Dass Cannabis vor allem Teenagern schaden kann, ist bereits bekannt. Wie sehr der Konsum und psychische Störungen wirklich zusammenhängen - darüber klärt eine neue Studie auf.
Cannabis schadet den noch nicht ausgereiften Gehirnen Jugendlicher, das haben Studien schon mehrfach gezeigt. Der Zusammenhang zwischen jugendlichem Cannabis-Konsum und psychotischen Störungen könnte sogar noch stärker sein, als bisher angenommen. Das ergab nun eine im Fachjournal "Psychological Medicine" vorgestellte Studie.
Die meisten Jugendlichen, bei denen eine psychotische Störung diagnostiziert wird, haben demnach eine Vorgeschichte mit Cannabis-Konsum.
Fünf von sechs Jugendlichen mit psychotischen Störungen hatten Cannabis konsumiert
André McDonald und Susan Bondy von der Universität Toronto hatten für ihre Studie bevölkerungsbasierte Erhebungsdaten aus den Jahren 2009 bis 2012 mit Aufzeichnungen von Gesundheitsleistungen bis zum Jahr 2018 verknüpft. Die mehr als 11.000 einbezogenen Teilnehmer waren zu Studienbeginn zwischen 12 und 24 Jahre alt und hatten bis dahin keine psychotische Störung.
Der Auswertung zufolge berichteten fünf von sechs Jugendlichen (12 bis 19 Jahre), die im Studienverlauf wegen einer psychotischen Störung in ein Krankenhaus eingeliefert wurden oder eine Notaufnahme aufsuchten, über Cannabis-Konsum.
Dabei habe es womöglich noch eine Untererfassung gegeben, weil der Freizeit-Cannabis-Konsum da noch für alle Altersgruppen in Kanada illegal gewesen sei, was die Angaben zum eigenen Konsum beeinflusst haben könnte. Bei jungen Erwachsenen (20 bis 33 Jahre) wurde kein deutlicher Zusammenhang gefunden.
Es gelte weiterhin, dass die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen, die Cannabis konsumieren, keine psychotische Störung entwickelt, erklärte McDonald. Jugendliche, die Cannabis konsumieren, hätten jedoch ein elffach höheres Risiko für eine psychotische Störung als Jugendliche, die keines nutzen.
Kiffen und die Gefahr einer Psychose
Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, erklärt, wodurch sich eine Psychose bemerkbar macht:
- beeinträchtigte Wahrnehmung
- eigenes Körpererleben ist verändert
- visuelle oder akustische Halluzinationen möglich
- Konzentrations- und Lernfähigkeit ist eingeschränkt
- Empfindungsvermögen bei Freude oder Trauer ist abgestumpft
- Gefühl, von Umgebungsreizen völlig überflutet zu werden
Eine psychotische Störung könne bei Drogenabstinenz binnen weniger Wochen komplett ausheilen - allerdings bestehe lebenslang ein höheres Risiko, bei erneutem Konsum wieder in eine zu rutschen.
Generell länger und auch stärker seien die Auswirkungen bei Schizophrenie, einer speziellen Form der psychotischen Störung, erklärt Kinder- und Jugendpsychiater Thomasius. Das Gefühl, bedroht zu sein - etwa durch enge Angehörige - könne bei einer Schizophrenie im Extremfall tödliche Attacken zur Folge haben.
Schizophrenie
- Schizophrenie ist eine schwere psychische Erkrankung.
- Laut dem Robert-Koch-Institut sind die Kernsymptome einer schizophrenen Psychose die Positivsymptome Wahn, Ich-Störungen, Halluzinationen und formale Denkstörungen. Sie kennzeichnen vor allem die akute Krankheitsepisode.
THC-Gehalt deutlich gestiegen - Cannabis wohl größere Gefahr als bislang angenommen
Frühere Forschungsarbeiten stützten sich weitgehend auf ältere Daten, als Cannabis noch weniger stark war als heute, nehmen die Forschenden in Kanada als Grund für eine mögliche bisherige Unterschätzung an.
Der durchschnittliche Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) bei illegalem Cannabis stieg in Kanada demnach von etwa einem Prozent im Jahr 1980 auf 20 Prozent im Jahr 2018. "Neue Arten von Cannabis-Produkten sind ebenfalls beliebter geworden, darunter Cannabis-Extrakte, die einen THC-Gehalt von über 95 Prozent erreichen können."
Derlei Produkte seien in Deutschland noch nicht erhältlich, sagt Thomasius. Der Gehalt hierzulande liege bei illegalem Cannabis bei etwa 15 Prozent. Mit den professionellen Gerätschaften der Anbauvereinigungen seien sicher auch höhere Gehalte möglich.
Zwar soll der THC-Anteil nach dem Cannabis-Gesetz bei der Abgabe der Vereinigungen an 18- bis 21-Jährige zehn Prozent nicht übersteigen - doch umfassende Kontrollen sind für Kommunen kaum umzusetzen. Gefordert seien sie laut Gesetzestext ohnehin nur "gelegentlich", sagt Thomasius.
