christian Baatz
  • sz-magazin.sueddeutsche.de: Aussterben ist keine Lösung. Oder doch?
  • bbc.com: The women too scared of climate change to have children
  • iopscience.iop.org: The climate mitigation gap: education and government recommendations miss the most effective individual actions, Seth Wynes und Kimberly A Nicholas in Environmental Research Letters:
  • br.de: Warum junge Frauen wegen der Klimakrise auf Kinder verzichten
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