Fleisch, Milch oder Eier – was lange als unabdingbares Grundnahrungsmittel galt, wird heute von vielen Menschen zunehmend kritisch gesehen. Die Produktion und der Konsum tierischer Produkte haben erhebliche Konsequenzen – für die Umwelt, unsere Gesundheit und natürlich die Tiere selbst. Die Tierethikerin Friederike Schmitz plädiert daher für ein generelles Ende der Nutztierhaltung.
Die Zeiten, in denen Vegetarier und Veganer als tierliebe Spinner galten, sind vorbei. Dass es gute Gründe für den Verzicht von Fleisch, Milch und Eiern gibt, ist mittlerweile wissenschaftlich belegt. Es werden aber noch immer große Mengen tierische Erzeugnisse produziert und konsumiert.
Rund 20 Millionen Schweine werden allein in Deutschlands Mastbetrieben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gehalten, rund vier Millionen Kühe produzieren täglich Tausende Liter Milch und beim Geflügel, dem häufigsten Nutztier in Deutschland, liegen die Zahlen bei weit über 100 Millionen Tieren.
Das hat seinen Preis - nicht nur an der Supermarktkasse. Die Produktion von Fleisch und anderen tierischen Lebensmitteln hat auch massive Auswirkungen auf Klima, Artenvielfalt, Böden und Gewässerqualität und verursacht Leid von Millionen von Tieren, die unter teils widrigen Bedingungen gehalten werden.
Weg von der Massentierhaltung, hin zu ökologisch bewirtschafteten Kleinbetrieben – ist das also die Lösung? Nicht, wenn es nach Tierethikerin Friederike Schmitz geht. Sie fordert den kompletten Ausstieg aus der Nutztierhaltung. Im Interview erklärt sie, wie der Ausstieg gelingen kann, warum Biobetriebe ihrer Meinung nach nicht die Lösung sind und ob ethische Tierhaltung überhaupt möglich ist.
In Ihrem Buch "Anders satt!" fordern Sie den kompletten Ausstieg aus der industriellen Tierhaltung. Was genau ist aus Ihrer an der Nutztierhaltung problematisch?
Friederike Schmitz: Daran sind viele verschiedene Aspekte problematisch, darunter die Klimaemissionen, die Umweltzerstörung und die Gesundheitsgefahren. Außerdem ist das System gegenüber den Tieren selbst extrem ungerecht und brutal. Die Tiere sind auf engstem Raum eingesperrt und können ihre Bedürfnisse nicht ausleben. Sie ziehen sich systematisch Krankheiten und Verletzungen zu und viele Tiere sterben schon in den Ställen qualvoll. Die anderen werden im Schlachthof nach einem Bruchteil ihrer Lebenserwartung getötet. Für die Tiere ist es die Hölle auf Erden.
Angenommen, es würde nur noch kleine Ökobetriebe mit wenigen Tieren geben, die sehr viel Platz und Bewegungsfreiheit haben - wäre Nutztierhaltung dann nicht vertretbar?
An diesem Bild sind zwei Dinge problematisch. Zum einen der Vergleich mit der Realität: Tatsächlich haben die Tiere auch in Biotierhaltung meistens zu wenig Platz, sie leiden ebenfalls. Schweinen muss man zum Beispiel in der Biohaltung einen Auslauf zur Verfügung stellen, der für zwölf Schweine nur so groß ist wie ein Autoparkplatz. Auch in Biobetrieben werden Eltern und Jungtiere voneinander getrennt und die Tiere sind immer noch auf bestimmte Leistungen gezüchtet. Legehennen zum Beispiel darauf, 300 Eier im Jahr zu legen, was schlecht für ihre Körper ist. Ur-Hühner haben nur 30 Eier pro Jahr gelegt. Und auch die Tiere aus der Biohaltung landen im Schlachthof. Damit sich die Nutzung wirtschaftlich lohnt, muss man immer die Bedürfnisse der Tiere verletzen. Daher glaube ich, dass eine faire Nutztierhaltung nicht möglich ist.
Und das zweite Problem?
Ein derartiges romantisches Bild der Biohaltung trägt zur Stabilisierung des Status quo bei. Wir beruhigen unser Gewissen, wenn wir Bio kaufen und es erweckt den Eindruck, dass wir einfach alle landwirtschaftlichen Betriebe auf Biohöfe umstellen können. Aber das täuscht darüber hinweg, wie krass der Umstieg ist, den wir eigentlich brauchen: Einen Ausstieg aus der Nutztierhaltung.
Noch sind wir weit von einem Ausstieg aus der industriellen Nutztierhaltung entfernt. Wie kann der Umstieg gelingen?
