Wasserstoff gilt als Kernelement der Energiewende. Angesichts von Energie- und Klimakrise erlebt das farblose Gas derzeit einen regelrechten Hype – nicht zum ersten Mal. Ist Wasserstoff tatsächlich der Energieträger der Zukunft? In welchen Bereichen ist der Einsatz von Wasserstoff sinnvoll? Und wo steht Deutschland bei dieser Entwicklung?
Wasserstoff könnte "die Kohle der Zukunft" werden, schrieb schon der französische Schriftsteller Jules Verne 1874 in seinem Roman "Die geheimnisvolle Insel". Rund 150 Jahre später könnte dem farblosen Gas als Energieträger tatsächlich der Durchbruch gelingen: 2020 hat Deutschland eine Nationale Wasserstoffstrategie beschlossen, und auch das Europaparlament spricht sich für den Aufbau einer europäischen Wasserstoffwirtschaft aus.
Ganz neu ist die Idee nicht. Schon in den vergangenen Jahrzehnten wurde Wasserstoff immer wieder als universeller Energieträger diskutiert, etwa während der Ölkrise in den 1970er-Jahren. Angesichts der gegenwärtigen Klimakrise ist der Energieträger nun wieder in den Fokus gerückt. Etwa 560 Millionen Tonnen CO2 hofft die EU laut einem Bericht bis 2050 dadurch jährlich einzusparen und somit die Klimaziele zu erreichen.
Was sind die Vorteile von Wasserstoff?
Wasserstoff ist auf der Erde im Überfluss vorhanden. Man findet es überall – allerdings kommt es praktisch nie in seiner elementaren Form vor, sondern gebunden als Bestandteil größerer Moleküle. Um Wasserstoff in Reinform zu gewinnen und die Bindungen zu anderen Atomen zu lösen, muss Energie aufgewendet werden. Diese Energie ist danach im Wasserstoff "gespeichert" und kann wieder freigesetzt werden, wenn der Wasserstoff zum Beispiel mit Sauerstoff zu Wasser reagiert.
Während bei der Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle klimaschädliches Kohlendioxid entsteht, bleibt bei der Freisetzung der Energie aus Wasserstoff lediglich Wasser zurück – mit Blick auf die Klimakrise ein unbestreitbarer Vorteil. Allerdings ist Wasserstoff nicht automatisch klimafreundlich, denn es gibt diverse Herstellungsprozesse für Wasserstoff. Um sie zu unterscheiden, ordnet man dem jeweiligen Wasserstoff eine jeweilige Farbe zu.
Bei grauem Wasserstoff entstammt die Energie zur Gewinnung des reinen Wasserstoffs aus der Verbrennung fossiler Energieträger. Dabei entsteht CO2, weshalb die Klimabilanz des so gewonnenen grauen Wasserstoffs nicht besser ist als die von Kohle, Öl und Gas. Blauer Wasserstoff, auf den Unions-Parteien und die FDP setzen, wird auf demselben Weg wie grauer Wasserstoff gewonnen. Das dabei entstehende CO2 soll allerdings direkt im Produktionsprozess abgefangen und unterirdisch gelagert werden, doch diese Methode ist umstritten.
Bei grünem Wasserstoff werden hingegen Solar- oder Windenergie für die Wasserstoffgewinnung eingesetzt. Weil bei diesem Produktionsprozess keine Treibhausgase entstehen, gilt grüner Wasserstoff aus Klimasicht als einzige sinnvolle Variante. Dazu hat sich auch die Bundesregierung in ihrer nationalen Wasserstoffstrategie bekannt.
Wird Wasserstoff zur universellen Energiequelle?
Theoretisch könnte grüner Wasserstoff viele Aufgaben übernehmen, für die heute noch fossile Brennstoffe eingesetzt werden. Mit Wasserstoff lässt sich beispielsweise synthetischer Kraftstoff für Fahr- und Flugzeuge herstellen oder Strom in Brennstoffzellen erzeugen. Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, dämpft jedoch die Erwartung, dass Wasserstoff die alleinige Energielösung der Zukunft ist. "Für den Straßenverkehr und die Wohnungsbeheizung ist Wasserstoff denkbar ungeeignet."
