Juliane Kolbe liebt Pferde seit ihrer Kindheit. Ihr Hobby verbindet sie nun mit ihrem Beruf: Die 41-Jährige ist die erste reitende Notfallsanitäterin Sachsen-Anhalts. Und ihr Paule ein "Rettungswagen auf vier Hufen". pferde.de sprach mit ihr über eine ganz besondere Idee und welche Vorteile eine reitende Retterin hat…

Mehr zum Thema Tiere

Pferde liebt Juliane Kolbe schon immer. "Ich war bereits als Kind pferdeverrückt", sagt sie lachend. Doch damals lebte sie in Berlin – und der Kontakt zu Pferden war nicht selbstverständlich. "Aber mit elf Jahren habe ich endlich im Sattel gesessen", erinnert sie sich. "Ich war dann jedes Wochenende und in den Ferien auf einem Reiterhof."

Von einem eigenen Pferd konnte sie damals nur träumen. "Als wir aufs Land gezogen sind, hatte ich aber eine Reitbeteiligung", so Kolbe. Und auch wenn sich in der Freizeit bei ihr alles um Pferde drehte – beruflich sollte es etwas anderes sein. "Mein Hobby sollte einfach mein Hobby bleiben. Ich habe eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten gemacht", sagt Kolbe. Doch schnell merkt sie: Ein Büro-Job – das ist nichts für sie.

Weiterbildung mit Staatsexamen zur Notfallsanitäterin

Doch welcher Beruf wäre etwas für sie? "Ich hatte in der 31. Schwangerschaftswoche zu Hause einen Blasensprung mit sofortigem Wehenbeginn. Und um zu Hause keine zu frühe Geburt zu erleben, habe ich den Rettungsdienst alarmiert. Diese brachten mich zuerst in das nächste Krankenhaus mit Kreißsaal. Dort wurde ich ärztlich versorgt und dann unter wehenhemmenden Medikamente in eine Spezialklinik verlegt." Kolbe lacht. "Während der Fahrt habe ich gedacht: Das wäre doch was für mich…"

Und tatsächlich: Sie machte zunächst eine Ausbildung zur Rettungsassistentin und dann ab 2015 eine Weiterbildung mit Staatsexamen zur Notfallsanitäterin. "Ich liebe meinen abwechslungsreichen Beruf, er macht mir sehr viel Spaß."

Viele Stürze bei Fuchsjagden gesehen

Privat blieb sie den Pferden treu: 2009 kam ihr erstes eigenes Pferd, die Hannoveraner-Stute Minou. "Ich musste sie leider im April 2024 über die Regenbogenbrücke gehen lassen." 2018 kam dann ein großer Schritt für Kolbe: "ich konnte damals meine Stute endlich zu mir nach Hause holen und 2019 zog mein großer Wallach bei mir ein." Sein Kosename? Arschi. "Ist eine lange Geschichte, wie er zu diesem Namen kam", so Kolbe lachend.

Und die Tiere brachten sie auch auf die Idee, ihre Pferdeliebe mit ihrem Beruf zu verbinden. "Ich bin mit meinem Wallach Arschi immer gerne bei Fuchsjagden mitgeritten", so Kolbe. "Da habe ich schon einige Stürze miterlebt." Doch helfen konnte sie nicht.

"Arschi war ein liebevoller, selbstbewusster Mecklenburger-Wallach, der es echt nicht mag, wenn er bei mehreren galoppierenden Pferden nicht vorne mitlaufen durfte. Er wollte immer erster sein und ich war viel mit ihm und seinem Dickkopf beschäftigt. Ich konnte ihn nur mit reiterlicher Überzeugung zu einem Unfallopfer hinreiten. Er hätte zwar die Schnelligkeit und Größe, jedoch nicht den benötigten Coolness."

Krankenwagen auf vier Hufen

Aber die Idee war da: Kolbe träumte davon, als reitende Notfallsanitäterin Menschen helfen zu können. Und ihr Traum ging in Erfüllung – mit Paul Panter. Seit einem Jahr hat sie das französische Warmblut. "Er ist zwar erst vier Jahre alt, aber immer absolut tiefenentspannt", so Kolbe. "Ich kann mit ihm ins Gelände, er fühlt sich auf Veranstaltungen wohl, lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen." Und so beschloss Kolbe: Paule wird ihr Rettungswagen auf vier Hufen.

Ihre Ausrüstung hat sie sorgfältig zusammengestellt. In Packtaschen hinterm Sattel hat sie alles dabei, was sie bei Reitunfällen braucht – von der Halskrause über die Blutdruckmanschette und Stethoskop bis hin unterschiedlich große Schienen. Auch für Notfälle ist sie gerüstet, hat zum Beispiel Infusionen, eine Beckenschlinge und Beatmungsbeutel am Pferd. Und in Oberschenkelholstern hat sie Verbände, eine Schere und weiteres Material.

