Eine meiner besten Freundinnen ist Ende 50, glaube ich. Genau weiß ich es nicht, es ist mir auch egal. Ich erinnere mich nur, dass sie schon Anfang 30 war, als sie noch mal angefangen hat zu studieren.
Heute ist sie Professorin und hat drei erwachsene Kinder. Ein guter Kumpel von mir ist Ende 20, hat erst eine Lehre absolviert, ist dann an die Uni und macht gerade seinen Master. Ein anderer Bekannter ist jünger als er, hat einen Sohn und seine eigene Maschinenbau-Firma. Bei den meisten Menschen in meinem Freundeskreis weiß ich aber ehrlich gesagt gar nicht, wie alt sie sind.
Hinzu kommt, dass es mir zunehmend schwerfällt, das Alter von Menschen zu schätzen. Sollte ich mal Zeuge eines Verbrechens werden und eine Aussage bei der Polizei machen müssen: Die Personenbeschreibung kriege ich hin, aber fragen Sie mich bloß nicht nach dem vermutlichen Alter des Verdächtigen.
Neulich erfuhr ich, dass die Ex eines Freundes - ich kenne sie nur beiläufig, sie sieht super aus und ich nahm an, sie sei so Mitte 30 - gerade Großmutter geworden war. Bei Teenagern wird es noch komplizierter. Anhand der Kleidung oder dessen, was Kids manchmal so von sich geben, bin ich völlig verloren.
Und bei Promis? Hoffnungslos. Kürzlich las ich, dass Senta Berger Geburtstag hatte. Auf dem Papier ist sie nun 78, für mich bleibt sie ewig Mitte Vierzig, für immer "Die schnelle Gerdi".
Der Begriff 50plus ist eine Frechheit
Anfang Mai besuchte ich "Die 66", Deutschlands größte 50plus-Messe. Die Presse nennt die Veranstaltung auch gerne "Seniorenmesse". Das an sich finde ich schon verwirrend. Und die Begrifflichkeit 50plus im Grunde eine Frechheit.
Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland liegt für Männer bei 78,4 Jahren, für Frauen bei 83,4 Jahren. Heißt: Der Begriff 50plus umfasst alle Menschen im Alter von 50 bis mindestens 80. Rein rechnerisch ist das, als würde man alle 10- bis 40-Jährigen in einen Topf schmeißen.
Die Bedürfnisse werden auf Schlager, Busreisen und Medizin reduziert
Dennoch wird die Zielgruppe 50plus in Sachen Bedarf, Interessen und Konsum auf das Folgende reduziert: Schlager, Massagesessel, Versicherungen, Immobilien-Fonds, betreutes Wohnen, Weinhändler, Busreisen, Wellness, Medizin - und vorsorglich schon mal: die letzte Ruhestätte.
Ob Brad Pitt sich da angesprochen gefühlt hätte? Der wird dieses Jahr 56. Immerhin: "Die 66" heißt ab dem nächsten Mal "LEIF - Die Erlebnismesse für Menschen mitten im Leben", das finde ich gut.
Denn es erkennt an, dass es falsch ist, Menschen auf ihr biologisches Alter festzunageln, hat es doch wenig Aussagekraft. Nicht darüber, ob jemand viel zu sagen und erlebt hat oder Talent, Motivation, Offenheit und Erfahrung mitbringt. Und auch nicht darüber, ob jemand fit, leistungsfähig und up to date ist.
Zu jung und unerfahren, zu alt und eingefahren
Vielleicht sollten Altersangaben generell abgeschafft werden, zumindest in Lebensläufen - um zu vermeiden, dass Menschen aufgrund ihres Alters beurteilt oder vielmehr vorverurteilt, schlimmstenfalls diskriminiert werden.
Und zwar in beide Richtungen: Ist man "zu jung", gilt man als zu unerfahren, um Verantwortung zu übernehmen oder zu wissen, was man tut. Ist man "zu alt", gilt man als zu eingefahren, um sich auf Neues einzulassen, mitzuhalten oder sich etwas sagen zu lassen. Und ist man altersmäßig "mittendrin", läuft man als Frau Gefahr, den "Bestes Kinderkrieg-Alter"-Stempel abzubekommen.
Deswegen sollte es Jung und Alt freistehen, ihr Alter zu verschweigen. Denn wie man das Leben meistert, auf Veränderungen reagiert oder Herausforderungen annimmt, ist keine Frage des Alters, sondern der Einstellung. Und es ist Willenssache: Wenn man es will, tut es nichts zu Sache.
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