Elke Schneider geht mit ihrem Mini-Shetlandpony Daisy regelmäßig in Heime und Hospize. Über eine Frau und ihr Pferd, die Menschen in schwierigen Situationen ein Lächeln schenken.

Eine Reportage
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Eindrücke und Einschätzungen von Tanja Ransom. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Daisy atmet einmal tief aus, dann stapft sie entschlossenen Schrittes in den Aufzug. Wie so oft liegt ein kurzer, aber intensiver Arbeitstag im Ingolstädter Elisabeth Hospiz vor ihr. Ihre braunen Strähnen fallen ihr ins Gesicht, ihre braunen Augen ruhen auf der Frau, die vor ihr den Fahrstuhl betreten hat. Die Aufzugtür öffnet sich, und Daisys kleine Hufe klackern als sie den Linoleumboden des Hospizes betritt. Daisy ist ein dreijähriges Mini-Shetlandpony.

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Wie so oft ist sie mit ihrer Besitzerin Elke Schneider im Einsatz. Die 48-jährige Rettungssanitäterin besucht gemeinsam mit Daisy ehrenamtlich Einrichtungen wie Seniorenheime oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderung oder – wie an diesem Tag – das Hospiz am Rande der Ingolstädter Altstadt.

© T. Ransom

"Das ist quasi unser Wohnzimmer", sagt Elke Schneider und lacht, während sie Daisy an einem Halfter durch den Flur der Einrichtung führt. Das Lächeln der Mitarbeiterinnen wird noch breiter, als sie Daisy sehen. Sie gehen neben dem kleinen Pferd in die Hocke und schießen Selfies. Nur Stationsdackel Ludwig, der nicht nur auf einem Foto an der Wand verewigt ist, sondern sich auch mit seinem Frauchen, das im Hospiz arbeitet, auf der Station herumtreibt, ist skeptisch ob der Besucherin, die sich allzu selbstverständlich in seinem Revier bewegt.

Daisy schenkt Momente im Hier und Jetzt

In Deutschland gibt es laut dem Deutschen Hospiz- und Palliativverband 260 stationäre Hospize für Erwachsene, in denen insgesamt etwa 36.400 Menschen versorgt werden. Elf von ihnen wohnen momentan im Ingolstädter Elisabeth Hospiz. Besuch ist ausdrücklich erwünscht, auch von Haustieren, Hunden oder Katzen zum Beispiel. Ein paar der Gäste, wie man sie hier nennt, möchten an diesem Tag ein wenig Zeit mit der ungewöhnlichen Besucherin verbringen.

Die Frau auf Zimmer 4 zum Beispiel, eine zierliche Person mit weißem Haar und freundlichem Gesicht, die gerade in ihrem Bett liegt, als Elke Schneider und Daisy den Raum betreten. Ihr Gesicht hellt sich auf, als Daisy ihren Kopf neugierig über das Bett streckt. "Bist ein lieber Kerl", sagt die Frau leise, während sie Daisy mit flacher Hand eine kleingeschnittene Möhre anbietet.

In diesem Moment ist sie ganz da, bei Daisy, im Hier und Jetzt. In dem Zimmer mit den großen Fenstern und dem kleinen Esstisch. Nur ein paar Augenblicke vergehen, ehe die Frau wieder in ihre eigene Realität abschweift, von Dingen erzählt, die nur für sie real sind. Schneider irritiert das nicht. Sie plaudert und lacht mit der Frau.

"Durch meinen Job weiß ich, wie man mit Menschen mit Demenz oder einer anderen Erkrankung umgeht", sagt Schneider kurze Zeit später im Flur. Sie arbeitete schon im Rettungsdienst und hat mit ihrem zweiten Pferd Nemo auch schon die Sanitätsreiterstaffeln Oberschwaben geleitet. Sie habe da keine Berührungsängste. "Aber das meiste macht eh Daisy", sagt sie, als wäre das, was sie an ihren wenigen freien Tagen macht, selbstverständlich.

Auf jeden Fall hat Schneider die Gabe, die Menschen um sich herum zu spüren – und damit das Feingefühl, sich deren Bedürfnissen anzupassen. Wie in Zimmer 4 plaudert sie drauflos und spricht davon, wie sich Daisy neulich bei einer Weihnachtsfeier im Altersheim in einem kurzen unbeaufsichtigten Moment am Plätzchenteller bedient hat.

"Sie war geistig nicht da, aber sie hat über ihre Hand Daisys Nähe gefühlt und ihre Wärme."