Problematisch ist der gegenüber den Joints der 68er-Jahre dramatisch angestiegene THC-Gehalt, weil Konsumenten häufig eine ähnliche Menge Cannabis wie zuvor rauchen - dabei aber weitaus mehr THC aufnehmen als ein Nutzer einst.
Die Hanfpflanze Cannabis sativa enthält insgesamt mehr als 60 Cannabinoide, von denen Tetrahydrocannabinol aber als stärkste psychoaktive Substanz eingestuft wird. Im ganzen Körper gibt es Rezeptoren, an denen körpereigene Cannabinoide, aber auch THC andocken.
Cannabis-Konsum in der Jugend kann schwere Folgen haben
Dass THC gerade das Gehirn Jugendlicher beeinflusst, ist Experten zufolge biologisch plausibel: In der Pubertät ist das Gehirn eine Art Großbaustelle und besonders leicht aus der Balance zu bringen. Angenommen wird dem Forschungsteam in Kanada zufolge, dass THC über das körpereigene Cannabinoid-System unter anderem Nervenfaser-Verknüpfungen und die Entwicklung der weißen Substanz im Gehirn beeinflusst.
Zu den bekannten Folgen regelmäßigen Cannabis-Konsums in der Pubertät gehöre neben dem höheren Risiko für Psychosen ein um bis zu etwa zehn Punkte sinkender IQ-Wert, erklärt Thomasius. "Wenn ein ohnehin nicht so hoher IQ von 90 auf 80 sinkt, dann bedeutet das eine Lernstörung." Auch Auffassungsgabe und Konzentrationsfähigkeiten litten.
Im Gehirn könnten bei Cannabis-Konsum in der Pubertät bis zu gut ein Drittel der funktionsfähigen Verbände im Frontalhirn verloren gehen, das zuständig für Funktionen wie Denken, Vernunft und Emotionsregulation ist. Auch sei das Risiko für Angststörungen und Depressionen höher.
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Konsumenten können aber nicht nur ihr eigenes Leben und das ihrer Familie in Mitleidenschaft ziehen - auch andere Menschen sind betroffen, etwa durch die eingeschränkte Verkehrstüchtigkeit. "In den USA hat sich die Zahl schwerer Verkehrsunfälle unter Cannabis-Einfluss schon verdoppelt bis verzehnfacht seit der Legalisierung dort", sagt Thomasius.
Experte: Legalisierung setzt falsche Signale
Jugendlichen seien solche Risiken nicht wirklich bewusst, sagt der Mediziner Thomasius. "Das wird bisher überhaupt nicht angemessen kommuniziert." Analysen zeigten, dass die Risikowahrnehmung für Gesundheitsschäden durch Cannabis-Konsum in den USA und Europa generell abnehme.
Bei Jugendlichen komme hinzu, dass sie allgemein nicht so viel Selbstfürsorge und ein geringeres Risikobewusstsein hätten. Dass Erwachsene etwas nutzen dürfen, Jugendliche aber die Finger davon lassen, habe noch nie funktioniert, fügt der Psychiater hinzu.
Die Cannabis-Legalisierung setze völlig falsche Signale, betont Thomasius daher. "Wir können jetzt schon voraussagen, dass die Psychose-Inzidenzen ansteigen werden." Und jeder solche Fall bedeute ein Wiederholungsrisiko, wenn nicht lebenslang auf alle psychoaktiven Substanzen verzichtet werde. "Wenn einmal eine Psychose aufgetreten ist, ist die Vulnerabilität bei Drogenkonsum erhöht."
Auch Genetik trägt zu Anfälligkeit für Psychosen bei
Zu bedenken ist bei der Studie allerdings auch, dass die Analyse wie vorhergegangene epidemiologische Studien eine Korrelation zeigt, keinen kausalen Zusammenhang. Das heißt, ein umgekehrter Zusammenhang kann nicht ausgeschlossen werden: Jugendliche mit psychotischen Symptomen könnten zum Beispiel vor der klinischen Diagnose eine Selbstmedikation mit Cannabis begonnen haben.
Auch andere potenziell wichtige Faktoren wie die Genetik oder womöglich durchlebte Traumata in der Vergangenheit wurden in der Studie nicht berücksichtigt. Tatsächlich bestimme die Genetik die Anfälligkeit für Psychosen sehr stark, erklärt Thomasius. Cannabis-Konsum sei bei einer solchen familiären Vorbelastung dann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringe.
Cannabis ist in Deutschland seit 1. April für Erwachsene freigegeben. Ab dem 1. Juli darf die Droge laut Cannabis-Gesetz in speziellen Vereinen gemeinschaftlich angebaut und an Vereinsmitglieder abgegeben werden. Zu Hause dürfen drei Pflanzen angebaut werden. Experten gehen davon aus, dass Teenager nun deutlich leichter an Cannabis kommen als zuvor. (Annett Stein, dpa/sbi)
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