Hunde, die plötzlich in Panik geraten oder gar aggressiv werden: In Deutschland und anderen Ländern Europas treten bei Hunden derzeit vermehrt seltsame neurologische Symptome auf. Die Ursache ist bislang unklar – doch Expertinnen und Experten haben einen Verdacht. Sind Kauknochen schuld?

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Seit einigen Tagen macht sich unter Hundehalterinnen und Hundehaltern Angst breit: Anfang Dezember meldeten verschiedene Tierkliniken, darunter die Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo Hannover), eine ungewöhnliche Häufung von akuten und schwerwiegenden neurologischen Störungen bei Hunden.

Die Symptome bestehen aus einer Kombination von extremer Aufregung und plötzlichen Verhaltensänderungen bis hin zu Panikattacken mit Heulen und Schreien und epileptischen Anfällen. Mittlerweile sind die Vorfälle unter dem Namen "Werwolfsyndrom" bekannt.

"Mittlerweile wurden rund 45 solcher Fälle deutschlandweit bei Tierneurologinnen und Tierneurologen identifiziert", sagt Tiermedizinerin Nina Meyerhoff von der TiHo Hannover. Ein Problem sei allerdings, dass es keine zentrale Meldeplattform für solche Vorfälle gebe.

"Wir wissen einfach nicht, wie viele dieser Hunde vielleicht bei allgemeinen Tierarztpraxen oder Verhaltensspezialisten vorgestellt wurden", sagt Meyerhoff. Außerdem sei man erst seit Ende August auf die ungewöhnliche Häufung aufmerksam geworden – die Dunkelziffer könnte demnach deutlich höher liegen.

"Diese Anfälle sind wirklich extrem. Es wirkt, als hätten die Hunde Halluzinationen."

Tiermedizinerin Nina Meyerhoff

45 Fälle – das klingt wenig bei mehr als zehn Millionen Hunden in Deutschland. Was die Neurologinnen und Neurologen der TiHo Hannover und anderer Tierkliniken jedoch beunruhigt, ist die Intensität der Vorfälle. "Diese Anfälle sind wirklich extrem", sagt Meyerhoff. "Es wirkt, als hätten die Hunde Halluzinationen. Manche versuchen aus dem Fenster zu springen oder werden plötzlich aggressiv."

Hunde teilweise zu Hause nicht mehr kontrollierbar

Das wirkt nicht nur auf die Besitzerinnen und Besitzer äußerst bedrohlich, sondern ist vor allem für die betroffenen Vierbeiner ein echtes Risiko. Zum Teil seien die Hunde aufgrund der massiven Verhaltensänderungen zu Hause nicht mehr kontrollierbar gewesen und mussten stationär in der Klinik aufgenommen werden, sagt Meyerhoff. Die Rede ist dabei nicht von Hunden, die bereits zuvor verhaltensauffällig waren oder Angst vor Gewittern haben. "Das sind zum Teil Hunde, die jagdlich ausgebildet sind und extrem im Gehorsam stehen – und plötzlich völlig ausrasten."

Der Verlauf der neurologischen Störung schwankt nach dem akuten Beginn über mehrere Tage bis Wochen. Oft treten die Symptome episodisch auf und werden allem Anschein nach von bestimmten Reizen getriggert, erklärt Meyerhoff. So kämen manche Hunde zwischendurch immer wieder zur Ruhe, doch sobald sie beispielsweise vor der Fütterung, beim Gassigang oder bei einer Hundebegegnung in Erregung gerieten, fingen die Symptome von vorne an. "Es ist, als könnten sie die Aufregung nicht mehr kompensieren und steigerten sich immer mehr hinein."

Bei akuten Auffälligkeiten: Schnell in die Tierklinik

So unheimlich und dramatisch die Fälle sind, es gibt eine gute Nachricht: Die Störung ist laut Meyerhoff behandelbar. "In unserer Klinik geben wir den Hunden sedierende und angstlösende Medikamente, in manchen Fällen auch Antikonvulsiva zur symptomatischen Behandlung epileptischer Anfälle."

Die Tierärztin rät Betroffenen, beim Auftreten akuter Auffälligkeiten schnellstmöglich eine auf Neurologie spezialisierte Tierklinik aufzusuchen – auch, um mögliche andere Erkrankungen ausschließen zu können.

Wie finde ich eine Tierklinik?

Nach der Behandlung in der Klinik zeigten viele der vierbeinigen Patienten eine allmähliche Besserung. Auffällig sei jedoch, dass die Symptome zu Hause häufig wieder aufgetreten seien und oftmals mehrere Hunde innerhalb eines Haushalts von der Störung betroffen sind. Auch wenn die Behandlung zunächst anschlägt: Die Ursache scheint also noch im Zuhause der Vierbeiner zu lauern – doch was könnte dahinterstecken?

Spekulationen um die Ursache

Um die Frage nach der Ursache kursieren im Internet zahlreiche Spekulationen, die bis hin zu Verschwörungstheorien reichen. Im Fokus stehen dabei vor allem Impfungen und sogenannte Ektoparasitika wie Zeckenschutzmittel. Dem widerspricht Meyerhoff jedoch entschieden: "Bei der Anamnese der einzelnen Patienten in dieser Fallserie fanden wir überhaupt keine Hinweise dafür."