Grund dafür ist, dass bei der Herstellung des Wasserstoffs laut der Internationalen Energieagentur (IEA) bei den derzeit angewendeten Verfahren 20 bis 40 Prozent der Energie verloren gehen. Hinzu kommen weitere Verluste bei der Verdichtung oder Verflüssigung des Gases sowie beim Transport. Noch bevor Wasserstoff tatsächlich als Energieträger zum Einsatz kommt, ist also ein großer Teil der Primärenergie bereits verloren gegangen.
"Mit einer Wärmepumpe zum Heizen braucht man nur rund ein Fünftel der Menge an grünem Strom, den man für eine Wasserstoffheizung benötigt", sagt Quaschning. Auch beim Betrieb von Autos und Lkws seien die Verluste enorm und die Kosten dadurch hoch. Einer Studie zufolge verbraucht ein Pkw mit Wasserstoff-Brennstoffzellen rund dreimal so viel elektrische Energie auf der gleichen Strecke wie ein E-Auto mit Batterieantrieb.
Wo kann Wasserstoff sinnvoll eingesetzt werden?
Ganz anders sehe es bei der Großindustrie aus. "Bei der Stahlproduktion ist es ohne Wasserstoff nicht möglich, klimaneutral zu werden", sagt Quaschning. Gleiches gelte für die chemische Industrie. Die Idee: Energie-Großabnehmer könnten ihren Wasserstoff in unmittelbarer Nähe selbst herstellen. Verluste durch Verdichtung und Transport würden damit entfallen, was die Effizienz des Energieträgers steigert.
Auch beim Flug- und Schiffsverkehr komme man in Sachen Klimaschutz in Zukunft nicht an Wasserstoff vorbei, glaubt Quaschning. Die Ladekapazität von E-Akkus ist noch nicht groß genug, um Frachtschiffe oder Flugzeuge auf langen Strecken ausreichend mit Energie versorgen zu können. In 10.000 Metern Höhe und auf hoher See gibt es auch keine Lademöglichkeiten. Hier könnten Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe auf Wasserstoff-Basis umweltverträgliche Alternativen zu Kerosin und Diesel sein.
Mit Blick auf die Energiewende ist Wasserstoff aber vor allem als Speicher für regenerative Energien interessant. Um wetterunabhängig Strom aus Wind und Sonne beziehen zu können, braucht es umfassende Speichermöglichkeiten. Energieüberschüsse aus Solar- und Windkraftanlagen könnten als chemische Energie in Form von gasförmigem oder flüssigem Wasserstoff gespeichert und transportiert werden. So könnte die Energie aus erneuerbaren Quellen wetterunabhängig genutzt werden, auch wenn es windstill ist und gerade nicht die Sonne scheint.
Wie ist der aktuelle Stand in Deutschland?
Die Bundesregierung hat in der Nationalen Wasserstoffstrategie das Ziel formuliert, Deutschland zum "globalen Vorreiter bei grünem Wasserstoff" zu machen. Quaschning hält es für realistisch, dass Deutschland zumindest bei einigen Schlüsselkomponenten der Produktion in der ersten Liga spielen könnte.
Die Sorge, dass Deutschland den gegenwärtigen Wasserstoff-Hype verschläft, hält er hingegen für unbegründet – im Gegenteil. "Wir setzen blind überall auf Wasserstoff, ohne zu überlegen, wo es sinnvoll ist", sagt Quaschning. Häufig würde Wasserstoff dazu benutzt, um die bestehende fossile Gasinfrastruktur möglichst lange weiter zu nutzen. "Schon getätigte Fehlinvestitionen in die Erdgasinfrastruktur sollen mit dem nicht einzulösenden Versprechen, man brauche nur einen Schalter umzulegen und Erdgas durch grünen Wasserstoff zu ersetzen, kaschiert werden." Diese Rechnung werde jedoch nicht aufgehen, glaubt Quaschning.
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Auch Schlagworte wie "E-Fuels" oder "Wasserstoffheizungen" würden dazu führen, dass sich der Durchbruch der Elektromobilität und der Wärmepumpe verzögere. "Bei beiden Technologien drohen wir wirtschaftlich den Anschluss an Länder wie China zu verlieren, mit fatalen Auswirkungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland."
Kann Deutschland überhaupt genug eigenen Wasserstoff produzieren?
Um großflächig Wasserstoff zu produzieren, fehlt es in Deutschland derzeit auch an ausreichend Energie aus erneuerbaren Quellen. Wie groß das Defizit ist, zeigt ein Beispiel: Eine Fraunhofer-Studie rechnet für Deutschland bis 2050 mit einem jährlichen Bedarf von bis zu 800 Terawattstunden Strom aus Wasserstoff. Berücksichtigt man Energieverluste von 30 Prozent bei der Produktion des Wasserstoffs, bräuchte es 1.040 Terawattstunden Ökostrom, um die nötige Menge Wasserstoff herzustellen.