"Es hat gedauert, bis ich alles so sortiert hatte, wie es im Einsatz sinnvoll ist", so Kolbe. Denn: Für einen "Rettungswagen auf vier Hufen" gibt es keine Vorgaben. Dazu kommt: "Die Ausrüstung darf auch nicht zu schwer sein."

Erster Einsatz als Notfallsanitäterin endet im Krankenhaus

Ihren ersten Einsatz hatte sie bei einer Schleppjagd in Wörlitz. "Ich habe von weitem gesehen, dass da ein Pferd ohne Reiterin unterwegs ist. Also sind Paule und ich sofort hingaloppiert." Eine Reiterin war gestürzt, nachdem ihr Pferd gescheut hatte. "Ich habe sie sofort untersucht: Atmung, Pupillen, Reaktionsfähigkeit. Alles war okay. Und die Reiterin wollte unbedingt sofort wieder aufs Pferd."

Sie durfte – doch Kolbe behielt die Reiterin genau im Auge. "Nach der zweiten Schleppe merkte ich, dass es ihr schlechter ging. Sie zitterte, hatte kaum noch Körperspannung. Und auf meine Fragen reagierte sie sehr verzögert." Sofort holte sie die Reiterin vom Pferd. "Ich habe sofort die Halskrause angelegt, sie untersucht, die Kreislauf- und Bewusstseinslage kontrolliert. Und ich habe den Krankenwagen, der die Veranstaltung bei den Kutschen auf festen Wegen begleitete, alarmiert."

Das Problem: "Wir waren mitten im Gelände, es hat ganz schön gedauert, bis der Krankenwagen vor Ort war." Und genau das ist ihr größter Vorteil, sagt Kolbe: "Ich bin mit dem Pferd viel schneller auch im unwegsamen Gelände vor Ort. Bei Reitunfällen spielt immer das Thema Zeit einen entscheidenden Faktor. Je schneller die Hilfe da ist, umso besser."

Notfallsanitäterin: Auf Pferden hat sie den besseren Überblick

Die Reiterin kam mit Verdacht auf ein Schädelhirntrauma ins Krankenhaus. "Eine ganz typische Verletzung bei Reitunfällen", so Kolbe. Dieser erste Einsatz hat ihr auch gezeigt, wie sinnvoll eine reitende Notfallsanitäterin ist – vor allem bei Jagden, Vielseitigkeitsturnieren oder Wanderritten. "Auf dem Pferd habe ich einen besseren Überblick als vom Boden", sagt sie. "Und gerade bei weiten Strecken durchs Gelände kann ich mitreiten und bin so immer sofort vor Ort."

Damit sie diesen Dienst regelmäßig anbieten kann, hat sie extra eine Firma gegründet: Medical-Service by Horse. Denn, das gibt sie zu: "Ehrenamtlich ist so ein Dienst als Einzelperson nicht zu stemmen." Allein die medizinische Ausrüstung hat knapp 5.000 Euro gekostet, dazu brauchte sie einen neuen Pferdehänger. "Und dann kommen natürlich die Kosten für die Fahrt zu den Veranstaltungen dazu."

Dafür kann jetzt jeder ihren Dienst buchen. "Ich hoffe wirklich, dass der Sinn meiner Firma und Tätigkeitsbereich als berittener Sanitätsdienst auch angenommen wird und somit die Risiken und Folgeschäden bei Reitunfällen bei der Ausübung meiner rettungsdienstlichen Tätigkeit minimiert werden kann."

Du liebst Pferde genauso sehr wie wir?
Dann bist Du bei Pferde.de genau richtig. Denn hier erhältst Du exklusive Storys aus dem Reitstall und spannende Ratgeber rund um die Welt der Pferde.

Und sie möchte noch mehr: Ihr Vorbild sind die berittenen Einsatzkräfte der "Mounted Search and Rescue" (MSAR) in den USA oder Kanada. Die sind zum Beispiel auch bei Such- und Rettungseinsätzen nach verunglückten oder vermissten Personen in schwer zugänglichen Gebieten im Einsatz. "Mit dem Pferd bin ich nicht nur schneller, ich habe auch die Rettungsausrüstung immer direkt bei mir und kann dadurch sofort helfen."

So ist sie mit ihrem Paule als Schutzengel auf vier Hufen unterwegs. Und einen Schutzengel können wir doch alle brauchen…  © Pferde.de