- Die künftige Ampelkoalition plant den Kohleausstieg für 2030 statt 2038.
- Strom aus erneuerbaren Energien und Gas sollen den Strombedarf zu weiten Teilen decken.
- Welche Fragen und Kritik es jetzt gibt.
Helmut Badtke zog vor 30 Jahren aus dem Ruhrgebiet in die Lausitz, und der Blick auf die alte Heimat gibt ihm zumindest etwas Zuversicht. Dreckig und kaputt sei der Kohlenpott einmal gewesen, jetzt gebe es dort blühende Landschaften, weiß der Bürgermeister von Jänschwalde. "Das kann hier in unserem Gebiet in der Lausitz auch passieren." Vorerst aber sieht Badtke die Zukunft ziemlich düster. "Wir leben von der Kohle, nicht von grünen Träumen", sagt der Bürgermeister.
Die Pläne der künftigen Bundesregierung für eine schnellere Energiewende und einen vorgezogenen Kohleausstieg - "idealerweise" bis 2030 statt bis 2038 - werden wohl fast alle in Deutschland berühren, ob als Stromkunden oder als Anwohner von Stromtrassen und Windrädern. Auch Verbraucherschützer haben viele Fragen, vor allem zu den finanziellen Lasten. "Sollten beim Kohleausstieg zusätzliche Kosten, zum Beispiel höhere Strompreise entstehen, müssen neben der Industrie auch die privaten Haushalte finanziell entlastet werden", mahnt vorsorglich der Chef der Verbraucherzentrale Bundesverband, Klaus Müller.
Unruhe lösen die Pläne der Ampel-Koalition aber vor allem in den Kohleregionen selbst aus. Viele fühlen sich überrumpelt, nicht nur im Lausitzer Revier in Brandenburg und Sachsen, wo sich seit Jahrzehnten gigantische Bagger durch die Landschaft pflügen und Millionen Tonnen Braunkohle fördern. 2030 statt 2038? Wie soll das gehen? Woher kommen so schnell neue Jobs? Und woher kommt der Strom?
Klimaziele der Ampel-Koalition bis 2030: 80 Prozent des Stroms aus erneuerbarer Energien
Die Ampel-Koalition hat eine andere Perspektive: Der frühere Kohleausstieg soll die deutschen Klimaziele sichern. Beschlossen ist eine Senkung der Treibhausgase um 65 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 1990. "Ohne einen nahezu vollständigen Ausstieg aus der Kohle bis 2030 sind die Emissionsziele nicht erreichbar", sagt Jan Peter Schemmel, Sprecher der Geschäftsführung am Berliner Öko-Institut.
Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP macht dies zum Programm. Er setzt darauf, dass Kohleverstromung zunehmend unrentabel wird. So ist vorgesehen, den CO2-Preis im EU-Emissionshandel stabil über 60 Euro pro Tonne zu halten, notfalls mit nationalen Maßnahmen. Damit gäbe es "einen klaren ökonomischen Anreiz zur Stilllegung von Kohlekraftwerken", sagt Schemmel.
Zugleich müssen für einen früheren Kohleausstieg erneuerbare Energien wie Wind und Sonne viel schneller ausgebaut werden. Die Ampel geht von einem höheren Stromverbrauch bis 2030 aus - getrieben zum Beispiel von mehr Elektroautos und elektrischen Wärmepumpen in Gebäuden. Und von dieser wachsenden Menge sollen 80 Prozent bis 2030 aus erneuerbaren Energien stammen - statt bisher geplanten Zielmarke 65 Prozent. Geschafft war 2020 laut Branchenangaben ein Ökostrom-Anteil von rund 45 Prozent
"Herkulesaufgabe": Ausbau Tausender neuer Windräder
Nötig sind unter anderem Tausende neuer Windräder, doch vor allem der Ausbau an Land stockt: zu wenig Flächen, lange Planungsverfahren, viele Klagen, Konflikte mit dem Arten- und Naturschutz. Die künftige Koalition will bis zu zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft nutzen, viel mehr als bisher. Ende 2020 waren bundesweit gerade einmal 0,7 bis 0,85 Prozent der Fläche rechtswirksam für Windenergie ausgewiesen, so steht es im Bericht eines Bund-Länder-Ausschusses vom Oktober. Planungsverfahren dauern laut einigen Länderberichten aktuell mindestens fünf, teilweise aber auch zwölf Jahre.