Im Jahr 2019 lag der gesamte Nettostromverbrauch in Deutschland nach Informationen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie jedoch mit 512 Terawattstunden bei gerade einmal der Hälfte. Experten plädieren daher dafür, den breiten Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft zurückzustellen und sich zunächst auf den massiven Ausbau erneuerbarer Energien zu konzentrieren.
Doch selbst wenn die erneuerbaren Energien in Deutschland in kürzester Zeit massiv ausgebaut würden, sieht Quaschning die wirklich großen Märkte für die Produktion grünen Wasserstoffs eher im Ausland, beispielsweise in Wüstenregionen, wo die Bedingungen für Solaranlagen günstig sind. "Die benötigten Mengen an Wasserstoff werden wir nicht alle in Deutschland produzieren können", sagt Quaschning. "Darum werden wir einen gewissen Anteil importieren müssen."
Dass sich Deutschland damit erneut in eine Abhängigkeit von Drittstaaten begeben könnte wie zuletzt von Russland bei Öl und Gas, befürchtet der Experte nicht. Derzeit importiere Deutschland rund 70 Prozent seiner Energie, künftig sollen mindestens 70 Prozent des Energiebedarfs mit Solar- und Windkraftanlagen selbst erzeugt werden. "Die Energieimporte werden also deutlich sinken", erklärt Quaschning. "Wenn wir dann die viel kleineren Importmengen auf eine Vielzahl an Ländern verteilen, ist keine neue Abhängigkeit zu befürchten."
Was fehlt Wasserstoff jetzt noch zum Durchbruch?
Das größte Problem von grünem Wasserstoff liegt derzeit in seinem Preis. Im Vergleich zu fossilen Brennträgern sind die Kosten enorm hoch. "Für die Gewinnung von Erdgas muss man im Prinzip nur ein Loch in die Erde bohren", erklärt Quaschning. Grüner Wasserstoff müsse hingegen erst einmal produziert werden. Dafür braucht es neben regenerativen Energiequellen sogenannte Elektrolyseure, die eigentlichen Apparate zur Herstellung des Wasserstoffs. Diese Elektrolyseure werden heute jedoch noch nicht in Masse gefertigt und sind daher teuer.
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"Und dann fehlt noch die komplette Infrastruktur, um Wasserstoff transportieren und nutzen zu können", ergänzt Quaschning. "All das aufzubauen, bedeutet erst einmal hohe Investitionen und hohe Kosten." Weil die Produktion von Wasserstoff jedoch noch nicht wirtschaftlich ist, schrecken viele Investorinnen und Investoren davor zurück – dabei würden Investitionen entscheidend dazu beitragen, dass die Kosten sinken und Wasserstoff wettbewerbsfähig wird.
Die IEA rechnet jedoch damit, dass der Preis für Wasserstoff bis 2030 um ein Drittel sinken wird, nicht zuletzt, weil auch die Preise für erneuerbare Energien in Zukunft sinken werden. Ein höherer CO2-Preis würde zusätzlich dazu beitragen, grünen Wasserstoff konkurrenzfähiger zu machen. Klare politische Signale und finanzielle Anschubhilfen sind also notwendig, um Wasserstoff endgültig aus dem Nischendasein zu holen.
Verwendete Quellen:
- Interview mit Prof. Volker Quaschning
- Bundesministerium für Bildung und Forschung: "Nationale Wasserstoffstrategie: Grüner Wasserstoff als Energieträger der Zukunft"
- Bundesregierung.de: "Nationale Wasserstoffstrategie: Wasserstoff – Energieträger der Zukunft"
- Bundesministerium für Bildung und Forschung: wasserstoffatlas.de
- Frankfurter Rundschau: "Emissionen: EU-Parlament will nicht nur Öko-Wasserstoff"
- Internationale Energiebehörde (IEA): "The Future of Hydrogen"
- Studie: "A global comparison of the life cycle greenhouse gas emissions of combustion engine and electric passenger cars"
- Fraunhofer Institut: "Eine Wasserstoff-Roadmap für Deutschland"
- dena-Leitstudie Integrierte Energiewende: "Impulse für die Gestaltung des Energiesystems bis 2050"
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