Eine aktuelle Studie, die das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung veröffentlichte, zeigt die Übersterblichkeit in verschiedenen Ländern Europas auf. Dabei wurde festgestellt, dass diese regional sehr unterschiedlich ist. Selbst innerhalb eines Landes kann es zu Abweichungen kommen – und in Teilen Deutschlands gab es sogar eine Untersterblichkeit.

Mehr zum Thema Wissenschaft

Während der Coronapandemie hat es bei der sogenannten Übersterblichkeit einer Studie zufolge große regionale Unterschiede innerhalb Europas gegeben. Das geht aus einer Datenauswertung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Französischen Instituts für demografische Studien hervor, die am Mittwoch in Wiesbaden veröffentlicht wurde. Dafür verglichen die Forschenden die aufgrund langfristiger Entwicklungen eigentlich zu erwartende Lebenserwartung für 2020 und 2021 mit der tatsächlich gemessenen Lebenserwartung in 569 europäischen Regionen.

Was ist Übersterblichkeit?

  • Von Übersterblichkeit spricht man, wenn in einem bestimmten Zeitraum deutlich mehr Menschen sterben als normal. Zur Ermittlung der Sterberate in einer Region wird der Durchschnitt der Sterbefälle pro Tag über mehrere Jahre berechnet. Kommt es dann über einen Zeitraum von einigen Wochen zu einem Ausreißer in Form von zusätzlichen Todesfällen, so ist dies ein Indikator für eine Krise.
  • Die Übersterblichkeit ist also ein Indikator dafür, wie viele Menschen beispielsweise an einer Epidemie gestorben sind.

In Teilen Deutschlands gab es während der Pandemie sogar Untersterblichkeit

So wurde im ersten Pandemiejahr 2020 laut BiB vor allem in Norditalien, der Südschweiz, in Zentralspanien und Polen eine deutliche Übersterblichkeit festgestellt – die Lebenserwartung sank also.

In Teilen Nord- und Westdeutschlands, Dänemarks, West- und Südfrankreichs, Norwegens und Schwedens wurde im gleichen Zeitraum dagegen sogar eine Untersterblichkeit verzeichnet – es starben also weniger Menschen als normalerweise im Durchschnitt.

Im Gegensatz dazu wurde in Thüringen, Süd- und Ostsachsen sowie im Süden von Sachsen-Anhalt und Brandenburg eine Übersterblichkeit verzeichnet, die den Ergebnissen der Studie zufolge bei eineinhalb bis zwei Jahren lag. Mit Ausnahme einiger bayerischer Regionen lag sie in den alten Bundesländern unter einem Jahr.

Auch regionale Unterschiede in einem Land festgestellt

In Italien etwa gab es sehr starke regionale Unterschiede innerhalb des Landes: Während in den norditalienischen Provinzen Bergamo und Cremona die Lebenserwartung in Folge der Übersterblichkeit im ersten Pandemiejahr rund vier Jahre unter dem erwarteten Wert lag, war in einigen süditalienischen Provinzen gleichzeitig keine erhöhte Sterblichkeit messbar.

Die Untersuchungen zeigten, dass die Pandemie zu Beginn vor allem städtische Gebiete betraf und sich von dort aus dann in weniger vernetzte Gebiete ausbreitete. "Diese Erkenntnisse helfen, die Übersterblichkeit während der Pandemie besser zu verstehen und dies in Vorsorgemaßnahmen für zukünftige Pandemien miteinzubeziehen", erklärte Mitautor Pavel Grigoriev, Leiter der Forschungsgruppe Mortalität am BiB, den praktischen Nutzen der Studie.

Zweites Pandemiejahr veränderte die Zahlen

Im zweiten Pandemiejahr 2021 verlagerte sich die Übersterblichkeit der Studie zufolge nach Osteuropa. In der Slowakei, in Litauen, Lettland, Ungarn sowie in Teilen Polens und Tschechiens lag die Lebenserwartung um mehr als zweieinhalb Jahre unter dem statistisch zu erwartenden Wert.

Im Vergleich zu Osteuropa zeigten viele westeuropäische Regionen im Jahr 2021 eine geringere Übersterblichkeit. Innerhalb Deutschlands gab es 2021 ein deutliches Ost-West-Gefälle. So war die Übersterblichkeit in vielen ostdeutschen Bundesländern deutlich höher als in den meisten westdeutschen.

Methode der Studie

  • Das Ausmaß der ermittelten Über- und Untersterblichkeit ist abhängig vom Vergleich mit der Lebenserwartung während der Coronapandemie in den Jahren 2020 und 2021. Für die Studie wurde die langfristige Entwicklung der Lebenserwartung in jeder untersuchten Region vor dem Jahr 2020 mit einbezogen.
  • Auf dieser Grundlage wurden mithilfe eines statistischen Schätzverfahrens die wahrscheinlichsten Werte für die Lebenserwartung in den Jahren 2020 und 2021 "prognostiziert". Die Abweichung dieser Erwartungswerte von den tatsächlichen Werten ergibt die Über- beziehungsweise Untersterblichkeit in der jeweiligen Region.

Woher kommen die Unterschiede?

"Die Ursachen für die großen regionalen Unterschiede sind komplex und lassen sich unter anderem auf den unterschiedlichen Anteil vulnerabler Menschen (an der Bevölkerung, Anm. d. Red.) zurückführen", erklärte Mitautor Michael Mühlichen vom BiB. "Inwieweit relevante Vorerkrankungen regional verbreitet sind, hängt mit der Altersstruktur und dem Risikoverhalten der Bevölkerung zusammen, welche wiederum durch sozioökonomische Bedingungen beeinflusst werden." (AFP/mak)

Verwendete Quellen

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.