Die US-Raumfahrtbehörde NASA glaubt an eine erste Marsmission in den 2030er-Jahren, die Europäische Weltraumorganisation ESA immerhin an eine im Jahr 2050. Mindestens 520 Tage würde allein der Hinflug zum Roten Planeten dauern - eine riesige körperliche Herausforderung für Raumfahrer. Denn in einer solch langen Zeit bauen sich in der Schwerelosigkeit nicht nur Knochen und Muskeln ab. Auch das Gehirn verändert sich, wie eine Studie kürzlich zeigte.
Die Bilder von wankenden Astronauten oder Kosmonauten, die nach ihrer Rückkehr und Landung auf der Erde erst einmal von Helfern gestützt werden müssen, sind bekannt.
Ein Grund für die vorübergehende Schwäche nach Tagen, Wochen oder Monaten in der Schwerelosigkeit ist, dass der Körper die Anziehungskraft der Erde erst wieder kennenlernen muss.
Ein anderer ist die Tatsache, dass nach einem längeren Aufenthalt im All nachweislich Knochen und Muskeln abgebaut werden. Das hat eine vor einigen Jahren veröffentlichte NASA-Studie ergeben. Von einem Knochenabbau von bis zu 1,5 Prozent bei manchen Astronauten war die Rede.
Knochen, Muskeln und Immunsystem betroffen
Doch auch das Immunsystem könne betroffen sein, heißt es in der Studie weiter. So veränderten sich während eines Langzeitfluges die Werte verschiedener Immunzellen im Blut, unter anderem der wichtigen T-Zellen. Ihre Funktion werde schon nach sechs Monaten im All eingeschränkt.
Sechs Monate und mehr sind auch der Zeitraum, der landläufig als "Langzeitflug" gilt. Erste Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den Körper träten jedoch sehr schnell auf, nach wenigen Stunden oder Tagen, sagt die verantwortliche Abteilungsleiterin beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Claudia Stern im Gespräch mit unserer Redaktion.
"Circa zwei Drittel der Astronauten leiden unter dem sogenannten Space Adaption Syndrome, auch Raumfahrerkrankheit genannt, die im Allgemeinen Übelkeit und mitunter auch Erbrechen hervorruft." Diese Symptome verschwänden jedoch nach zwei bis drei Tagen.
Der Abbau von Muskeln und Knochen geht indes in der Schwerelosigkeit weiter. Der Knochenabbau, so Claudia Stern, könne sogar bis zu vier Wochen nach der Wiederkehr zur Erde fortbestehen.
Hauptgrund für den Abbau seien Flüssigkeitsverschiebungen in den oberen Körperbereich. Äußerlich erkennbar ist das unter anderem an dem sogenannten Puffy Face, einem aufgequollenen Gesicht.
"Zudem werden die Beine dünn, und zwar durch das Fehlen der Flüssigkeit und weil die Beinmuskulatur weniger benutzt wird", ergänzt Claudia Stern.
Ein Flug zum Mars würde mindestens 520 Tage dauern, also annähernd anderthalb Jahre. In dieser Zeit müssten die Astronauten versuchen, durch mehrere Stunden Training am Tag zu verhindern, dass sie zu schwach werden. Das tägliche Fitnessprogramm der ISS-Astronauten ist derzeit zwei Stunden lang.
Durch einen ausreichenden Strahlenschutz müsste außerdem dafür gesorgt werden, dass die ersten Mars-Besucher auf ihrem Flug zum Roten Planeten nicht zu viel kosmische Strahlung abbekommen.
Weil die Augenlinse besonders strahlensensibel sei, könnten die Astronauten unter Umständen Grauen Star bekommen, erklärt Claudia Stern. "Außerdem gibt es die Befürchtung, dass die Strahlung die DNA schädigt und es in der Folge zu Krebserkrankungen kommen kann."
Hirngewebe verändert sich
Es gibt aber noch weitere potenzielle Risiken und Nebenwirkungen eines Mars-Fluges. So ergab kürzlich eine Studie unter Beteiligung der Ludwig-Maximilians-Universität in München, dass auch das Gehirn von Astronauten (oder in diesem Fall: von russischen Kosmonauten) sich bei einem längeren Flug verändert. Und zwar in einer Weise, die sich nicht sofort wieder zurückdrehen lässt oder selbst reguliert.
Noch sieben Monate nach der Rückkehr von Langzeitmissionen im All seien "großflächige Volumenänderungen" feststellbar, die wahrscheinlich umso größer würden, je länger der Aufenthalt im All ist.