Weder standen die Symptome in einem zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung oder der Gabe eines Zeckenschutzmittels, noch wurden alle betroffenen Hunde mit Zeckenschutzmitteln behandelt. "Anhand der Historie der verschiedenen Tiere können wir tatsächlich beides als Ursache ausschließen", sagt Meyerhoff.

Potenzielle Erreger, die die Symptome verursachen könnten, wurden bislang nicht gefunden. Theoretisch möglich ist, dass es sich um Viren handelt, die noch gar nicht bekannt sind. Aus Sicht der Expertinnen und Experten deutet jedoch vieles auf eine Vergiftungserscheinung hin – nur wovon sie ausgelöst wird, ist bislang unklar.

Ursachenforschung ist oftmals mühsam: Viele Dinge, darunter bestimmte Erreger, Schwermetalle, Pestizide, Pilzgifte oder andere Giftstoffe, könnten dafür infrage kommen. Es gleicht der berühmten Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Rinderhaut-Kauartikel im Fokus

In den Fokus sind mittlerweile jedoch bestimmte Hundesnacks gerückt: Die an der TiHo vorgestellten Hunde hatten offenbar kurz zuvor Rinderhautknochen erhalten. "Mehrere Besitzerinnen und Besitzer haben sehr genau dokumentiert, welche Aktivitäten, Medikamente, Futtermittel oder Snacks ihr Hund wann bekam", sagt Meyerhoff.

Dabei sei ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den Kauartikeln und den neurologischen Symptomen aufgefallen. Auch andere Hundehalterinnen und -halter wurden daraufhin befragt. Auch hier fand sich ein Zusammenhang.

Denkbar ist, dass die Kauknochen im Produktionsprozess versehentlich mit giftigen Substanzen kontaminiert wurden. Reinigungsmittel kommen dafür infrage, aber auch andere Substanzen oder sogar Pilze, die psychoaktive Mykotoxine bilden.

Was auch für die Kauknochen-Theorie spricht: Offenbar sind vor allem mittelgroße bis große und eher jüngere Hunde betroffen. "Ein Chihuahua bekommt vielleicht seltener Kauartikel als ein großer Hund und ältere Hunde haben vielleicht nicht mehr die allerbesten Zähne dafür", sagt Meyerhoff. "Das würde ins Bild passen."

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Einen Beweis sei das aber noch lange nicht, betont Meyerhoff: "Es ist eine Korrelation, keine Kausalität." Das bedeutet so viel wie: Nur, weil zwei Dinge zusammen auftreten, bedeutet das nicht automatisch, dass das eine die Ursache des anderen ist.

Für einen eindeutigen Beweis sind weitere Untersuchungen nötig. Aktuell stehen offenbar Produkte unterschiedlicher Hersteller im Verdacht. "Es wäre Unsinn, jetzt eine bestimmte Marke anzugreifen. Noch ist nichts bestätigt – und oft stammen die verschiedenen Produkte aus ein und derselben Fabrik", sagt Meyerhoff.

Auch andere Länder berichten von neurologischen Auffälligkeiten

Nicht nur in Deutschland, auch aus anderen Ländern wurden neurologische Auffälligkeiten bei Hunden gemeldet. Es gibt Berichte aus Belgien und den Niederlanden sowie vereinzelte Fälle in Finnland. Die Tier-Neurologen aus Deutschland stehen laut Meyerhoff auch in engem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz.

Dort kam Katrin Beckmann, Oberärztin der Neurologie im Tierspital Zürich, bereits mit Fällen in Kontakt. "Im Tierspital haben wir Einzelfälle gesehen, bei denen die Symptome denen in Deutschland entsprechen", teilt Beckmann auf Anfrage mit. Bislang seien im Raum Zürich und Umgebung weniger als zehn Fälle bekannt geworden. Allerdings seien auch diese Zahlen nicht verlässlich. "Uns werden sicher nicht alle Fälle gemeldet", glaubt Beckmann.

In Wien und Umgebung wurde hingegen bislang keine auffällige Häufung von neurologischen Störungen bei Hunden festgestellt, wie die Veterinärmedizinische Universität Wien auf Anfrage mitteilt. "Auch bei unseren Kolleginnen und Kollegen in Leipzig gab es bislang keine Fälle", sagt Meyerhoff.

Erklären ließe sich das womöglich damit, dass nur einzelne Chargen von Kauknochen von einer Kontamination betroffen sind.

Es werde aber weiter in verschiedene Richtungen ermittelt, sagt Meyerhoff. Untersuchungen von verdächtigen Futtermitteln müssen immer von offizieller Stelle nachverfolgt werden – in Deutschland zunächst durch das Bundesland, in dem die Firma ansässig ist, die das Produkt in Verkehr gebracht hat. Inzwischen sei aber auch das Bundesinstitut für Risikobewertung in die Untersuchung eingebunden.

Bis Kauknochen als Ursache bewiesen oder ausgeschlossen werden können, kann es noch dauern – so lange müssen Hundehalterinnen und -halter mit der Ungewissheit leben. "Im Moment würde ich bei Hunden sicherheitshalber auf Rinderhautknochen verzichten", rät Meyerhoff. "Greifen Sie lieber zu anderen Kausnacks – zu Möhren zum Beispiel."

Über die Gesprächspartnerin

  • Dr. Nina Meyerhoff ist Tiermedizinerin in der Abteilung Neurologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt bei caniner kognitiver Dysfunktion beim Hund und Epilepsie.

Verwendete Quellen

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