Derzeit spaltet ein Audioclip die Internetgemeinde. Auf der Aufnahme ist eine amerikanische Männerstimme zu hören, die ein kurzes Wort sagt. Manche verstehen "Laurel", andere hören "Yanny". Wie kommt es, dass Menschen manche Sinneseindrücke völlig unterschiedlich interpretieren?
Eine US-Schülerin stößt in einem Online-Wörterbuch auf ein Wort, dessen Aussprache und Schreibweise für sie nicht zusammenpassen. Sie liest das Wort "Laurel", in der Sprachwiedergabe hört sie aber "Yanny". Zwischen ihr und ihren Mitschülern entspinnt sich eine Diskussion darüber, was die Stimme tatsächlich sagt.
Die Diskussion landet schließlich in den sozialen Medien. Viele bekannte Persönlichkeiten kommentieren das akustische Mysterium und sogar das Weiße Haus postet ein Video zum Thema "Laurel oder Yanny".
Im Jahr 2015 kursiert ein ähnliches Phänomen durch das Internet. Auf einem Foto ist ein Kleid zu sehen, dessen Farben manche als schwarz und blau wahrnehmen, während andere es für weiß und golden halten. Doch wie kann so etwas sein?
Menschen nehmen die Welt unterschiedlich wahr
Anna Beniermann leitet den Turm der Sinne, ein Mitmach-Museum in Nürnberg, das auf Wahrnehmungsphänomene spezialisiert ist. Dass Menschen Sinneseindrücke auf unterschiedliche Art und Weise deuten, sei völlig normal, sagt die Biologin. "Wir können davon ausgehen, dass nicht jeder Mensch die Welt ganz genau gleich wahrnimmt, ob das jetzt Töne sind oder Bilder."
Dabei beeinflussen verschiedene Faktoren die Wahrnehmung, wie zum Beispiel die Situation, in der man sich befindet, welche Erfahrungen man gemacht hat und welche Erwartungen man hat.
Im Fall des Kleides spielt die Vorstellung, die der Betrachter von den Lichtbedingungen hat, eine Rolle, erklärt Beniermann. Vermutet er, dass sich das Kleid im Schatten befindet, sieht er weiß-gold. Geht er davon aus, dass sich das Kleid im prallen Licht befindet, nimmt er es als blau-schwarz wahr.
Bei dem Laurel-Yanny-Mysterium spielen unter anderem die Fähigkeiten unseres Gehörsinns eine Rolle. Abgesehen davon, dass die Tonqualität der Aufnahme eher schlecht ist, kommt es darauf an, welche Frequenzen man wahrnimmt. Das Wort "Yanny" liegt im höheren Frequenzbereich, während "Laurel" im tieferen Frequenzbereich liegt. "Deswegen könnte man vermuten, dass junge Leute eher "Yanny" hören, weil ältere Menschen diese höheren Frequenzen manchmal nicht mehr so gut wahrnehmen. Das ist aber nur eine Mutmaßung", sagt Anna Beniermann.
Erfahrungen beeinflussen Wahrnehmung
Als ein weiteres Beispiel dafür, wie Erfahrungen und Vorstellungen unser Gehirn austricksen können, nennt Beniermann den Ames-Raum, der in ihrem Museum nachgebaut ist.
Je nachdem, wo die Personen sich darin befinden, wirken sie, von außen betrachtet, entweder sehr groß oder sehr klein. Das liegt daran, dass Boden und Decke des Raumes schräg sind und es viele schiefe Winkel gibt. Da wir aber davon ausgehen, dass die Ecken eines Raumes immer aus rechten Winkeln bestehen, "bessert" unser Gehirn diesen "Fehler" aus und lässt stattdessen die Menschen darin größer oder kleiner erscheinen.
Wenn uns unsere Sinne wie im Fall des Ames-Raumes, des Kleides oder der Yanny-Laurel-Frage täuschen, steckt dahinter eine Fähigkeit des Gehirns, die uns in anderen Situationen hilft, sagt Beniermann. "Wir müssen nicht immer alles auf Herz und Nieren prüfen, bevor wir es kategorisieren können. Das würde viel zu lange dauern. Deswegen gibt es Vereinfachungsprozesse, die es uns erleichtern, uns überhaupt in der Welt zurecht zu finden."
Die Biologin erklärt, dass das schon für unsere Vorfahren ein Vorteil war. "Im Laufe der Evolutionsgeschichte haben sich gewisse Wahrnehmungsmechanismen herausgebildet, die vorteilhaft für unser Überleben waren. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass wir häufig schnell urteilen. Denn es ist oft besser, wenn der Wahrnehmungsprozess schnell ist, als wenn es sehr lange dauert, bis wir etwas wirklich interpretiert haben."
Der einfache Grund: Unsere Vorfahren lernten so schnell schnell wegzurennen, wenn sie etwas hörten - statt vielleicht von einem Raubtier aufgefressen zu werden.
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