Elke Schneider über eine Begegnung

In einem anderen Zimmer, bei einer Frau, die selbst kaum spricht, schweigt auch Schneider. Die Frau berührt Daisys Nüstern, sanft, erst mit zwei, dann mit drei Fingern. In dem Raum mit vielen gemalten Kinderbildern und einem Engelchen "für die beste Oma der Welt" ist nur Daisys leises Kauen zu hören und ihr zufriedenes Schnauben. Als die Frau mit einem Finger leicht auf den Plastiktisch tippt, verabschiedet sich Schneider mit warmen Worten und führt Daisy aus dem Zimmer. "Sie war geistig nicht da, aber sie hat über ihre Hand Daisys Nähe gefühlt und ihre Wärme", sagt sie.

In den zwölf Jahren, die sie mit Pferden in Einrichtungen unterwegs ist, hat sie viele unterschiedliche Menschen kennengelernt und unterschiedliche Arten, Krankheit oder Tod zu begegnen. Ihr Weg in das Ehrenamt begann damals passenderweise auf dem Rücken eines Pferdes. Sie ritt damals immer durch das Dorf, in dem sie wohnte, vorbei an einer Werkstatt, in der Menschen mit Behinderung arbeiteten. "Die Menschen dort freuten sich immer, wenn wir vorbeigeritten kamen und fragten, ob ich nicht öfter vorbeikommen könnte – und dann dachte ich mir, wenn ich das mache, dann richtig", erinnert sich Schneider.

Pony Daisy, Elke Schneider
Daisy freut sich über die Aufmerksamkeit - und noch mehr über die kleingeschnittenen Möhren, mit denen um ihre Gunst geworben wird. © T. Ransom

Und das macht sie auch an diesem Wintertag im Ingolstädter Hospiz im Zimmer von Herrn Grey. Er trägt eine Brille, in seinen langen weißen Bart hat er einen Knoten gemacht. Herr Grey sitzt im Rollstuhl, über seinen Beinen liegt eine Decke, darauf legt er gerade ein paar Leckerli für Daisy.

Auf einem Tisch steht eine leere Colaflasche und ein Foto seiner Familie. "Gerade heute sind meine Enkel nicht da, die werden sich ärgern", sagt er mit einem breiten Grinsen. Sechs Enkel hat er, "meine Kinder waren fleißig". Und dann erzählt er von früher. Er ist selbst mit Pferden aufgewachsen, immer wieder sagt er, wie fantastisch es sei, dass ein Pony zu Besuch ist.

Beschimpfungen durch Angehörige

So sei es oft, dass Menschen von ihren Tieren sprechen, wenn Daisy da ist, sagt Schneider. Doch so glücklich wie Herr Grey sind bei Weitem nicht alle Menschen, denen Elke Schneider bei ihrem Ehrenamt in Einrichtungen begegnet. Die Bewohner würden sich meist freuen, die Besucher seien oft kritischer. "Manche sprechen von Tierschutz und werfen mir vor, Daisy zur Bespaßung von Menschen zu missbrauchen", sagt sie.

"Ich habe Menschen, die im Sterben lagen, ihren letzten Wunsch erfüllt, nochmal ein Pferd zu sehen – und wurde direkt danach von Angehörigen beschimpft", sagt Schneider. Sie erklärt sich das mit Projektion. Viele hätten ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht öfter da waren, vermutet sie. "Wenn Angehörige einmal im Jahr vor Weihnachten ihre Verwandten besuchen und zu mir sagen 'Oh, Sie und Ihr Pferd habe ich ja noch nie gesehen' entgegne ich: 'Ich Sie auch nicht, und ich bin oft hier.'"

Doch auch, wenn es Tage wie diesen im Elisabeth Hospiz für Schneider und Daisy regelmäßig gibt, lebe Daisy sonst ein unaufgeregtes Pferdeleben: Paddockbox mit großer Koppel in einem Stall ganz in der Nähe, grasen, buckeln, Gesellschaft von Elkes zweitem Pferd, einem Tinkerwallach namens Nemo.

Und so führt sie auch an diesem Vormittag Daisy nach getaner Arbeit wieder zurück in ihren kleinen Hänger mit der Aufschrift "Shetland Pony". Heute wird sie vielleicht noch mit Daisy den Kindern ihres Chefarztes eine Freude machen. Im Hospiz ist sie bald wieder zu Besuch. "Es ist mein Teil, den ich der Gesellschaft zurückgeben kann, und das mache ich gern."

Verwendete Quellen

Lächeln, Wirkung

Lächeln wirkt wie Medizin

Es mag vielleicht widersinnig klingen, aber tatsächlich sollten wir versuchen zu lächeln, auch wenn es uns gerade schlecht geht. Das erklärt die Therapeutin Anette Frankenberger im Podcast "15 Minuten fürs Glück". (Bild: Getty Images/shapecharge)
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Teaserbild: © T. Ransom