Als Wiebke Engel nach Amerika kam, waren es vor allem die Pferde, die ihr halfen, sich dort heimisch zu fühlen. Dann entdeckte sie bei einer Tierrettung Mighty Mouse. Der Wallach war alles, was sie nicht wollte – und wurde dennoch ihr großes Glück. pferde.de sprach mit ihr darüber, warum auch Pferde, die nicht den eigenen Wünschen entsprechen, perfekt sein können und wie aus verwahrlosten Tieren wahre Herzensbrecher werden…
In vier Prüfungen gestartet, mit vier Schleifen zurück: Wiebke Engel und ihr Pferd Mouse sind gerade vom Turnier zurück. Es waren die ersten offiziellen A-Dressuren für das Paar und sie belegten gleich zweimal den zweiten Platz, einen dritten und einen vierten. "Damit haben wir unser Jahresziel schon erreicht", sagt Wiebke. Stolz schwingt in ihrer Stimme mit.
Und sie hat allen Grund dazu. Denn als sie Mighty Mouse, den kleinen dunklen Wallach mit Araberblut, 2018 das erste Mal durch die Halle führte, da wurde nicht nur hinter vorgehaltener Hand, sondern ganz offen getuschelt, was sie denn mit diesem komischen Pferd wolle. Mighty Mouse oder einfach Mouse war damals etwa vier Jahre alt. "Er war aber ganz mickrig, sah eher aus wie ein Zweijähriger", erinnert sich Wiebke. Und er hatte bereits Schlimmes erlebt: Mouse kam bei Animal-Hoardern in einer Garage zur Welt. Er war zwei oder drei Jahre dort, völlig unterernährt und verwahrlost, als er gerettet wurde.
Mit vier saß sie das erste Mal auf einem Pony
Von der Tierrettung kam er zu Wiebke. Bei ihr fand er endlich ein richtiges Zuhause und entwickelte sich dank ihrer Fürsorge zu einem tollen Reitpferd, das alle um sich herum verzaubert. Doch nicht nur für ihn war es ein großes Glück, dass Wiebke ihn gefunden hat. Sie selbst erlebte gerade eine schwierige Zeit – und Mouse war genau das, was sie brauchte.
Dabei haben Pferde die heute 37-Jährige schon immer begleitet. "So lange ich mich erinnern kann, wollte ich reiten", sagt Wiebke. "Als ich vier oder fünf Jahre alt war, habe ich das erste Mal eine Woche Urlaub auf dem Ponyhof gemacht, damit fing alles an." Danach fuhr sie jedes Jahr dort hin. Und wann immer Ferien waren und es die Zeit zuließ, fuhr ihr Vater Wolfgang mit ihr zum Ponyverleih in einem Dorf in Niedersachsen. "Racker, so hieß mein Lieblingspony. Mein Papa hat geführt. Er ist nebenher gelaufen – und gerannt! Denn ich wollte schließlich auch traben und galoppieren", sagt Wiebke und lacht.
Jedes Wochenende ging es zur Horseranch
Diese Zeit war ein großes Geschenk für sie. "Wenn ich da heute drüber nachdenke, dass wir einfach ein Pony mitnehmen konnten und wir damit ganz ohne Anleitung unterwegs sein durften… Das würde ich mit meinen Pferden niemals machen", sagt Wiebke.
Mit etwa acht Jahren fing sie an, Reitunterricht zu nehmen. Auf der "Horseranch", so hieß der Stall, verbrachte sie regelmäßig auch ihre Wochenenden. Schnell stieg sie in die Turniergruppe auf – eine Gruppe von sechs bis acht Mädchen. Sie war die jüngste von ihnen. "Ich fand es super mit den älteren Mädchen da meine Zeit zu verbringen. Aber für meine Eltern war das schon eine große Herausforderung, der Stall war nicht gerade um die Ecke."
Mit Chico ist sie großgeworden
An ihr erstes Turnier kann sie sich noch genau erinnern. Auf der "Oldenburger Pferdewoche" in der Weser-Ems-Halle ritt sie im Reiterwettbewerb eine kleine Schimmelstute: Silver. "Das war schon was Besonderes. Vor einer so großen Kulisse bin ich nie wieder geritten", sagt Wiebke.
Viele Jahre ritt sie auf der "Horseranch". Nach Silver kamen die Schulstuten Lucy und Alexandra. Irgendwann der fünfjährige Chico. "Den bin ich jahrelang geritten. Der war ziemlich grün und frech. Aber total hübsch. Wir sind zusammen groß geworden, könnte man sagen", erinnert sich Wiebke.