Es braucht ein Gesamtpaket an Maßnahmen, sowohl in der Agrar- als auch in der Ernährungspolitik. Auf Landwirtschaftsseite müsste man zunächst einmal die Tierzahlen drastisch senken und die Landwirte und Landwirtinnen dabei unterstützen, das umzusetzen. Der Umbau muss sozial gerecht stattfinden. Zum Beispiel sollten Entschädigungsprogramme aufgelegt werden, die den Ausstieg aus der Tierhaltung ermöglichen und den Landwirtinnen und Landwirten dabei helfen, andere Einkommensmöglichkeiten zu erschließen. Subventionen sollten umgeschichtet werden, Gesetze müssen geändert werden - mit dem Kernziel, die Tierzahlen abzubauen.
Und hinsichtlich der Ernährungspolitik?
Auf der Ernährungsseite gibt es ebenfalls viele Hebel. Ernährung ist stark abhängig von der Ernährungsumgebung – welche Nahrungsmittel angeboten werden, wie teuer sie sind, wofür Werbung gemacht wird. Das spielt eine riesige Rolle bei der Entscheidung, was wir essen. Das Essen in Kantinen könnte rein pflanzlich gestaltet werden, die Mehrwertsteuer für pflanzliche Produkte könnte gesenkt und für tierische erhöht werden. Werbung für tierische Produkte könnte man verbieten und Kampagnen für pflanzliche Ernährung starten. Ich würde mir außerdem eine ehrliche Diskussion über die negativen Auswirkungen von industrieller Tierhaltung wünschen. Aber der politische Wille ist noch nicht da, da braucht es noch mehr Druck aus der Bevölkerung.
In den Niederlanden wurden im letzten Jahr Maßnahmen beschlossen, die zu einer drastischen Reduzierung von Tieren in landwirtschaftlichen Betrieben führen wird. Danach kam es teils zu gewalttätigen Ausschreitungen.
Deshalb ist es so wichtig, dass man attraktive Alternativen für die betroffenen Landwirte und Landwirtinnen schafft und gut kommuniziert. Solche Modelle gibt es zwar teilweise in den Niederlanden, aber da gab es viel Unsicherheit. Auch mit den besten Angeboten wird es wohl zu Protesten kommen, denn es wird immer Leute geben, die die nötigen Änderungen trotz der Fakten und Argumente abwehren und dabei Mythen und Falschdarstellungen anhängen, die auch von der Agrarlobby befördert werden. Ein Stück weit muss man die Ablehnung aushalten. Es ist eine große gesellschaftliche Transformation und die wird nicht reibungslos über die Bühne gehen.
Unter dem grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir soll im Sommer eine Tierhaltungskennzeichnung für Lebensmittel eingeführt werden, die die Haltungsform für Verbraucher erkennbar macht. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?
Ich glaube nicht, dass die Tierhaltungskennzeichnung für Tiere oder Klima viel verändern wird. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Haltungsstufen sind minimal und ein Abbau der Tierzahlen ist damit nicht verbunden. Meine Befürchtung ist eher, dass es zu einer Stabilisierung der hohen Tierzahlen und der schlimmen Bedingungen kommt. Wer jetzt mit Fördergeldern in Stallumbauten investiert, will natürlich die neuen Ställe dann mindestens 20 bis 30 Jahre weiterlaufen lassen. Dabei werden außerdem Energie und Ressourcen verschwendet, die man direkt in den Abbau der Tierzahlen stecken könnte.
Ein Umbau des gesamten Ernährungssystems auf überwiegend pflanzliche Kost geht nicht ohne breite Zustimmung in der Bevölkerung – aber die fehlt im Moment noch, oder?
Ich glaube, hier ist es wichtig, sich klarzumachen, dass es auch gar keine Zustimmung für den Status quo gibt. Niemand will, dass Tiere unnötig gequält werden oder sich fast alle Legehennen das Brustbein brechen - aber das ist Realität in der Nutztierhaltung. Die Mehrheit der Bevölkerung kauft diese Produkte trotzdem und handelt daher widersprüchlich. Die Frage ist, wonach richtet man sich: Nach dem Verhalten der Konsumentinnen und Konsumenten an der Supermarktkasse oder nach deren ethischen Überzeugungen? Ich finde, wir müssen die ethischen Überzeugungen mehr berücksichtigen. Die Politik könnte es den Menschen erleichtern, in Einklang mit ihren eigenen Werten zu leben, zum Beispiel indem pflanzliche Produkte attraktiver und günstiger gemacht werden. Doch da tut sich noch viel zu wenig. Um mehr Dynamik zu erzeugen, bräuchte es mehr Menschen, die sich aktiv dafür einsetzen. Eine stärkere soziale Bewegung.
Es gab in der Politik schon Forderungen, die in diese Richtung gingen – doch wegen des Vorschlags eines Veggie Day wurde die Bundestagswahl für die Grünen zum Desaster. Warum hat Fleisch einen so hohen sozialen Stellenwert in der Gesellschaft?
