Manche Infektionskrankheiten lassen sich komplett ausrotten. Das zeigt das Beispiel der Pocken. Auch Polio und Masern könnten bald Geschichte sein. Aber warum ist es noch nicht so weit? Die medizinischen Möglichkeiten wären nämlich oft gegeben.
300 Millionen Menschen starben noch im 20. Jahrhundert an den Pocken. Mehr als die Hälfte der Todesopfer waren Kinder. Von den Überlebenden erblindeten viele oder waren für den Rest ihres Lebens vernarbt.
Ein Heilmittel gegen die Krankheit gibt es nicht, nur die Vermeidung einer Ansteckung kann helfen. So setzte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) alles daran, ihre Verbreitung zu verhindern.
1967 begann die Kampagne zur Ausrottung des Pockenvirus. Weltweit wurden Menschen gegen den Erreger geimpft – mit großem Erfolg: 1977 wurde der letzte Pockenkranke ausfindig gemacht: der damals 23-jährige Somalier Ali Malow Maalin. Er erholte sich vollständig, am 8. Mai 1980 erklärte die WHO die Pocken für ausgerottet.
"Allerdings gibt es leider noch in einem Hochsicherheitslabor in den USA Pockenviren", sagt Prof. Thomas Löscher von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. Keine US-Regierung war bislang bereit, diese zu vernichten. Auch in Russland werden noch eingefrorene Pockenviren in einem Hochsicherheitslabor aufbewahrt.
Wie sich Krankheiten ausrotten lassen
Epidemiologen unterscheiden im Kampf gegen Infektionskrankheiten zwischen der Elimination und der Eradikation von Erregern. Von einer Elimination spricht man, wenn der Impfschutz in der Bevölkerung einer bestimmten geografischen Region so stark ausgeprägt ist, dass die Krankheit dort praktisch nicht mehr auftritt.
Die Eradikation ist erst erreicht, wenn der Krankheitserreger überall auf der Welt ausgerottet ist. "Dafür gibt es zwei Voraussetzungen", sagt Löscher. "Erstens, dass man eine Bekämpfungsmethode hat, die sehr effektiv ist – wie beispielsweise die Polioimpfung. Und zweitens, dass es kein Tierreservoir gibt" - also dass die Krankheit ausschließlich von Mensch zu Mensch übertragen wird.
Außerdem sei eine Ausrottung einfacher, wenn eine Krankheit akut abläuft und Betroffene nach der Genesung nicht mehr ansteckend sind. "Das ist bei HIV zum Beispiel nicht der Fall", sagt Löscher. "Wenn man dagegen eine Impfung hätte, wäre es dennoch sehr mühsam."
Polio und Masern könnten bald Geschichte sein
Denkbar ist dem Mediziner zufolge eine Ausrottung bei Poliomyelitis, kurz Polio, und Masern. Diese Erreger erfüllen die Kriterien für eine Eradikation.
Polio, auch Kinderlähmung genannt, ist unheilbar. Bei einer Infektion treten häufig dauerhafte Lähmungen auf. Meist sind die Beine betroffen. Es kann aber auch zu einer Lähmung der Atemmuskulatur kommen, was zum Tod führt.
Die Krankheit trifft in den allermeisten Fällen Kinder unter fünf Jahren. In den Jahren 1953 und 1954 etwa kam es in Deutschland zu Epidemien mit nahezu 10.000 Toten.
Die WHO hatte sich 1988 das Ziel gesetzt, Polio bis zum Jahr 2000 auszulöschen. Das Ziel hat sie nicht erreicht.
Dank Impfkampagnen konnte die Zahl der Menschen, die sich mit dem Erreger anstecken, aber deutlich gesenkt werden. Während 1988 noch 350.000 Menschen an Poliomyelitis erkrankten, wurden 2016 weltweit nur noch 37 Infektionen registriert.
Doch das Robert Koch-Institut (RKI) warnt, dass die hochansteckende Krankheit schnell wieder zurückkehren kann, solange sie nicht komplett ausgelöscht ist.
Islamisten verhindern Polio-Ausrottung
Obwohl das Ende von Polio zum Greifen nah scheint, gelingt es nicht, die Krankheit komplett auszulöschen. Als Hauptgrund dafür sieht Löscher islamistische Extremisten in Ländern wie Pakistan und Afghanistan.
Dort kommt es immer wieder zu Anschlägen auf Impfzentren. weil die Islamisten an eine Verschwörung des Westens glauben: Die Impfungen würden unfruchtbar machen, zudem seien die Ärzte in Wirklichkeit westliche Agenten. "Allein in Pakistan sind bereits mehr als 70 Mitglieder von Impfteams – also Ärzte, Pfleger – erschossen worden", so Löscher.
Dadurch seien in diesen islamistisch kontrollierten Gebieten die meisten Menschen nicht gegen Polio geimpft. "Und wenn dort irgendwo ein Poliofall auftritt, können in kürzester Zeit wieder hunderte Menschen erkranken."
Masern: Kein flächendeckender Impfschutz
Auch der Kampf gegen die Masern erweist sich als zäh. Bereits seit 1984 wird an der Eliminierung der Krankheit in Europa gearbeitet.
Sie zählt zu den ansteckendsten Infektionskrankheiten. Vor Einführung der Masern-Impfung infizierte sich nahezu jeder mit dem Erreger. In vielen Regionen der Welt ist die Krankheit nach wie vor eine bedeutende Todesursache bei Kindern.
Der Krankheitserreger verbreitet sich extrem schnell, weil die Infektion schon durch das Einatmen von Tröpfchen in der Luft erfolgen kann. Wer dem Virus auch nur kurze Zeit ausgesetzt ist, erkrankt mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent, sofern er nicht immunisiert ist. Laut dem RKI endet die Infektion bei zehn bis 20 Prozent der Betroffenen tödlich, 20 bis 30 Prozent tragen Schäden am Zentralen Nervensystem davon.
Wirksame Impfstoffe existieren, doch auch in Deutschland ist der Impfschutz nicht vollständig. Zwar würden über 90 Prozent der Kinder geimpft, so die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Allerdings ließen viele Eltern die wichtige zweite Impfung weg. Und solange kein flächendeckender Impfschutz besteht, geht der Kampf gegen Masern weiter.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Prof. Dr. med. Thomas Löscher von der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München
- Robert Koch-Institut: "Elimination impfpräventabler Erkrankungen"
- WHO: "Poliomyelitis und Impfstoffe zu ihrer Ausrottung – Fragen und Antworten"
- Ärztezeitung: "Extremisten verhindern Ausrottung der Kinderlähmung"
- Robert Koch-Institut: "Die Polioeradikation ist ohne Laborcontainment chancenlos"
- Global Polio Eradication Initiative: "Polio Today"
- Robert Koch-Institut: "Aktuelle Epidemiologie der Masern in Deutschland"
- Robert Koch-Institut: "Infektionsepidemiologisches Jahrbuch"
- WHO: "Zurückdrängung der Masern und Röteln in Europa"
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: "Impfbereitschaft in Deutschland"
- dpa
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.