Gemessen wurde das anhand von Hirn-Scans in einem Magnetresonanztomografen, die die Forscher, unter anderem der Mediziner Peter zu Eulenburg, mit ihren sieben beziehungsweise zehn Probanden machten.
Diese Probanden hatten im Schnitt 189 Tage auf der ISS verbracht, also etwas mehr als ein Drittel der Zeit, die ein One-Way-Marsflug dauern würde.
Die festgestellten Veränderungen in der Hirnstruktur betrafen die graue Substanz, die weiße Substanz und die Menge des Nervenwassers, das in der Fachsprache "Liquor" genannt wird.
Die graue Substanz setzt sich überwiegend aus Nervenzellkörpern zusammen und umgibt im Gehirn die weiße Substanz, die zu großen Teilen aus Nervenfasern besteht.
Beide wurden nach einem langen Aufenthalt im All weniger - wenn auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach der Wiederkehr zur Erde. Bei der grauen Substanz wurde die Volumenabnahme direkt nach der Landung festgestellt, bei der "inneren", weißen Substanz erst nach einem halben Jahr.
Letzteres könnte mit der Veränderung der dritten Komponente zusammenhängen, der Menge des Nervenwassers. Das Liquor dient unter anderem dazu, eine Art Puffer zu bilden, damit das Gehirn bei Erschütterungen geschützt ist.
Und dazu, ihm Auftrieb zu verschaffen, damit die unteren Regionen des Hirns nicht durch sein Eigengewicht gestaucht werden.
Bei einem langen Aufenthalt im All nimmt das Volumen des Liquors zu. Oder anders gesagt: Der mit Liquor gefüllte Raum dehnt sich aus - unter anderem auf Bereiche der weißen Substanz.
"Nach der Rückkehr wird dieses Wasser wieder abgegeben, sodass es zu dieser relativen Schrumpfung kommt", teilten die Wissenschaftler mit. Erklärt wurden diese Effekte mit den veränderten Druckverhältnissen in der Schwerelosigkeit.
Sehkraft lässt nach
Ob die gemessenen Veränderungen Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit der Kosmonauten hatten, konnten die Forscher nicht sagen. Sie stellten aber fest, dass die Raumfahrer nach ihrem langen Aufenthalt im All schlechter sehen konnten als vorher.
Auch hier sehen die Forscher die Zunahme an Nervenwasser als mögliche Ursache. Es könnte den Druck auf die Netzhaut und den Sehnerv erhöht haben.
Diese Erkenntnisse decken sich mit denen aus der oben erwähnten NASA-Studie, wonach 70 Prozent der untersuchten ISS-Astronauten, die länger als ein halbes Jahr auf der Raumstation und älter als 50 Jahre waren, mit der Zeit immer schlechter sahen. Die Erklärung ging auch hier in Richtung veränderter Druckverhältnisse.
Allein unter physiologischen Gesichtspunkten stehen die Teilnehmer und die Planungsteams für einen Flug zum Mars also vor großen Herausforderungen.
Wenn es nicht gelingt, die Flugzeit enorm zu verkürzen, müssen sie sich Maßnahmen gegen Muskel- und Knochenschwund, die negativen Effekte auf das Immunsystem und das Gehirn überlegen.
Und gegen die Strahlung, die aus Sicht von Claudia Stern das Hauptproblem ist. Sie könnte durch die Außenhülle des Raumschiffs abgemildert werden, oder durch Schutzwesten für die Astronauten.
Letztere werden bald getestet: Das DLR ist an einem Experiment mit zwei Messpuppen beteiligt, die wohl im Jahr 2020 mit dem neuen US-Raumschiff Orion den Mond umkreisen werden. Eine von ihnen wird dabei eine in Israel entwickelte Schutzweste tragen.
Ist der Flug geschafft, stellt sich aber wieder das Problem der wankenden Astronauten. Denn anders als auf der Erde gebe es auf dem Mars niemanden, der die Marsfahrer sicher aus der Kapsel holen, erst einmal tragen und körperlich rehabilitieren könnte, sagt Claudia Stern.
Verwendete Quellen:
- Interview mit der Abteilungsleiterin Luft- und Raumfahrtmedizin beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Claudia Stern
- Welt.de: "Was das Weltall mit dem Gehirn von Astronauten macht"
- Website der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München: "Der Weltraum wirkt nach"
- Studie im "New England Journal of Medicine": Brain Tissue-Volume Changes in Cosmonauts
- dpa-Text (auf Welt.de): "Wie das Leben im All Astronauten verschleißt"
- Pschyrembel online: "Graue Substanz"
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