Noch einmal jung sein - aber mit dem Wissen von heute? Wir stellen Ihnen regelmäßig eine Frage dazu, was Sie schon in jungen Jahren gerne gewusst hätten. Hier lesen Sie die Antworten zu der Frage, was unsere Leserinnen und Leser aus der Beziehung zu ihren Eltern gelernt haben.

Ein Protokoll

Mit den Jahren lernen wir dazu – über das Leben, über andere und über uns selbst. Einiges fügt sich ganz einfach, anderes müssen wir vielleicht auf die harte Tour lernen. Was wissen Sie heute, was Sie gerne schon in jungen Jahren gewusst hätten?

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Diese Fragen stellen wir unseren Leserinnen und Lesern in unserem Format "Was ich mit 18 gerne gewusst hätte ..." zu bestimmten Themen. Diesmal geht es um die Beziehung zu den eigenen Eltern. Die Redaktion bedankt sich herzlich bei allen, die auf unseren Aufruf geantwortet haben.

Redaktioneller Hinweis

  • In den folgenden Zuschriften geht es unter anderem um emotionale und körperliche Gewalt in der Kindheit. Sollten auch Sie betroffen sein oder sollte Sie das Thema aufwühlen, sollten Sie möglicherweise nicht (alleine) weiterlesen.
  • Hier finden Sie Anlaufstellen für verschiedene Krisensituationen im Überblick.

Ihre Antworten zu der Frage: "Was haben Sie aus der Beziehung zu ihren Eltern gelernt?"

Vom Keine-Ahnung-haben

"Man nimmt als junger Mensch, der gerade der Kindheit entwachsen ist, häufig an, dass die Eltern keine Fehler machen oder machen dürfen. Dass sie hingegen auch einfach mal unwissend sind und ihre eigenen Sorgen oder Einschränkungen haben und sich hilf- oder ratlos fühlen, kommt Jugendlichen einfach nicht in den Sinn. Gleiches gilt für die komplexe Gefühlswelt, die man als Teenager bei den eigenen Eltern kaum vermuten würde … Ich hätte also gern gewusst, dass Eltern und Erwachsene auch keine wirkliche Ahnung von der Welt haben, sondern lediglich einen größeren Erfahrungsschatz besitzen."

Michael, kein Alter angegeben

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Von Wahrheiten, die nicht die eigenen sind

"Meine Eltern haben mir gegenüber zwar ihr damals Bestmögliches gegeben, aber wie gerne hätte ich im Rückblick damals schon die Bewusstheit gehabt, zu erkennen, dass das, was meine Eltern mir über das Leben, über mich und meine Lebensführung, Ansichten gesagt haben, nicht DIE Wahrheit war, sondern lediglich ihre Sicht auf Basis ihrer eigenen, nicht bearbeiteten Schattenthemen, Prägungen und Urteile. Mit meiner Lebenserfahrung und meinem Wissen von heute hätte ich mich viel besser emotional abgrenzen können, ihnen deutlich gemacht, dass dies IHRE Sicht ist und nicht meine und dass ich mir diese Grenzverletzungen und Urteile verbitte. Als junge Frau kam es zwischen meinen Eltern und mir zu einem dreijährigen Kontaktabbruch, der für mich heilsam und notwendig war. Meine Mutter starb in dieser Zeit und danach gab es mit meinem Vater eine innige Wiederannäherung und beste Verbindung bis zu seinem Tod."

Anja, 55 Jahre

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Von Liebe und Stärke

"Meinen Vater habe ich nie kennengelernt und meine Erzeugerin hat mich regelmäßig körperlich und mental misshandelt. […] Das Jugendamt hat nichts gemacht und mich immer wieder zu ihr gegeben. […] Auch die Menschen im Umfeld haben jahrelang weggeschaut.

"Ich habe meinen Weg gefunden, auch wenn er oft steinig war."

