- Der Mentalist und Autor Thorsten Havener befasst sich seit rund 30 Jahren mit Körpersprache, Verhaltenspsychologie und Illusion.
- In seinem jüngsten Bestseller "Ich sehe das, was du nicht sagst" teilt der 48-Jährige sein Wissen über nonverbale Kommunikation und zeigt einige Methoden auf, wie man seine eigene Körpersprache besser beeinflussen kann.
- Im Interview spricht er über die Kunst des Körpersprache-Lesens, nonverbale Kommunikation in Zeiten des Mund-Nasen-Schutzes - und warum der Mensch wie eine Tube Senf ist.
Herr Havener, Ihr neues Buch heißt "Ich sehe das, was du nicht sagst". Tun Sie das tatsächlich immer bei einer Person?
Thorsten Havener: (lacht) Nein. Ich bin kein Mensch, der ständig durch die Fußgängerzone rennt, Leute analysiert und wie
Nichtsdestotrotz habe ich in den letzten 30 Jahren, in denen ich mich mit dem Thema Kommunikation und Körpersprache befasse, gemerkt: Wenn wir über uns selbst Bescheid wissen – das heißt über unsere eigene Art und wie wir denken – können wir unglaublich viel bei anderen Menschen erkennen, was uns im ersten Moment vielleicht gar nicht so bewusst ist.
Warum ist Körpersprache für uns Menschen so wichtig?
Weil es letztendlich das Natürlichste der Welt ist. Die Körpersprache hatten wir als Menschen schon, bevor wir die gesprochene Sprache entwickelt haben. Sie war überlebensnotwendig. So konnte man damals einem Menschen ansehen, ob er eventuell eine Bedrohung darstellt.
Außerdem ist Körpersprache neben der gesprochenen Sprache ein unglaubliches Hilfsmittel im richtigen Miteinander, wir senden damit Signale. So zum Beispiel durch die kulturabhängige und angelernte Geste des Händeschüttelns: das Zeigen der Handflächen ist dabei immer ein Zeichen beziehungsweise ein Signal für Offenheit und für "von mir geht keine Bedrohung aus".
Körpersprache besteht hauptsächlich aus Mimik, Gestik und Körperhaltung. Worauf achten Sie beim Lesen der Körpersprache am meisten?
Wenn wir jemanden neu sehen, dann schauen wir zuallererst in die Augen und dann auf die Hände. Dieser - natürliche - Ablauf ist uns gar nicht bewusst und geschieht häufig in weniger als einer Sekunde.
In die Augen beziehungsweise in das Gesicht schauen wir, um zu gucken, welche Mimik der andere hat und ob er freundlich ist. Auf die Hände, um zu gucken, ob da irgendetwas drin ist, was uns gefährlich werden könnte.
Für den weiteren Ablauf habe ich persönlich keine Checkliste im Kopf. Die hatte ich am Anfang, als ich gelernt habe, mich mit diesen Dingen ernsthaft auseinanderzusetzen. Inzwischen habe ich das derart verinnerlicht und nehme den anderen in seiner Gesamtheit wahr.
Inwiefern hat sich Körpersprache durch den Mund-Nasen-Schutz in der Corona-Pandemie geändert?
Wir können den anderen nicht mehr "ganz" wahrnehmen. Das Gesicht wird uns zu Zweidritteln genommen. Das macht die Kommunikation sehr viel schwieriger, denn wir brauchen unbedingt das ganze Gesicht, um die Mimik des anderen lesen zu können.
Ansonsten irren wir uns wahnsinnig schnell. Zum Beispiel reißt der eine die Augen auf und der andere denkt "Der ist total überrascht". In Wirklichkeit freut er sich aber total (lacht).
Man kann den Unterschied nicht erkennen, weil man nicht sehen kann, ob derjenige dabei lächelt. Der Mund-Nasen-Schutz stellt somit für uns Menschen eine Barriere dar.
Zudem sorgt sie dafür, dass wir den anderen als Bedrohung wahrnehmen: Sie erinnert uns immer wieder daran, dass die Mund-Nasen-Schutz tragende Person uns gefährlich werden oder eine Virenschleuder sein könnte. Das hemmt das Menschliche im Miteinander.