Ihr Pferd starb – und sie wollte nicht mehr reiten
Ihr erstes eigenes Pferd hat sie sich dann erst kurz vor dem Abitur gekauft. Trevor hieß der Fuchs. "Ich bin ihn zu der Zeit immer geritten, der war mir so richtig ans Herz gewachsen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, ihn zurückzulassen nach der Schule", so Wiebke. Sie zog nach Hamburg, Trevor kam mit. Nach einer Verletzung musste er später leider eingeschläfert werden. "Ich konnte monatelang nicht in den Stall. Es war einfach zu traurig."
Später suchte sie nach einer Reitbeteiligung, doch nichts fühlte sich richtig an. Schließlich hörte sie mit dem Reiten auf. Da sie parallel an der Filmschule studierte und in der Werbung arbeitete, war die Zeit ohnehin knapp. "Das war 2008. Ich bin dann acht Jahre lang nicht mehr aufs Pferd gestiegen." Das Pferdefieber packte sie erst wieder richtig, als sie 2016 im Januar in die USA zu ihrem Mann zog. Während sie auf ihre Greencard wartete, durfte sie nicht arbeiten. In dieser Situation fand sie dann wieder zum Pferd und fing an, Polo zu spielen. "Ich habe gar nicht gewusst, wie sehr mir die Pferde gefehlt haben. Und ich musste etwas machen, um nicht verrückt zu werden. Es hat sich einfach gut gefügt", erinnert sich Wiebke.
2018 Zeit lernte sie eine neue Freundin kennen, die ein Deutsches Warmblut hatte. Die Stute war in den USA gezogen und galt als etwas verrückt. "Meine Freundin meinte zu mir, du bist doch Deutsche, vielleicht sprichst Du ja ihre Sprache", erzählt Wiebke. Klar wollte sie das Pferd ausprobieren. Die Westfalenstute und sie verstanden sich gut. Nun fuhr sie zwei- bis dreimal die Woche in den Stall eine knappe Stunde von Detroit entfernt, um das Pferd zu reiten. Das änderte sich, als Wiebkes Vater im September 2018 ins Krankenhaus kam. "Ich war wochenlang in Deutschland, viel länger als geplant. In der Zeit hat sich dann jemand anderes für die Stute gefunden", erinnert sich Wiebke.
Im Internet sah sie ein Foto von Mighty Mouse
Schon vorher hatte sie angefangen sonntags vor dem Kamin in Verkaufsportalen nach Pferden zu schauen. "Auf einem Portal tauchte ein Foto von einem kleinen jungen Pony mit einem langen Text auf", so Wiebke. Das Pferd hieß Mighty Mouse und war "so gar nicht, was ich gesucht habe". Weder ein Polopferd, noch ein Dressurpferd. Außerdem war er nur 1,40 groß, mickrig und unterernährt. "Er kam aus einer Tierrettung. Und auch wenn er so gar nicht das war, was ich wollte, ich habe ihn mir immer wieder online angeguckt", erinnert sich Wiebke. "Er war einfach so niedlich."
Mouse war eine Art Trauertherapie
Als sie irgendwann dann so weit war, ihn sich doch anzugucken, da war er gerade adoptiert worden. "Es sollte wohl nicht sein, dachte ich", erzählt Wiebke. Doch während sie in Deutschland war und ihr Vater im Krankenhaus starb, da tauchte Mouse plötzlich wieder auf dem Portal auf. Wiebkes Mutter und ihr Mann überredeten sie, Kontakt mit der Verkäuferin Lisa Marriott aufzunehmen.
"Als ich wieder zu Hause in den USA war, habe ich sie angeschrieben und erzählt, wer ich bin, dass ich interessiert bin und gut ein Projekt gebrauchen könnte", erinnert sich Wiebke. "Ich dachte, ich könnte ihn ein halbes Jahr zu mir holen, mit ihm arbeiten, ihn richtig einreiten. Das war meine Idee von Trauertherapie."
Wallach Mouse war völlig verwahrlost
Die Besitzerin war einverstanden. Am nächsten Wochenende wurde Mighty Mouse gebracht. "Er war immer noch dünn und schmal, aber nicht mehr unterernährt. Lisa Marriott hatte ihn auf ihrem Hof schon aufgepäppelt." Ein freundliches Pferd, aber nicht besonders kuschelig. "Trotzdem war er menschenbezogen. Ich finde es bemerkenswert, dass eine Kreatur, die so misshandelt wurde, so zugewandt ist", sagt Wiebke nachdenklich.