Fleisch war lange ein Wohlstandsymbol. Die Gegenwehr hat aber auch viel mit psychologischen Verteidigungsmechanismen zu tun. Wenn das, was man jeden Tag tut und in Ordnung findet, plötzlich moralisch kritisiert wird, geht man erst einmal in Gegenwehr. Diese Abwehrreaktionen sehen wir ja auch beim Thema Autofahren oder Fliegen. Die Forderung der Grünen für den Veggie Day liegt allerdings schon zehn Jahre zurück. Die Frage ist, ob das heute auch noch so einen Aufschrei auslösen würde. Das Bewusstsein in der Bevölkerung hat sich seitdem verändert. Klar, es wird immer Gegenstimmen geben und die können auch besonders laut sein - aber ich wäre dafür, das auszuhalten.
Die Verbindung zwischen Wohlstand und Fleischkonsum existiert bis heute. In Ländern, in denen der wirtschaftliche Aufschwung gerade erst begonnen hat, geht der Trend klar in Richtung mehr Fleisch.
Das Image von Fleisch muss sich ändern. In Industrienationen passiert das gerade: Fleisch gilt nicht mehr wie früher als gesund. Aber das allein reicht noch nicht. Deshalb ist es wichtig, über die negativen Folgen von Fleischkonsum zu sprechen - die Umweltzerstörung, die Gewalt und die Ungerechtigkeit – und die Alternativen noch attraktiver zu machen.
Macht es aus ethischer Sicht einen Unterschied, ob wir ein Kalb züchten, um es zu essen, oder ob es sich um einen Fisch oder eine Heuschrecke handelt? Wonach bemisst sich der "Wert" eines Tieres?
Für die ethische Beurteilung geht es immer um die Empfindungsfähigkeit. Können Tiere Schmerzen und Freude empfinden? Säugetiere und Vögel, die global milliardenfach genutzt und getötet werden, sind empfindungsfähig und besitzen sehr komplexe soziale Fähigkeiten und Emotionen. Bei Fischen war das lange etwas umstritten, aber heute wissen wir, dass auch Fische Schmerzen empfinden können und erstaunliche Fähigkeiten haben. Daher ist der Konsum von Fischen aus meiner Sicht genauso schlimm, zumal die Fischerei extrem brutal ist. Da greifen keine Tierschutzgesetze, die Tiere ersticken oder werden lebendig aufgeschnitten.
Im Falle der Heuschrecken ist es komplizierter. Bei Insekten ist die Empfindungsfähigkeit nicht so klar zu belegen, es gibt Indizien dafür und dagegen. Da es gut sein kann, dass sie Leid empfinden können, sollten wir im Zweifel für die Heuschrecken entscheiden. Ich sehe es kritisch, dass Insekten immer mehr als Fleischalternative diskutiert werden. Eine pflanzliche Ernährung ist hinsichtlich Umwelt- und Klimaauswirkungen immer besser und es ist die geringere Umstellung für die Gesellschaft.
Spielt der Zweck der Tierhaltung bei der Bewertung eine Rolle, also ob wir Tiere zum Verzehr, für die Forschung oder zum Spaß halten?
Ich sehe bei allen Arten der Tierhaltung Probleme, aber der Zweck macht einen Unterschied für die Bewertung. Es ist immer eine Gesamtabwägung und dabei spielen die Gründe eine Rolle, die Situation der Tiere aber auch. Ich halte Zootierhaltung und Tierversuche für falsch, obwohl bei Tierversuchen in der Medizin bessere Gründe vorliegen mögen. Das macht die Praxis aber noch lange nicht richtig, denn wir beuten die Tiere für unsere Zwecke aus. Bei Haustieren sehe ich es etwas differenzierter, da hier nicht automatisch Ausbeutung vorliegt. Es kann gute Formen des Zusammenlebens von Mensch und Tier geben, auch wenn in der Realität viele Haustiere leiden. Und manche Haustiere wie Meerschweinchen, Kaninchen oder Hamster profitieren nicht vom Kontakt zum Menschen. Häufig werden sie unter unzureichenden Bedingungen gehalten und können ihre Bedürfnisse nicht ausleben. Bei Hunden ist das eher möglich.
Ist es ethisch vertretbar, dass wir Menschen uns in eine andere Kategorie erheben als alle anderen Tiere?
Es ist richtig, dass wir besondere und bemerkenswerte Fähigkeiten haben, aber daraus folgt nicht, dass unser Leben und unsere Bedürfnisse wichtiger wären als die aller anderen Tiere. Eine unserer Besonderheiten ist schließlich die Fähigkeit zur ethischen Reflexion.
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