Die Ampel will Tempo und nutzt einen Hebel: Die erneuerbaren Energien sollen im "öffentlichen Interesse" liegen. Der künftige Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) sieht das als Weg, um etwa in Bayern geltende große Mindestabstände von Windrädern zu Wohnhäusern zu kippen, wie er der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte.
Dazu gehört, Bürgern und Kommunen den Zubau von Windrädern schmackhaft zu machen, auch mit finanziellen Anreizen. Das sei wichtig, sagt Schemmel. "Aber machen wir uns nichts vor: Der Ausbau der Erneuerbaren mit dem nun angenommenen höheren Strombedarf bis 2030 wird eine Herkulesaufgabe."
Gaskraftwerke als Alternative für Kohlverstromer
Einige große Kohleverstromer scheinen sich der Herausforderung inzwischen zu stellen. Interessant für sie: Die Ampel will neben den Erneuerbaren auch Gaskraftwerke, die später einmal klimafreundlich mit Wasserstoff laufen könnten. Diese könnten an bisherigen Kraftwerksstandorten errichtet werden oder man könnte vorhandene Anlagen auf Gas umrüsten.
Der Braunkohle-Tagebaubetreiber RWE hält einen schnelleren Kohleausstieg jedenfalls für möglich. Voraussetzung sei "ein massiver und beschleunigter Ausbau von Erneuerbaren Energien, Netzen und Speichern" sowie "ein massiver Zubau von Gaskraftwerken", teilt der Konzern mit. Bis 2030 will RWE mindestens 2000 Megawatt Gaskraftwerkskapazität aufbauen.
Der Energiekonzern EnBW im Südwesten nennt den Kohleausstieg bis 2030 "richtig und machbar", ebenfalls unter der Bedingung eines schnelleren Ausbaus von Alternativen. EnBW prüft, ob drei wichtige Kohlekraftwerke auf Erdgas und später auf klimaneutrale Gase umgestellt werden können.
Der Stromerzeuger Uniper will 2030 planmäßig nur noch das Kraftwerk Datteln IV mit Steinkohle befeuern. Auch Steag, einst größter Steinkohleverstromer Deutschlands, sieht im schnelleren Kohleausstieg nach Worten eines Sprechers "kein Problem". Ab Herbst 2022 werde nur noch das Steinkohlekraftwerk Walsum 10 in Duisburg am Markt sein. Eine Umrüstung auf Erdgas oder Biomasse wird geprüft.
Kohleausstieg bis 2030: Kritik an Umsetzbarkeit und Wegfall von Arbeitsplätzen
Im Westen scheint die Abwicklung der Kohle also schon in Sichtweite. Beim ostdeutschen Bergbau- und Kraftwerksbetreiber Leag treffen die Pläne der künftigen Bundesregierung hingegen auf Protest. Erst 2019 hatte sich die Kohlekommission unter Mitwirkung der Lausitz mühsam auf einen Kohleausstieg bis 2038 geeinigt - und jetzt das.
"Für mich ist es ein absolutes Ding der Unfassbarkeit", sagt Leag-Betriebsrat Lars Katzmarek. "Ich bin erschüttert darüber, dass man den Kompromiss, den man geschlossen hat, so in die Tonne tritt." Der 29-Jährige begann 2008 eine Ausbildung zum Mechatroniker. Später machte er noch den Abschluss als Elektrotechniker und arbeitet heute in der IT im Industriepark Schwarze Pumpe. Der Kohleausstieg 2030 sei schlicht nicht machbar, sagt Katzmarek.
Er glaubt nicht an den Turboausbau der Windkraft und auch nicht daran, dass die nötigen Netze entstehen. Für die Energiewende seien bereits 7.000 Kilometer Hochspannungsleitungen geplant, doch würden nur 150 Kilometer pro Jahr tatsächlich gebaut. Auch neue Gaskraftwerke an Kohlestandorten dauerten lang. "Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht die Lösung", sagt Katzmarek.
Diese Lösung müsste aus seiner Sicht nicht nur die Stromversorgung sichern, sondern auch gut bezahlte Jobs für die Lausitz. Dort hängen nach seiner Rechnung noch 7.500 bis 8.000 Arbeitsplätze direkt an der Kohle und weitere 16.000 indirekt. Es sei ja schön, dass in Cottbus ein neues Bahnwerk mit 1.200 Stellen entstehe, aber eben viel zu wenig. Der Wandel brauche mehr Zeit. (dpa/tar)
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