Mit vielen anderen Pferden hatte Mouse die ersten Jahre seines Lebens immerhin unter katastrophalen Umständen verbracht, war total verwahrlost. Über seine Abstammung, seine Herkunft kann man nur spekulieren. "Als er kam, war er vielleicht dreißig Tage unter dem Sattel. Er kannte das Prinzip Reiter, konnte aber noch nichts."
Mouse war zu schmal
Sie übernahm alle Kosten für Mouse, fing an mit ihm zu arbeiten. Nach drei Monaten war klar: Den gibt sie nicht mehr her. "Ich habe Lisa Marriott angerufen und ihr gesagt, dass sie ihn leider nicht zurückhaben kann, da wir einfach zu viel Spaß zusammen haben."
Am Anfang, erinnert sich Wiebke, war das größte Problem seine Statur. "Es war im Grunde gar kein Platz für einen Sattel." Entgegen seines Namens war Mighty Mouse keine mächtige Maus, sondern schmal und hat ohnehin einen kurzen Rücken. "Er hat sich extrem entwickelt", sagt Wiebke. Der Wallach wuchs noch ein ganzes Stück und seine Proportionen verbesserten sich – sofern Training, Fütterung und gute Pflege Proportionen eben verbessern können.
Mouse will arbeiten – und lernen
Ideal ist sein Körperbau nicht, aber Mouse macht das mit seinem Einsatz und seiner Lernbereitschaft wieder wett. Zunächst brachte Wiebke ihm Dressurgrundlagen bei, dann fingen sie mit dem Springen an. Gemeinsam mit den anderen im Stall ging es zu Hunter-Jumper-Prüfungen aufs Turnier. "Das haben wir eine Zeitlang gemacht und ein paar Schleifen gesammelt", sagt Wiebke.
Sie probierten sich in der Vielseitigkeit aus, in Springprüfungen auf Zeit und Fehler. Irgendwann fingen sie an, Dressurlehrgänge in der Nähe zu besuchen. "Da haben wir erst richtig mit bedachter Dressurarbeit angefangen. Mouse ist total lernwillig, es macht Spaß mit ihm zu arbeiten", berichtet Wiebke.
Ihr Jahresziel haben sie jetzt schon erreicht
Im vergangenen Jahr starteten die beiden in ihren ersten Dressurprüfungen auf Hausturnieren. "Für dieses Jahr habe ich mir dann vorgenommen, dass wir auf offiziellen Turnieren starten. Also Turniere, die vom Dressurverband anerkannt werden, so wie die LPO-Turniere in Deutschland", erklärt Wiebke. Ihr langfristiges Ziel ist eine Bronzemedaille vom Verband. Die gibt es, wenn man in zwei A-Dressuren, zwei L-Dressuren und zwei M-Dressuren Wertnoten über 60 Prozent bekommt.
"Für dieses Jahr hatte ich mir vorgenommen, dass wir die beiden A-Dressur-Wertnoten schaffen. Jetzt ist uns das gleich bei unseren allerersten beiden Prüfungen gelungen. Das ist der Wahnsinn!" Sie ist stolz auf ihren Mighty Mouse. Und nicht nur sie. Ihre Reitbeteiligung Maddie Zych liebt den Wallach heiß und innig. Auch Trainerin Kate Schroeder ist zufrieden mit ihren Schützlingen. Sie unterstützt Wiebke vor allem auch in der Arbeit mit ihrem zweiten Pferd Tobi.
Mouse steht gern im Mittelpunkt
Tobi, eigentlich Checker Tobi, ist ein sechsjähriges Oldenburger Springpferd. Wiebke hat ihn als Fohlen in Niedersachsen gekauft und vor zwei Jahren in die USA fliegen lassen. Mouse hat jetzt also einen Halbbruder.

Es ist schwer zu sagen, wer von beiden mittlerweile im Stall beliebter ist. Denn auch wenn sie sehr unterschiedlich sind, so haben sie doch eines gemeinsam: Sie sind frech, verspielt und gleichzeitig sehr charmant. "Das war bei Mouse von Anfang an so", sagt Wiebke. "Er war einfach schon immer gern mittendrin dabei, er mag den Trubel und steht gern im Mittelpunkt. Dazu kommt, dass er einfach super verlässlich ist." Einfach ein echter Glücksgriff. © Pferde.de