Doch heute kann ich sagen, ich habe mein Leben gemeistert. Ich habe meinen Weg gefunden, auch wenn er oft steinig war. Dies hat mich zu einem starken Menschen gemacht. Heute habe ich drei abgeschlossene Berufsausbildungen und eine Familie. Ich liebe meine Kinder über alles. Gewalt wird es in meiner Familie nie mehr geben. Heute bin ich glücklich, dass auch ich endlich Liebe erfahren darf."

Chini, kein Alter angegeben

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Vom Gefühl, nicht gesehen zu werden

"Die Beziehung zu meinen Eltern war von Anfang an schwierig, da ich mich nicht gesehen fühlte. Meine Eltern haben gedacht, alles richtig zu machen. Haben aber sehr viel falsch gemacht. Ich leide heute noch darunter. Mit 60 Jahren. Mein Leben hätte sehr schön sein können. Aber wenn die Eltern nur deckeln und nie loben und das Potenzial des Kindes nicht sehen oder für nicht wichtig befinden, ist das ein großes Problem."

Claudia, kein Alter angegeben

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Vom Streben nach (vermeintlichem) Glück

"Ich hätte gerne mit 18 Jahren von meinen Eltern gewusst, dass man nicht dem gesellschaftlichen Mythos (Freund, Hochzeit, Haus, Familie) hinterhereifern muss, sondern dass es auch andere Werte gibt. Und es nicht der Lebensinhalt sein sollte, nur nach der Erfüllung dieser auferlegten Verpflichtung zu streben."

Susanne, 49 Jahre

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Vom Andersmachen mit der eigenen Familie

"Meine Eltern haben mich in vielerlei Hinsicht unterstützt und jedem ihrer drei Kinder möglichst das versucht zu bieten, was sie für sich wollten. Andererseits hat die zerrüttete Ehe meiner Eltern und die dadurch vergiftete Atmosphäre zu Hause dazu beigetragen, dass wir alle drei mit spätestens 18 zu Hause ausgezogen sind und ich auch heute noch keinen richtigen Kontakt zu meinen Geschwistern habe. Da ich das immer sehr bedauert habe, habe ich bei meinen Kindern sehr darauf geachtet, sie als Einheit zusammenzuschweißen, sie hängen sehr aneinander.

"Vieles von dem, was ich als Kind als traumatisierend erlebt habe, habe ich bewusst bei meinen Kindern anders gemacht."

Meine Mutter war Alkoholikerin, was unsere Beziehung sehr schwer gemacht hat. Vieles von dem, was ich als Kind als traumatisierend erlebt habe, habe ich also bewusst bei meinen Kindern anders gemacht. [...] Trotzdem waren meine Eltern für mich immer ein Quell an Wissen auf bald jedem Gebiet und ich konnte meine Gedanken und Interessen im Gespräch mit ihnen gut reflektieren. Diese Gespräche fehlen mir heute sehr. Häufig stelle ich mir vor, welche Freude meine Mutter an einem Computer und dem Internet gehabt hätte, oder mit welchem Interesse mein Vater mit mir durch ein Freilichtmuseum gelaufen wäre. Von Zeit zu Zeit führe ich ein gedankliches Gespräch mit meinem Vater, bei dem er aber auch immer mal gerne sagt: 'Sei jetzt mal still, ich will die Nachrichten hören.'"

Anne, kein Alter angegeben

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Was eine Psychotherapeutin rät

Viele Antworten haben uns erreicht, in denen Leserinnen und Leser von traumatisierenden Erfahrungen in ihrer Kindheit berichten. Einige konnten diese Erinnerungen zu weiten Teilen hinter sich lassen, andere haben auch heute damit zu kämpfen.

Die Redaktion hat alle Nachrichten gesichtet und die Antworten zum Anlass genommen, der Frage nachzugehen: Wie heilt man von den emotionalen Wunden seiner Kindheit? Die Psychotherapeutin Katrin Boger, die auf Bindungstraumata spezialisiert ist, sagt: Indem wir genau hinschauen, Groll überwinden und Verantwortungen klären.

Lesen Sie nachfolgend das ganze Interview mit Katrin Boger über den Prozess des Heilens, einen großen Stolperstein dabei und einen Satz, der Betroffenen im Alltag helfen kann:

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