- Bei einer Routinebefischung der Oder Ende November ist deutlich weniger Fisch gefangen worden als in den Vorjahren.
- "Für dieses Ökosystem wichtige Arten wie Zope und Rapfen fehlten ganz", heißt es in einer Mitteilung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB).
- Handele man jetzt nicht, bestünde ein hohes Risiko, "dass sich die Katastrophe wiederholt – und zwar prinzipiell in jedem Sommer wieder".
Hunderte tote Fische treiben an der Wasseroberfläche oder sind bereits ans Ufer geschwemmt worden. Solche Bilder von der Oder sorgten im August für Fassungslosigkeit. Mehrere hundert Tonnen Fische starben durch die menschgemachte Umweltkatastrophe.
Doch seitdem hat sich der Nationalpark Unteres Odertal in der brandenburgischen Uckermark nicht erholt. Die wertvolle Lebensader für Deutschland und Polen leidet, wie die erste große Bestandsaufnahme seit der Katastrophe in der Strommitte der Oder vom 29. November zeigt.
IGB: "Von einer 'Erholung' der Oder kann definitiv keine Rede sein"
Die Ergebnisse der Untersuchung verdeutlichen laut des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB): "Von einer 'Erholung' der Oder kann definitiv keine Rede sein". "Die menschengemachte Umweltkatastrophe hat die Bestände über alle Arten hinweg drastisch reduziert", heißt es in einer Mitteilung des Instituts. Bei der Untersuchung hat das Forschungsteam gerade einmal halb so viele Fische gefangen wie noch im Durchschnitt der Vorjahre.
Besonders wichtige Arten wie Zope und Rapfen, die für dieses Fließgewässer-Ökosystem typisch seien, habe die Umweltkatastrophe sichtlich zugesetzt: Kein einziges Exemplar von ihnen landete im Fangnetz. Außerdem kaum vorhanden waren Muscheln und Schnecken. Ökologe Christian Wolter sagt laut der Mitteilung, dass Muscheln durch die Oder-Katastrophe um die Hälfte ihrer Biomasse reduziert worden seien. "Es wird noch sehr lange dauern, bis die Bestände wieder aufgebaut sind, denn Muscheln sind nicht so mobil, um zügig aus Refugien wieder einzuwandern."
Für die Untersuchung befischte das Forschungsteam die Oder von Hohensaaten bis zum Marienhofer Wehr insgesamt zwölf Mal entlang der 37 Flusskilometer langen Strecke mit einem großen Schleppnetz. Bei jedem Durchgang zog das Forschungsschiff das Netz 1.000 Meter.
IGB pocht auf Grenzwert für Salz – andernfalls könnte sich die Katastrophe wiederholen
Bei der Befischung prüfte das Forschungsteam auch die Leitfähigkeit. Diese hätte aufgezeigt, dass die Salzgehalte im Fluss "immer noch deutlich zu hoch" seien – und das, obwohl das Wasser bereits durch den Zufluss der Warthe verdünnt sei.
"Unsere chemischen Analysen zeigen ein sehr ähnliches Ionenprofil wie im Sommer", sagt der Biogeochemiker Tobias Goldhammer. Der Hauptbestandteil sei weiterhin übliches Kochsalz. In Wasserproben aus der Unteren Oder habe das Forschungsteam etwa 400 Milligramm davon pro Liter Wasser gefunden, "das ist in etwa die Hälfte der gesamten Salzmenge in diesen Proben". Flussaufwärts müsse sogar noch viel mehr davon im Wasser gelöst sein. "Daraus schließen wir, dass die Einleitungen unvermindert weitergehen."
Zudem fand das Forschungsteam heraus, dass das Salz in einer größeren Wassermenge transportiert wird. "Das bedeutet, dass die tatsächlichen Salzfrachten jetzt sogar noch größer sind als im Sommer. Es ist daher dringend notwendig, die Einleitgenehmigungen bis April 2023 von 'Frachten' auf 'Konzentrationen' umzustellen und einen ökologisch verträglichen Grenzwert auf wissenschaftlicher Basis festzulegen", appelliert Wolter. Goldhammer fügt an: "Gerade, weil es sich bei Kochsalz ja um eine für sich ungefährliche Ausgangssubstanz handelt, wäre es vergleichsweise einfach, durch gezieltes Management und Vorverdünnung die effektiven Konzentrationen im Fluss zu reduzieren."
Werden keine Maßnahmen eingeleitet, gehen die Forscher des IGB von einem hohen Risiko aus, "dass sich die Katastrophe wiederholt – und zwar prinzipiell in jedem Sommer wieder". Denn die Brackwasseralge sei bereits im Sediment des Flusses nachgewiesen worden. Sie könnte also bei geeigneten Lebensbedingungen wieder erwachen. Wolter sagt: "Das Einzige, was aktuell für eine Massenentwicklung noch fehlt, sind wärmere Temperaturen."
Polen und Deutschland uneinig über Maßnahmen
Dass dringender Handlungsbedarf besteht, um die Oder und damit den Lebensraum vieler Arten zu schützen, wird durch die neueste Untersuchung einmal mehr deutlich. Allerdings herrscht Uneinigkeit zwischen Deutschland und Polen, vor allem, was den Ausbau des Flusses anbelangt.
"Ausbaumaßnahmen an der Oder stehen aus unserer Sicht einer erfolgreichen Regeneration entgegen", heißt es seitens des Bundesministeriums für Umwelt und Naturschutz. Das Nachbarland hingegen will den Ausbau weiter vorantreiben. Umweltschützer erreichten vor Gericht in Warschau vorerst einen Stopp von Bauarbeiten am Oderufer.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) wolle sich dazu mit ihrer polnischen Amtskollegin austauschen, "um für dieses Verständnis zu werben und um gemeinsame nächste Schritte zu vereinbaren". 2023 seien etwa Workshops geplant.
Hoher Salzgehalt in der Oder förderte Vermehrung einer giftigen Brackwasseralge
Anfang August trieben viele tote Fische in der Oder. Die Ursache für das Massensterben war zunächst unklar. Ein Expertenbericht sorgte für Klarheit: Die Umweltkatastrophe sei durch menschliche Aktivitäten verursacht worden. "Salzeinleitungen sind nach Ansicht der Fachleute die Ursache für das Fischsterben", sagte Lemke.
In dem Bericht heißt es, dass ein sprunghaft gestiegener Salzgehalt die wahrscheinlichste Ursache sei. Durch ihn und weitere Faktoren konnte sich demnach die Brackwasseralge Prymnesium parvum vermehren. Diese produziert eine giftige Substanz, die für Fische und andere Wasserorganismen tödlich ist.
Verwendete Quellen:
- Pressemitteilung der IGB: "Befischung nach der Oder-Katastrophe zeigt: von Erholung keine Spur" (20. Dezember 2022)
- Pressemitteilung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz: "Oder-Fischsterben: Eingeleitetes Salz führte zur Massenvermehrung giftiger Alge" (30. September 2022)
- Website des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz: "FAQ Fischsterben in der Oder"
- Dpa-Meldung: "Streitfall Oder - Verwundeter Fluss vor neuer Katastrophe?" (22. Dezember 2022)
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