Gemüsebeet statt Großstadtstress: 2009 zogen Lisa Pfleger und Michael Hartl aufs Land und wagten das "Experiment Selbstversorgung". Seit Beginn des Projekts dokumentieren sie ihre Erfahrungen in einem Blog. Bringt diese Art zu Leben Unabhängigkeit oder ist sie weltfremd?

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Alles hinter sich lassen. Den Bürojob, die teure Stadtwohnung, den Straßenlärm, die Großstadthektik – und raus aufs Land, rein in die Natur. Ein Traum, den wohl viele Großstädter ab und an träumen – und wieder verwerfen. Ein Traum, den auch Lisa Pfleger und Michael Hartl hatten - und sich erfüllten. 2009 kehrten sie Wien den Rücken und pachteten ein 8000 Quadratmeter großes Grundstück im Südburgenland.

"Wie leben, ohne dass es auf Kosten anderer geht?"

"Wir bekamen zufällig eine E-Mail mit dem Angebot: ein Haus mit großem Grundstück, das gegen Arbeit vermietet wird", erzählt Pfleger. Es war die Gelegenheit, auf die sie gewartet hatten. Pfleger und Hartl, damals noch ein Paar, überlegten nicht lange und sagten zu. "Was aber nicht heißt, dass wir uns da Hals über Kopf reingestürzt haben." Beide waren schon seit Jahren politisch aktiv, setzten sich ein für Menschen- und Tierrechte, für Umwelt- und Naturschutz. "Wir haben uns immer Gedanken darüber gemacht, was die Folgen unseren Konsums sind. Und wie man leben kann, ohne dass es auf Kosten anderer geht – auf Kosten der Natur, von Tieren oder von Kindern, die in Bangladesch Billig-Shirts zusammenschneidern."

Bereits in Wien hatten sie ein kleines Grundstück in einer Kleingartenanlage und bauten Gemüse selbst an, sammelten im Herbst Nüsse, trockneten Äpfel und kochten Karotten ein. "Aber das reichte uns nicht mehr. Auch in unserem Kleingarten haben wir immer den Straßenverkehr gehört", erzählt Pfleger. Sie sehnten sich nach Ruhe, nach Natur.

Hartl vermeidet das Wort "Aussteiger"

Im Südburgenland lebten sie mittendrin. Zum dem Grundstück gehörten ein kleiner Wald und eine Streuobstwiese, ein Kräutergarten und 400 Quadratmeter Gemüsebeet. Das Wort "Aussteiger" vermeidet Hartl bewusst. "Wir sind keine. Es ist nicht so, dass wir aus dem System aussteigen wollten. Wir sind beide selbständig, zahlen Sozialversicherung. Aber wir wollten zeigen, dass man auch in unserem System anders, bewusster Leben kann." Ihre Lebenshaltungskosten haben sich im Vergleich zu ihrer Zeit in Wien halbiert, sie kaufen viel in Second-Hand-Läden, haben kein eigenes Auto, verzichten auf Fernreisen.


Seit Beginn ihres "Experiments Selbstversorgung" dokumentierten sie ihre Schritte, die großen und die kleinen, die Erfolge und die Rückschläge, in einem Blog. Was zunächst für Freunde und Verwandte gedacht war, entwickelte sich bald zu etwas größerem. Die Zahl ihrer Leser wuchs beständig. "Wir merkten, dass es viele Leute gibt, die ähnlich denken wie wir", sagt Hartl.

Ist die Art zu leben weltfremd?

Natürlich gibt es auch kritische Stimmen, solche, die ihnen vorwerfen, weltfremd zu sein. Weil eben nicht alle so leben könnten und eine alleinerziehende Mutter eben nicht einfach mal mit ihren Kindern aufs Land ziehen kann. "Darum geht es uns auch gar nicht", sagt Pfleger. Sie sehen sich nicht als Vorbilder, denen jeder nacheifern sollte. Aber als Beispiel, von dem sich jeder die Scheibe abschneiden kann, die er für richtig hält. "Auch in der Stadt kann man mit kleinen Schritten anfangen. Etwa Kräuter auf dem Balkon ziehen oder Brot selbst backen."

Auch sie selbst seien schließlich nicht von heute auf morgen zum Selbstversorger geworden, sagt Hartl. "Das ist ein Prozess, der immer noch andauert." Pfleger nickt. "Wir probieren jeden Tag neue Dinge aus – deswegen heißt es ja auch 'Experiment'." Und die 25-Jährige experimentiert gern, rührt selbst Zahnpasta an oder lebt ein Jahr ohne Shampoo – und berichtet davon im Blog. Auch wenn ein Versuch mal schiefgeht.

Ein Stück Unabhängigkeit

"In den vergangenen drei Generationen ist so viel Wissen verloren gegangen", sagt Hartl. "Aber es lohnt sich, die alten Fähigkeiten, die unsere Großeltern noch hatten, wieder zu erlernen." Nicht nur, weil es ein Stück Unabhängigkeit bedeutet. In ein selbstgebackenes Brot zu beißen oder Tomaten beim Wachsen zuzusehen, habe auch etwas enorm Befriedigendes. "Das begeistert mich immer wieder aufs Neue. Auch jetzt noch, nach all den Jahren", sagt Hartl.
Mittlerweile gehen Hartl und Pfleger getrennte Wege. Hartl lebt auf einem Hof im Weinviertel, Pfleger in Niederösterreich. Doch die Ideale blieben die gleichen, an ihrem Blog schreiben sie weiter gemeinsam. "Für uns ist es nach wie vor die schönste Art zu leben, die wir uns vorstellen können."

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