Jugendsprache von und für Best Ager? Das lässt sich die Gen Z nicht mehr bieten.
Auf manches ist im Nachrichtenjahreszyklus einfach Verlass. Das Sommerloch zum Beispiel. Wer dachte, das hätte in diesem Jahr seinen bis zum Erdkern reichenden Tiefpunkt an dem Tag erreicht, als Markus Söder quasi das Döneressen erfunden hat, hat seine Rechnung ohne die Abstimmung zum "Jugendwort des Jahres" gemacht.
Das Voting des Langenscheidt Verlags, das seit 2008 stattfindet, ist eine sichere Bank in Sachen Cringeness, ermächtigt sie gediegene Schreiberlinge jenseits von Gut und Böse dazu, sich über Jugendsprache zu ereifern. Und die zehn zur Auswahl stehenden Wörter dürften in diesem Jahr selbst den eingestaubtesten Feuilletonisten zu einem noch abschätzigeren side eye unter der Hornbrille veranlassen als gewöhnlich.
Alle Anwärter im Überblick
- Talahon
- Nein Pascal, ich denke nicht.
- Schere
- Pyrotechnik
- Akh
- Aura
- Hölle nein
- Yurr
- Digga(h)
- Yolo
Realtalk: Sagt denn echt irgendwer unter 20 noch "Yolo"? Diese Frage lässt die Redaktionen der Nation legit ratlos zurück, da die meisten Redakteur:innen nur jemanden kennen, der jemanden kennt, der in diesem Alter ist.
Aber dieser eine junge Mensch studiert romanistische Anthropologie und beklagt ohnehin auf X, dass Worte wie "Diggah" oder "Alter", die er mal in einer Arte-Doku gehört hat, den Werte- und Sprachverfall der Nation widerspiegeln… Und da ging es noch nicht mal um Anglizismen!
Fun Fact: Über das "Jugendwort des Jahres" kann jede Person abstimmen – man muss lediglich seine Altersspanne eingeben (diese beginnt bei "0-10" und endet bei "31+"). Nun kann man sich darüber streiten, ob man als 30-Jähriger noch als jugendlich durchgeht – schließlich darf man in diesem Alter ja schon auf "Gammelfleischparties" (erster und vielleicht unangenehmster "Jugendwort"-Preisträger ever) gehen. Noch streitbarer sind allerdings die Wörter, die jedes Jahr zur Auswahl stehen, darunter linguistische Legenden wie "I bims","fly sein"oder "Niveaulimbo".
Wenn die Wahl zum Jugendwort des Jahres ein Meme wäre, dann das von Nick Young, dessen Verwirrung verwirrt ist. Die nominierten Wörter lösen meist bei allen Fragezeichen aus: Alte rätseln, ob Junge wirklich so sprechen. Junge rätseln, wer diese Listen erstellt … und alle fragen sich: WAS ZUM F… BEDEUTEN DIESE WÖRTER ÜBERHAUPT?
Boomer-Wort des Jahres: Die Gen Z schlägt zurück
Generationen junger Menschen müssen sich seit immerhin 16 Jahren mit dem "Jugendwort des Jahres" herumplagen – und mit älteren Menschen und Berufsjugendlichen, die diese Wörter daraufhin tatsächlich verwenden.
Aber nicht mit der Gen Z! Auf Tiktok (einer Art schnellem Video-Facebook mit viel Tanz- und Markus-Söder-Inhalten) holte der bekannte Content Creator Levi Penell zum fulminanten Gegenschlag aus: Er postete eine Abstimmung zum Boomer-Wort des Jahres 2024, an der sich tatsächliche viele Menschen beteiligten.
Alle Anwärter im Überblick
- Flippig
- Harsch
- Knorke
- Obacht
- Papperlapap
- Sapperlot
- Schnabulieren
- Sportsfreund
- Steiler Zahn
- Firlefanz
Touché. Die Abstimmung zum Boomer-Wort hat Potenzial, sich zu etablieren. Auch wenn es seine Zeit gedauert hat, bis auch die letzten das Thema aufgegriffen haben… Nun ja, bis die Info im Videotext zu finden und Windows 98 hochgefahren war...
Das Gute daran: Inzwischen wissen alle – außer den wahren Boomern –, welches Wort das Rennen gemacht hat: der "Sportsfreund".
Erste, nicht repräsentative Umfragen in der Redaktion zeigen übrigens, dass sich das ein oder andere Wort der Liste tatsächlich im Sprachgebrauch der Redakteur:innen wiederfindet – aber selbstverfreeeeilich nicht ernst gemeint.
Das Ugly-Christmas-Sweater des deutschen Sprachgebrauchs
Ironie ist wohl der springende Punkt. Denn vielleicht ist es mit dem "Jugendwort des Jahres" ja so, wie mit dem hässlichen Pullover von Onkel Edelbert, den man zu Weihnachten trägt, um keine familiäre Krisensituation zu riskieren: Es ist zwar cringe, aber einmal im Jahr kann man das schon machen, zumindest ironisch. Und vielleicht wird ja doch noch ein Trend daraus.
Nachdem nun also der Umgang mit dem "Jugendwort des Jahres" geklärt ist, steht nur noch eine Frage im Raum: Werden Redakteur:innen, die mehr als 31+ Jahre auf ihrer Geburtstagstorte zählen, jemals damit aufhören, sarkastische Texte zum "Jugendwort des Jahres" zu schreiben, in denen sie mehr oder weniger gewollt die Cringe-Grenze überschreiten? Ich spreche für mich, wenn ich sage: Nein Pascal, ich denke nicht.
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