Der Kleiber wirkt, als sei er ständig unter Strom. Vielleicht muss der kleine Vogel auch beweisen, was er alles kann. Denn das ist eine Menge.

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Einmal im Jahr ziehe ich durch den Berliner Tiergarten. Der Naturschutzbund (Nabu) säubert im Herbst in kleinen Gruppen die Nistkästen. Wir werfen alte Nester raus und fegen einmal durch, erneuern kaputte Kästen oder rücken sie gerade. Wenn eine Gruppe viele Kästen schaffen will, muss es routiniert und Hand in Hand gehen: Leiter aufstellen und festhalten, hochsteigen, anklopfen, Frontklappe abnehmen, Nest herausnehmen, gut durchfegen und die Frontklappe wieder anbringen.

Kompliziert wird es allerdings, wenn im Frühjahr zuvor ein Kleiber den Kasten für die Familiengründung genutzt hat. Dann kommen oft Hammer und Meißel zum Einsatz.

Gut gesicherte Kinderstube

Wer einen Kleiber beobachten will, hat in urwüchsigen Laub- und Mischwäldern gute Chancen. Aber man sieht sie auch in Parks und naturnahen Gärten. Die Oberseite des Vogels ist blaugrau, der Bauch orangefarben, über die Augen zieht sich ein schwarzer Streifen. Oft hört man den Kleiber, bevor man ihn sieht: Mit einem lauten "Twiet, Twiet" macht er auf sich aufmerksam, als wolle er alle Eichhörnchen, Amseln und Spaziergänger wissen lassen: Hier bin ich!

Ein typischer Kleiberkasten mit verleimter Frontklappe. © dpa/Martin Grimm

Kleiber sind etwa so groß wie Kohlmeisen und brüten wie sie in Höhlen. Sie sind zwar stark für ihre Größe. Aber sich ein Zimmer für Nest und Nachwuchs in den Stamm zu schlagen, das schaffen sie nicht. Deswegen nutzen sie verlassene Spechthöhlen, die sie an ihre eigenen Bedürfnisse anpassen.

Flug für Flug, Schnabelfüllung für Schnabelfüllung schaffen sie Lehm herbei und kleistern das Einflugloch so weit zu, dass nur noch sie selbst hindurchpassen. Für Einbrecher und Eierdiebe wie Eichhörnchen, Spechte oder Marder wird das Loch dadurch zu klein.

Wenn es zu wenige natürliche Höhlen gibt, nutzt der Kleiber auch Nistkästen und macht unserer menschlichen Putzkolonne die Arbeit schwer. Zwar ist das Einflugloch des Kastens so klein, dass nur er es nutzen kann. Aber ein Kleiber kann offenbar keine Bruthöhle nutzen, ohne irgendwo Lehm zu verwenden. Deshalb spachtelt er die Fugen der Frontklappe zu. Besonders eifrige Kleiber machen sogar hinter der Klappe mit dem Innenausbau weiter.

Wenn wir nun die Nistkästen reinigen, ziehen wir für gewöhnlich einfach die Frontklappe ab. Spätestens beim ersten Ruckeln merkt man, ob ein Kleiberpaar am Werk war. Dann müssen wir zunächst Hammer und Meißel rausholen, um den Mörtel loszuklopfen.

Ich weiß nicht, warum sie das machen. Einfach nur aus Gewohnheit? Weil die Lehmverkleidung nun einmal dazugehört? Oder verstehen die Kleiber, dass die Frontklappe herausgelöst werden kann und deshalb am besten gut verleimt werden sollte? Letzteres wäre ziemlich klug. Im Tiergarten sind nämlich Waschbären unterwegs, die manchmal so lange an den Klappen rütteln, bis sie abfallen und sich ein Nest ausräubern lässt. Dann doch lieber alles gut sichern.

Keine Angst vor größeren Vögeln: Ein Kleiber (l.) legt sich mit einem Grünspecht an. © dpa/blickwinkel/Holger Duty

Was der Kleiber kann, kann kein anderer heimischer Vogel

Fliegen, klettern, hüpfen, stochern, hämmern, rufen: Der Kleiber wirkt, als sei er ständig unter Strom. Es gibt ja auch viel zu tun in seinem Leben. Schon im März sucht ein Paar eine passende Bruthöhle und baut sie um. Danach schafft das Männchen Rindenstücke herbei, aus denen das Weibchen im Inneren das typische Kleibernest zusammenlegt.

Ist der Nachwuchs auf der Welt, gilt es hungrige Mäuler mit Insekten und Spinnen zu stopfen, die die Kleibereltern an Baumstämmen und in Ritzen aufsammeln. Beim Turnen und Klettern helfen ihnen ihre großen Füße mit den langen Krallen: Als einziger heimischer Vogel kann der Kleiber Baumstämme nicht nur hoch-, sondern auch kopfüber hinunterlaufen. So kann er auch von oben hinter Rindenstücken stochern, die nach oben abstehen. Schlau, wie er ist, klemmt er dort auch Haselnüsse ein und hämmert mit seinem Schnabel auf die Naht ein, bis sie geknackt sind.

Die langen Krallen machen den Kleiber zum Kletterkünstler. © dpa/Shotshop/Jürgen Landshoeft

Die lauten Rufe schallen auch jetzt noch durch die Wälder, denn ihrer Heimat bleiben die Kleiber auch im Winter treu. Der Nachwuchs ist dann längst selbstständig, aber im kalten Herbst und Winter sind die kleinen Vögel auch damit ausgelastet, sich selbst zu versorgen. Sie steigen dann auf Samen, Nüsse und Früchte um.

Vorratshaltung für den Winter

Im Herbst und Winter ist der Kleiber schwer damit beschäftigt, Vorräte für die kalten Monate anzulegen. Er versteckt Bucheckern oder Haselnüsse in Rindenspalten oder verbuddelt sie sogar unter der Erde, fast wie ein Eichhörnchen. Mit Glück kann man den Kleiber auch am Futterhaus beobachten, wo er gerne ein bisschen Radau macht und die anderen Gäste erstmal in die Flucht schlägt, bevor er einen Sonnenblumenkern davonschleppt.

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Die umtriebige Lebensweise zahlt sich offenbar aus: Der Kleiber ist im leichten Aufwärtstrend. Mindestens 1,25 Millionen Brutpaare soll es in Deutschland geben. Wenn Kleiberpaare den Winter überstehen, können sie früher mit der Suche nach Bruthöhlen beginnen als Zugvögel, die erst noch aus ihren Winterquartieren anreisen.

Durch den Klimawandel verlagert sich das Brutgeschäft von Kleibern leicht nach vorne – manchmal schaffen die Kletterkünstler dadurch noch eine zweite Brut im Jahr. Als hätten sie nicht schon genug zu tun.

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