Es ist eine der lebensfeindlichsten Zonen der Erde: In der Atacama-Hochebene leben Mäuse in über 6.000 Meter Höhe auf den Gipfeln von Vulkanen. Der Höhenrekord für Säugetiere lässt Forscher rätseln: Was tun die Tiere da - und wovon leben sie?
Gefriergetrocknet in einer Geröllwüste in mehr als 6.000 Metern Höhe: Auf den Gipfeln mehrerer Andenvulkane haben Forscher mehr als ein Dutzend mumifizierte Blattohrmäuse gefunden. Die Funde im Grenzgebiet von Chile und Argentinien gelten als Höhenrekord für das Vorkommen von Säugetieren, abgesehen vom Menschen. Erbgut-Analysen deuten darauf hin, dass es sich nicht um einzelne Streuner handelt, die irgendwie auf die Gipfel gelangt sind, sondern um dort lebende Populationen.
"Die Tatsache, dass Mäuse tatsächlich in solchen Höhen leben, zeigt, dass wir die körperlichen Belastungsgrenzen kleiner Säugetiere unterschätzt haben", sagt Jay Storz von der University of Nebraska, der die Erkenntnisse im Fachblatt "Current Biology" vorstellt. Schon vor drei Jahren hatte Storz im Fachblatt "PNAS" vom Fund einer Blattohrmaus (Phyllotis) auf dem Gipfel des 6.739 Meter hohen aktiven Vulkans Llullaillaco berichtet - den Fang dokumentiert sogar ein Video. Bis dahin hatte der Großohr-Pfeifhase im Himalaya den Rekord gehalten - mit einer belegten Sichtung auf 5.182 Metern und Berichten über einen Fund auf 6.130 Metern Höhe.
Unklar, wie Tiere in diesen Höhen überlebten
Die Blattohrmaus Phyllotis vaccarum schlägt diesen Rekord deutlich - aber nicht nur das: Die Vulkangipfel auf dem Atacama-Hochplateau sind eine rund 1.500 bis 2.000 Meter über der Vegetationsgrenze gelegene Geröllwüste, vergleichbar mit Landschaften auf dem Mars. Die erste mumifizierte Maus hatte Storz auf dem Vulkan Salín in gut 6.000 Metern Höhe gefunden. Bei weiteren Expeditionen fand er dort und auf den beiden nahegelegenen Vulkanen Púlar and Copiapó insgesamt 13 mumifizierte Tiere und Überreste von weiteren.
Radiocarbon-Datierungen ergaben, dass fast alle Tiere in den vergangenen Jahrzehnten gelebt hatten. Nur eines davon war älter: Es lebte vor maximal 350 Jahren, frühestens im späten 17. Jahrhundert - und damit lange nach der Zeit der Inka. Diese waren für Tier- und Menschenopfer auf Bergspitzen bekannt.
Genomuntersuchungen der auf den jeweiligen Gipfeln gefundenen Mäuse ergaben, dass es sich etwa zur Hälfte um männliche und weibliche Tiere handelt. Zudem sind unter jenen acht Mäusen, die vom Salín stammten, zwei eng miteinander verwandte Paare - vermutlich entweder Geschwister oder Eltern-Nachwuchs. Beides spricht den Forschern zufolge dafür, dass es sich um feste Populationen handelt und nicht um zufällige Streuner. Unklar ist jedoch, wovon die Tiere dort eigentlich leben.
Forscher rätseln, was die Mäuse antrieb
"Auch wenn wir einen Transport durch die Inkas als Erklärung für die Existenz von Mausmumien auf Atacama-Vulkanen ausschließen können, bleibt es ein Rätsel, warum die Tiere aus eigenem Antrieb in so extreme Höhen aufstiegen", schreibt die Gruppe um Storz. Eine Möglichkeit wäre, dass sie in dieser unwirtlichen Umgebung nicht mit Fressfeinden wie etwa Füchsen oder Greifvögeln rechnen müssen.
"Wenn man sich auf dem Gipfel eines 6.000 Meter hohen Vulkans versteckt, ist man zumindest davor sicher", sagt Storz. "Dafür muss man sich dann aber um andere Dinge sorgen." (Walter Willems, dpa/af)
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