Allerdings sollte man die aktuelle Situation akzeptieren, anstatt darüber zu schimpfen - was viel mehr Stress verursachen würde. Man kann zum Beispiel üben, dass man mehr mit den Augen spricht. In meinem Buch beschreibe ich dazu eine Übung. Die dauert nicht lange.
Mögen Sie die Übung näher erklären?
Sie besteht darin, dass man sich selbst einen Mund-Nasen-Schutz anlegt und sich vor einem Spiegel stellt. Dann lächelt man zum Beispiel und beobachtet, wie man dabei aussieht.
Man kann das mit verschiedenen Emotionen ausprobieren: Wut, Trauer, Angst, Überraschung, Ekel oder Glücklichsein. Diese Übung sorgt dafür, dass wir ein bisschen mehr über uns selbst erfahren. Hintergrund ist meine These, dass wir uns erst selbst kennenlernen müssen, bevor wir andere lesen und erkennen können.
Wie kann man trotz des Mund-Nasen-Schutzes seine Emotionen gut – das heißt, das Risiko der Fehldeutung mindernd – übermitteln?
Wenn der Mund und die Nase verdeckt sind und man beispielsweisen das Naserümpfen oder die minimale Erweiterung der Nasenflügel nicht sehen kann, dann können wir das mit einer Geste nochmal unterstützen.
So kann man zu dem Satz "Mir geht’s gut" und dem Lächeln unter dem Mund-Nasen-Schutz noch den Daumen nach oben heben. Die Gesten kommen uns vielleicht ein bisschen affektiert und komisch vor, helfen dem anderen aber ungemein.
Worin besteht – abgesehen von dem Mund-Nase-Schutz als Barriere – die Kunst Körpersprache zu lesen?
Ich habe einen Grundsatz im Buch beschrieben, der lautet: "Kommunikation folgt der Absicht". Das bedeutet: Die Idee, die ich habe, wenn ich mit jemand anderem rede, beeinflusst meine Körpersprache und Betonung.
Wenn ich die Absicht habe, in der Kommunikation mich mit dem anderen Menschen wirklich emotional zu verbinden, wird das in der Körpersprache deutlich. Der einfachste Schlüssel (für das Lesen von Körpersprache, Anm. d. Red.) ist demnach echtes Interesse an anderen Menschen.
Was ist, wenn man diese Empathie nicht hat und aufgrund dessen Emotionen beziehungsweise Körpersprache fehlinterpretiert?
Körpersprache richtig zu interpretieren kann man ganz gut lernen, indem man sich zum Beispiel eine Talkshow ansieht und zwischendurch den Ton wegdreht.
Danach schaut man sich dieselbe Talkshow nochmal an, aber mit Ton. Dann kann man sehen, was die Person gesagt und dazu körpersprachlich ausgedrückt hat. Außerdem kann man – und das ist die einfachste Möglichkeit – bei der anderen Person nachfragen, wenn man ihre Körpersprache nicht eindeutig interpretieren kann.
In Ihrem Buch zeigen Sie nicht nur Methoden, wie man die Körpersprache anderer deutet, sondern auch, wie man seine eigene beeinflussen kann. Besteht hier nicht eine gewisse Gefahr, dass jemand dieses Wissen manipulativ einsetzt und mit Absicht "falsche" Signale sendet?
Ja, die besteht. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass das nicht allzu lange gut geht – außer derjenige hat das wirklich sehr, sehr lange und intensiv geübt.
Mein Prinzip an dieser Stelle ist: "Alle Macht kommt von innen. Alle Kraft kommt von innen." Das heißt, sobald jemand unter Druck gerät – zum Beispiel bei einer Präsentation oder einem Verkaufsgespräch – dann kommt auch immer das heraus, was auch wirklich drin ist.
Ich vergleiche uns Menschen hier ganz gerne mit einer Tube Senf. Wenn man diese aufmacht und draufdrückt, dann kommt Senf raus. Warum? Weil Senf drin ist. Genauso ist das mit den Emotionen: ein Mensch kann sie nicht auf Dauer und unter allen Umständen unterdrücken.
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